Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Höhenerleb­nisse der besonderen Art

Lechweg, Folge 5: Von Stanzach nach Rieden geht es meist direkt am Fluss entlang

- Von Simone Haefele

B● eim Aufwachen in aller Frühe hören wir ihn sofort wieder: den Lech, der gleich hinterm Haus vorbeiflie­ßt. Und aus den Unterlagen wissen wir: Heute werden wir den Fluss näher kennenlern­en, führt doch die 15 Kilometer lange Wanderung von Stanzach bis Rieden größtentei­ls direkt an seinem Ufer entlang. Die Vorfreude ist groß, denn aus den Reiseunter­lagen wird auch ersichtlic­h, dass heute die flachste Etappe der gesamten Tour ansteht. Läppische 80 Höhenmeter! Da kann uns auch die angesagte schwüle Sommerhitz­e von 30 Grad nichts anhaben! Doch Ramona Sprenger, Produktman­agerin des Lechwegs und eigentlich eine nette junge Frau, hat gleich zu Beginn eine Schikane eingebaut. Sie empfiehlt unbedingt den Abstecher zum Baichlstei­n, um von dort oben die tolle Aussicht auf den sogenannte­n Lechzopf zu genießen. Na ja, so ganz ohne Höhenmeter scheint’s für Lechweg-Wanderer wohl doch nicht zu gehen. Dass uns an diesem Tag noch ein Höhenerleb­nis ganz anderer Art bevorsteht, verdrängen wir erst einmal.

Lohnender Aufstieg

So früh am Morgen ist die Temperatur noch erträglich und deshalb der knapp einstündig­e Aufstieg zum 1164 Meter hohen Gipfel des Baichlstei­ns ganz gut zu schaffen. Von hier oben – und nur von hier oben! – bietet sich ein sagenhafte­s Bild. Das Flussbett hat tatsächlic­h die Form eines geflochten­en Zopfes angenommen. Dieser entstand, weil einst Buhnen zur Uferbefest­igung weit in den Lech gebaut wurden und der Fluss so in gleichmäßi­gen Abständen eingeschnü­rt wurde. Zwischen diesen Buhnen und den Kiesbänken sucht sich das Wasser nun seinen Weg. Ein triumphier­endes Lächeln zeigt sich auf Ramonas Gesicht. Es scheint ihr auch gar nichts auszumache­n, dass ihre kecken, blonden Zöpfchen mit diesem gewaltigen Anblick keineswegs konkurrier­en können.

Wieder im Tal begleitet sie uns auf dem überwiegen­d geschotter­ten Weg, der kilometerl­ang durch die charakteri­stische Wildflussl­andschaft und stets am Ufer entlang führt. Mittlerwei­le brennt die Sonne gnadenlos vom Himmel, die Hitze wird von den breiten, hellen Kiesbänken zu allem Überfluss auch noch reflektier­t. Wie gerne würden wir jetzt durch einen schattigen Bergwald wandern, sogar wenn wir dafür bergauf gehen müssten! Doch der Lechweg führt nun einmal gnadenlos und schnurstra­cks am sonnigen Ufer entlang.

Den Kühen scheint die Hitze nichts auszumache­n. Ganz im Gegenteil! Sie kommen herunter zum Fluss und verharren scheinbar reglos stundenlan­g auf den Kiesbänken. „Wir wissen auch nicht, warum sie das tun. Aber bei schönem Wetter sind wirklich jeden Tag Hunderte von Kühen hier“, erklärt Ramona. Ein bisschen erinnert die Szenerie an die afrikanisc­he Steppe, in der sich Wasserbüff­el und Gnus in flimmernde­r Hitze am Wasserloch treffen.

Auch Ramona scheint die Hitze wenig auszumache­n. Sie plaudert munter drauflos, erzählt, dass sie auf einem Bergbauern­hof ganz in der Nähe groß geworden ist und heute zusammen mit ihrem Freund selbst eine solche Landwirtsc­haft hoch oben im Gebirge umtreibt. „Derzeit helfe ich bei gutem Wetter jedes Wochenende beim Mähen und Heuen mit. Nicht immer einfach, denn unsere Hänge sind ganz schön steil“, erzählt sie. Aber als Kind der Berge, das zusammen mit der Schwester täglich einen langen, beschwerli­chen Schulweg gehen musste, mache ihr das nicht viel aus. Und wir stöhnen schon während dieser Flach-Etappe, nur weil heute ausnahmswe­ise Sommer ist!

Dank Ramonas interessan­ten Erzählunge­n vergeht die Zeit recht schnell und wir erreichen Weissenbac­h, wo der Lechweg heute zum ersten Mal fort vom Fluss durch Wiesen und rund um den Ort führt. Von hier ist es nur noch ein kurzes Stück bis Rieden. Dort steht in der Dorfmitte nicht nur ein schönes Kirchlein, mindestens genauso beeindruck­end sind die prächtigen Landsitze und Jagdhäuser, die das Ortsbild prägen. „Tja, hier in der Gegend hat sich so mancher Promi und Wirtschaft­sboss sein Feriendomi­zil geschaffen“, erzählt Ramona.

Ruhe vor dem Sturm

Vor allem die Jagd spiele in der Region eine große Rolle. Fast schon beiläufig erwähnt sie, dass auch sie einen Jagdschein besitzt und ab und zu mit dem Gewehr loszieht. Wir machen uns mit ihr jetzt auf die Jagd nach der Sibirische­n Azurjungfe­r. Dies ist eine sehr seltene Libellenar­t, die am Riedener See herumschwi­rrt. Der kurze Abstecher zu diesem kleinen Naturparad­ies bedeutet einen nur 400 Meter langen zusätzlich­en Fußmarsch. Der ruhige, kleine See selbst ist der ideale Ort, um uns zu sammeln und mental vorzuberei­ten auf die größte Herausford­erung, die uns entlang des Lechwegs erwartet.

Da steht sie beziehungs­weise hängt sie: die Highline 179! Es ist die längste Fußgängerh­ängebrücke der Welt, gebaut im sogenannte­n Tibetstil. 406 Meter lang verbindet sie in 114 Metern Höhe die Ruine Ehrenberg mit dem gegenüberl­iegenden Fort Claudia. Darunter liegt ein tiefes Tal, in dem auf der Bundesstra­ße 179 der Verkehr Richtung Fernpass rollt. Ramona zückt Freikarten. Normalerwe­ise kostet das Ticket für die Hängebrück­e acht Euro. „Dafür kann man aber auch mehrmals hin- und hergehen“, bemerkt Ramona. Na, besten Dank auch! Ich bin zwar sparsame Schwäbin, aber im Gegensatz zu meinen Begleitern nicht todesmutig. Doch gutes Zureden hilft, und schließlic­h wage ich mich auf das wackelige, lange Ding. Auf den angepriese­nen „Blick mit dem Kick“nach unten verzichte ich allerdings. Stattdesse­n halte ich mich verkrampft am seitlichen Handlauf fest, starre stur geradeaus und beobachte fassungslo­s eine junge Familie, deren zwei kleine Kinder wild vorausrenn­en. Einmal rüber, einmal zurück, ein Beweisfoto, jede Menge Adrenalin – und gut ist für heute. Da laufe ich doch lieber den Lechweg zehnmal rauf und runter.

 ?? FOTO: GERHARD EISENSCHIN­K ?? Wer auf den Baichlstei­n wandert, hat einen tollen Blick auf den sogenannte­n Lechzopf.
FOTO: GERHARD EISENSCHIN­K Wer auf den Baichlstei­n wandert, hat einen tollen Blick auf den sogenannte­n Lechzopf.
 ?? FOTO: ELMAR HAEFELE ?? Blick auf die lange Hängebrück­e Highline 179.
FOTO: ELMAR HAEFELE Blick auf die lange Hängebrück­e Highline 179.

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