„Erholungsbedürfnis nicht aufschieben“
Wie man sich das Urlaubsgefühl im Alltag möglichst lange erhält
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sagt, er wolle für längere Zeit auf Urlaub verzichten. Dabei braucht jeder Auszeiten – am besten immer mal wieder, auch wenn sie kurz sind. Das sagt Julia Scharnhorst, Expertin für Gesundheitspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, im Gespräch mit Leticia Witte von der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Sie erläutert, warum Urlaub manchmal auch Stress bedeutet und wie man sich am besten erholt.
Frau Scharnhorst, wie ist es bei Ihnen, wie lange können Sie sich ein angenehmes Urlaubsgefühl erhalten?
Es kommt darauf an, welche Art von Urlaub ich gemacht habe. Wenn es eher anstrengend in fremden und lauten Städten war und ich viel planen musste, dann komme ich gar nicht so erholt zurück. Wenn ich einen Urlaub mache, der entspannt war, an einem Ort, an dem ich mich auskenne und schon 20-mal gewesen bin, hält er länger vor.
Also können uns Gewohnheiten im Urlaub bei der Erholung helfen?
Ja, weil es eine gewisse Anstrengung ist, sich in neuen Lebenswelten zurechtzufinden. Es macht vielen Menschen natürlich Spaß, neue Kulturkreise und Lebensgewohnheiten kennenzulernen. Trotzdem ist es etwas, das psychisch eine Leistung, eine gewisse Form von Arbeit darstellt. Wenn man sich erholen möchte, ist es eher sinnvoll, dass gar nicht so viel Neues passiert und man eigentlich sofort abschalten kann.
Dennoch wollen Leute oft dorthin, wo sie noch nie gewesen sind oder machen Fernreisen.
Das hat dann möglicherweise einen anderen Effekt: Ich bin komplett raus aus dem, was ich sonst mache. Das hilft beim Abschalten vom Alltag; kaum etwas erinnert mehr an die Arbeit, an Zuhause. Trotz allem ist es psychisch auch anstrengend.
Wenn wir nach einem Urlaub heimkommen, holt uns der Alltag oft schnell ein. Woran liegt das?
Es sind ja meist völlig getrennte Lebenswelten. Der Alltag im Urlaub unterscheidet sich von dem, den wir zu Hause haben. Man hat daheim das Gefühl, man ist überhaupt nicht weg gewesen, es ist, als ob man wieder in der alten Schachtel steckt. Es geht genauso weiter wie vorher.
Was kann man dagegen tun?
Man kann sich helfen, indem man ein Stück Urlaub bewusst mit in den Alltag nimmt, am besten zusammen mit anderen Menschen. Wenn man zum Beispiel schöne Fotos vom Strand am Arbeitsplatz hat, kann man sich kurz dorthin zurückträumen. Man kann bestimmte Gerichte auch mit Freunden kochen, Musik hören, Dekorationsartikel auf die Arbeit mitnehmen oder ein neues Hobby aus dem Urlaub beibehalten. Eine schöne Idee ist auch, sich selber eine Postkarte aus dem Urlaub zu schicken und zum Beispiel am Strand zu beschreiben, wie schön es dort gerade ist. Dann bekommt man eine Erinnerung mit einer bestimmten Stimmung.
Die Postkarte könnte man sich ins Büro schicken.
Genau. Dann hatte man sie vielleicht schon wieder vergessen und ist auf einmal überrascht, wenn sie ankommt! Zur Entspannung gehört, sich Zeit zu nehmen: Wenn man Sonntagabend aus dem Urlaub kommt und am Montagmorgen gleich wieder auf der Arbeit sein muss, ist das nicht klug. Besser wäre es, es ruhiger angehen zu lassen, also noch einen Tag zu Hause zu haben. Und bei der Arbeit nicht sofort in Hektik zu verfallen: In der E-MailSignatur etwa kann die Abwesenheitsmeldung einen Tag länger stehen bleiben, damit man nicht überfallen wird und sich sortieren kann.
Wenn wir das gesamte Arbeitsjahr betrachten: Was sollten wir tun, um einigermaßen entspannt durch das Jahr zu gehen?
Es macht Sinn, mehrere kürzere Pausen einzulegen, denn die Erholung hält gar nicht so lange an, wie auch die Forschung festgestellt hat. Mal ein verlängertes Wochenende, mal eine Woche zwischendurch etwas Schönes zu machen, und aus seinem Alltag herauszukommen. Das hilft, Abstand zu gewinnen und das Arbeitsleben zu relativieren. Man fühlt sich nicht so eingesperrt, als wenn man denkt: noch zwei ganze Monate bis zum Sommerurlaub. Man hat also kurze Phasen, in denen man sich schon auf die nächste freie Zeit freut. Das hilft, die Arbeitsmotivation zu erhalten.
Welche Rolle spielt die Gesamtzahl an Urlaubstagen im Jahr?
Das kommt darauf an, wie das Arbeitsleben verläuft. In anderen Ländern mit weniger Urlaubstagen gibt es im Arbeitsleben mitunter eine andere Kultur: Man pflegt eine freundschaftliche Kultur und bringt mehr Privates in die Arbeit ein. In Deutschland trennen wir das ja sehr stark und haben deswegen das Gefühl, wir wollen im Urlaub mal ganz raus aus der Arbeit. In anderen Ländern ist es schon üblich, auch am Arbeitsplatz eher eine familiäre Atmosphäre zu haben. Da hat man vielleicht nicht unentwegt das Gefühl, man müsse die Flucht ergreifen.
Wie lange kann man sich ein Urlaubsgefühl im Idealfall erhalten?
Es dauert nur ein paar Wochen, bis alles wieder beim Alten ist. Daher darf man nicht zu große Hoffnungen haben. Es macht mehr Sinn darauf zu achten, den Alltag mit guter Stressbewältigung zu führen und das Erholungsbedürfnis nicht aufzuschieben: kleine Auszeiten, sich nicht übernehmen, Hobbys, Wochenenden ohne Pläne. Davon hat man übers Jahr gesehen mehr.