Gabriel nennt Rennen um das Kanzleramt „völlig offen“
Der Vizekanzler lässt Zweifel daran aufkommen, räumt diese später aber wieder aus
BERLIN - Sigmar Gabriel rudert zurück. „Unsinn“seien die Meldungen, er würde nicht mehr an einen Wahlerfolg der SPD glauben. Das Rennen um das Kanzleramt sei „völlig offen“. Daran ändere auch der große Rückstand der Sozialdemokraten auf die Union in den Meinungsumfragen drei Wochen vor der Bundestagswahl nichts. Schließlich habe sich fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler nicht festgelegt.
„Fast 20 Millionen Menschen wollen sich das TV-Duell am kommenden Sonntag ansehen, und ich weiß, dass Martin Schulz dort seine Chance vor einem Millionenpublikum nutzen wird“, gibt der Bundesaußenminister seinem Parteichef und Kanzlerkandidaten Rückendeckung. Tags zuvor hatte sich dies noch ganz anders angehört. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Mittwochabend hatte der SPD-Politiker noch angedeutet, dass er nicht mehr daran glaubt, dass seine Partei bei der Bundestagswahl stärkste Partei wird. „Eine Große Koalition ist deshalb nicht sinnvoll, weil damit die SPD nicht den Kanzler stellen kann“, erklärte er. „Weil, da kann der Schulz schon mal einpacken, weil dabei wird er dann nicht Kanzler“, sagte der frühere SPD-Chef. Den Regierungschef könne sie in dieser Konstellation nur stellen, wenn sie stärker als die Union werde, so Gabriel.
Alarmstimmung am Donnerstagmorgen in der SPD-Zentrale und im Wahlkampfteam von Martin Schulz. Eilig schickte die Pressestelle des Willy-Brandt-Hauses eine Klarstellung Gabriels hinterher, der sich missverstanden fühlt. Als wäre das nicht schon genug, sorgt Altkanzler Gerhard Schröder mit seinem Bekenntnis zu seinem lukrativen Aufsichtsratsposten beim russischen Ölriesen Rosneft für Unmut auch in den eigenen Reihen.
Heckenschützen und Pannen im Wahlkampf – immer wieder litt Schulz’ Wahlkampf unter Störfeuer. Kurz vor der Bundestagswahl fordert SPD-Vizechef Torsten Schäfer-Gümbel plötzlich eine grundlegende Debatte über die Zukunft der SPD. Es gehe um „Richtung und Ausrichtung der Sozialdemokratie“, erklärte er. Die Partei habe sich zu wenig Zeit genommen, über die großen grundsätzlichen Fragen zu reden. Diskussionen über Kurs, Koalitionen und Strategie, über Pannen und Fehler im Wahlkampf – Debatten zur Unzeit für Merkel-Herausforderer Schulz.
Nach der großen Euphorie in der Zeit nach seiner Nominierung, dem „Schulz-Hype“und der Aufholjagd in den Meinungsumfragen folgten schließlich die Niederlagen bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen und der Absturz auf das alte Niveau.
Ende Mai schließlich sorgten Querschüsse des früheren SPDKanzlerkandidaten Peer Steinbrück für Empörung in den Reihen der Sozialdemokraten. Steinbrück hatte kein gutes Haar am Wahlkampf von Merkel-Herausforderer Schulz gelassen und in einem Interview über die Humor- und Erfolglosigkeit der SPD und ihres Vorsitzenden Schulz gelästert. Die Partei sei „manchmal manisch-depressiv“, aber in ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte immer wieder aufgestanden. Die SPD eine Ansammlung von Heulsusen? „Der Begriff trifft gelegentlich den Gemütszustand der SPD. Nur wehe, Sie sprechen ihn aus.“