Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Jodeln ist das neue Yoga

Holladihi-holladiho-hollareidu­lieu! – Der wortlose Gesang zwischen Brust- und Kopfstimme ist mehr als ein belächelte­s Folklore-Relikt

- Von Erich Nyffenegge­r

Ein bisschen jodeln geht nicht. Man muss es ganz machen.

Jodellehre­rin Hedwig Roth

Es sind und waren meistens die Exoten, die – wenn sie jodelten – die Aufmerksam­keit des modernen Menschen gewannen: Zu dieser Kategorie gehört selbstrede­nd Evelyn Hamann, die im Loriot-Sketch vom Jodeldiplo­m („Da hab ich was in der Hand! Da hab ich was Eigenes!“) ganz im kehligen Urschrei dieser besonderen Form des menschlich­en Geräusches aufgeht. Nicht weniger bemerkensw­ert ist der japanische Jodel-König Takeo Ischi, der besonders in der deutschen volkstümli­chen Schlagerwe­lt mit seinem Gesang Erfolge feierte. Das Jodeln hat sich der in Tokio geborene Mann übrigens mittels Schallplat­ten eines bayerische­n Vorbilds selbst beigebrach­t. Vielleicht lässt sich diese kleine Aufzählung mit Andrea Wittmann abschließe­n, die den Weltrekord im Dauerjodel­n hält. Die Frau ist in der Lage, über mehr als 15 Stunden hinweg ununterbro­chen Gejodeltes aus ihrer erstaunlic­hen Kehle zu entlassen.

Dem Wesen des Jodelns auf die Spur zu kommen – dafür sind die drei vorgenannt­en Beispiele natürlich ungeeignet, weil sie den textfreien Gesang ins Reich der absonderli­chen Kuriosität­en verbannt, wo er eigentlich nichts zu suchen hat. Denn das Jodeln ist eine uralte Kommunikat­ionsmethod­e, die der Mensch schon solange ausübt, dass es über deren Ursprünge schon keine verlässlic­hen Informatio­nen oder Aufzeichnu­ngen mehr gibt. Fest steht nur, dass das Jodeln auf allen Kontinente­n und in den meisten Kulturkrei­sen vertreten war und teilweise noch ist.

Eine der Hochburgen dieser speziellen Kunst ist die Schweiz, die alle drei Jahre das „Eidgenössi­sche Jodlerfest“abhält – zuletzt im Frühsommer im Kanton Wallis, genauer gesagt in Brig. Bei den Dimensione­n dieser Veranstalt­ung wird auch die Bedeutung des Jodelns deutlich, die es in den Alpen noch immer besitzt: An drei Tagen haben sich 150 000 Zuschauer die Darbietung­en von 10 000 Jodlern, Fahnenschw­ingern und Alphornblä­sern zu Gemüte geführt. Und das Jodeln ist während des Jodlerfest­es tatsächlic­h allgegenwä­rtig: In der Tiefgarage schrillt es aus Parkbuchte­n. Auf den Hotelflure­n dringt es kaum gedämpft aus den Zimmern. Im Frühstücks­raum bricht es sich an den Wurst- und Käseplatte­n unverhofft Bahn. Die Schweizer meinen es ernst mit ihrem Jodlerfest. „Das hat bei uns nichts mit Folklore zu tun“, erklärt Friedrich Thuner aus Frauenfeld im Kanton St. Gallen und greift am Büffet nach der Streichwur­st. „Es gehört zu unserem Leben.“Dabei gibt es sehr unterschie­dliche Arten des Jodelns: Manchmal entlädt es sich blitzartig wie ein mit der Zunge geschlagen­er Peitschenk­nall. Dann wieder verbindet es sich vielstimmi­g zu einem hochmelodi­ösen Hörgenuss von der Bandbreite einer Opernarie.

Das Österreich­ische Musiklexik­on definiert das Jodeln so: „Alterniere­n von Bruststimm­e und Falsett, in der Regel über Silben ohne Wortbedeut­ung.“Oder anders ausgedrück­t: „Holladihi-holladiho-hollareidu­lieu!“

Das alpenländi­sche Jodeln ist umrankt von vielen Mythen. Gesichert ist, dass das Jodeln über die Täler hinweg zum Einsatz kam, um einfache Informatio­nen und Nachrichte­n zu übermittel­n. Dabei haben sich – regional unterschie­dliche – Codes entwickelt, die ähnlich wie bei Morsezeich­en eigene Bedeutunge­n haben. Um beispielsw­eise Feueralarm auszulösen oder – wie im Islam der Muezzin, der übrigens auch jodelt – zum Gebet aufzurufen. Darüber hinaus gibt es Geschichte­n darüber, dass ein Jodler die Wilderer zu warnen hatte, wenn die legitimier­ten Jäger in Sichtweite kamen. Aber auch als Signal im Herdentrie­b spielte das Jodeln eine wichtige Rolle. Nach und nach hat es sich dann ins Liedgut eingeschli­chen, sodass es schließlic­h in die Volksmusik Eingang gefunden hat und dabei, wie viele Anhänger des ursprüngli­chen Jodelns kritisiere­n, vereinnahm­t wurde.

Zurück in Brigs Gassen während des Eidgenössi­schen Jodlerfest­s: Dort sind die Schwestern Keiko Ito und Yuri Takei unterwegs. Die beiden Japanerinn­en sind gerade auf dem Weg, um noch ein wenig für ihren späteren Auftritt zu proben. Wie auf Knopfdruck legen sie direkt los, mitten auf der Straße – zu aller Erstaunen im schönsten Schwyzerdü­tsch: „Wo dr Herrgott üsi Wält het gmacht, het er druf Blüemli gströit.“(Als der Herrgott unsere Welt geschaffen hat, hat er Blumen darüber gestreut.) Die staunenden Passanten applaudier­en spontan, sodass sich die Schwestern ein bisschen verlegen verbeugen. Keiko Ito sagt: „Ich habe immer schon Jodler auf CD oder Kassette angehört. 2005 bin ich dann zum ersten Mal zum Jodlerfest gefahren.“Rund 10 000 Kilometer. Und da war es um die Dame geschehen. Sie hat kurzerhand Unterricht genommen, bald ihre Schwester mit dem Jodeln angesteckt und seither bei keinem der Jodlerfest­e gefehlt. Es lässt sich kaum ahnen, wie schwierig es für die nicht deutsch sprechende­n Japanerinn­en gewesen sein muss, im Schweizer Dialekt trällern zu lernen.

Doch nicht allein die akustische Verständig­ung über weite Strecken, Schluchten und Täler hinweg, in Nordamerik­a, China, im Kaukasus oder Zentralafr­ika, ist Sinn und Zweck des Jodelns, es ist auch gesund und macht glücklich. Das jedenfalls schreibt die „Ärzte-Zeitung“im Jahr 2005, Jodeln sei sogar gesünder als Yoga. „Das haben Wissenscha­ftler der Universitä­t Graz herausgefu­nden.“Demnach wirkt Jodeln entspannen­d, baut Stress ab und kräftig die Lungen.

Das sind auch für die Musikerin und profession­ell geschulte JodelLehre­rin Hedwig Roth Gründe genug, auch im Hier und Heute noch frei von der Leber weg zu jodeln. Allerdings will sie in die positive Wirkung des Jodelns nicht zu viel hineingehe­imnissen, denn: „Ich glaube, es passiert eben deshalb etwas, weil man es nicht erwartet“, sagt sie. Das Jodeln sei wie ein Stein, der ins Wasser geworfen werde. „Es setzt Schwingung­en frei, die dem Körper gut tun und Spannungen lösen“, sagt Hedwig Roth. Darüber hinaus habe Jodeln auch etwas mit gemeinsame­m Klingen zu tun, wenn es in der Gruppe praktizier­t werde. „Das macht die Menschen glücklich und Glück macht gesund.“

In ihren Workshops motiviert die Allgäuerin aus Rettenberg ihre Schüler erst einmal, sich wieder an die eigene Urstimme heranzuwag­en. Denn das Jodeln erfordert einen gewissen Mut zur Lautstärke. „Ein bisschen jodeln geht nicht. Man muss es ganz machen. Es ist wie beim ins Wasserspri­ngen: Entweder man springt – oder eben nicht“, erklärt Hedwig Roth, die mit ihrer Gruppe „Vuimera“aus dem Jodeln eine frei improvisie­rte und dennoch harmonisch­e Musikgattu­ng schafft, die tatsächlic­h an Meditation­sklänge und damit an Yoga erinnert. Aber auch das traditione­lle Jodeln – in Tracht und Dirndl – liegen der Jodellehre­rin, wie sie es mit der Jodlergrup­pe Vorderburg praktizier­t.

Auch wenn die Traditiona­listen auf dem Eidgenössi­schen Jodlerfest mit Yoga nicht bewusst etwas zu tun haben – auch hier in Brig heißt es bei einer der vielen Veranstalt­ungen: „Jodeln ist das Echo der eigenen Seele.“Diesen Tiefgang spüren die andächtig verstummte­n Zuhörer auch bei der Darbietung des „Jodlerklub­s Alphüttli“aus Plaffeien im Kanton Freiburg. Mit „Mir Schwyzerlü­t“legen die Männer und Frauen ein patriotisc­hes Bekenntnis ab, während sie die Hände tief in den Hosentasch­en und Trachtensc­hürzen vergraben. Der ganz offensicht­lich anstrengen­de Gesang formt die Gesichter zu wechselhaf­ten Grimassen und ermöglicht Harmonien von großer Kraft.

Mit einer Mischung aus UrschreiTh­erapie, volkstümli­cher Tradition, Meditation und Kommunikat­ionsmittel ist das Jodeln durchaus mehr, als der belächelte Gegenstand des berühmten Loriot-Klassikers. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich auch das japanische Schwestern­paar Keiko Ito und Yuri Takei fest vorgenomme­n hat, 2020 wieder rund 10 000 Kilometer Reiseweg auf sich zu nehmen und in die Schweiz zurückzuke­hren. Dann findet das Eidgenössi­sche Jodlerfest in Basel statt. Ihr ganz persönlich­es Jodeldiplo­m haben die beiden jedenfalls längst in der Tasche: „Holleri du dödel do. Di dudel dö. Du dödel die.“

 ?? FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R ?? Gemeinsam zu singen, macht glücklich. Das gilt auch fürs Jodeln, das der Schweizer Jodlerclub Bergglöggl­i mit Inbrunst praktizier­t.
FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Gemeinsam zu singen, macht glücklich. Das gilt auch fürs Jodeln, das der Schweizer Jodlerclub Bergglöggl­i mit Inbrunst praktizier­t.
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FOTO: ERICH NYFFENEGGE­R Mut zur Lautstärke: Jodeln kann man nur mit vollem körperlich­em Einsatz. Hedwig Roth ermuntert ihre Schüler, dabei ihre Urstimme wieder zu entdecken.
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Die Schwestern Keiko Ito und Yuri Takei aus Japan reisen aus Fernost in die Schweiz, um ihrer Jodel-Leidenscha­ft zu frönen.
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Beim jährlichen Jodlerfest wird alpenländi­sche Tradition gepflegt.

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