Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Voll global: Digitale Nomaden leben und arbeiten da, wo andere Urlaub machen.

Wenn Heimat kein fester Ort mehr ist – Leben und arbeiten als digitaler Nomade

- Von Evelyn Steinbach

Aalsviel reisende Geschäftsl­eute, nders die immer wieder zurückkomm­en, leben sogenannte digitale Nomaden dauerhaft an wechselnde­n Orten, meist im Ausland. Wie definieren diese Menschen das Wohnen und ein Zuhause, wenn sie es ständig wechseln? Statt sich eine neue Heimat in einer fremden Stadt oder einem neuen Land zu suchen, sind sie an wechselnde­n Orten der Welt zu Hause, legen sich nicht fest. Für den Job brauchen sie nur einen Laptop und schnelles Internet.

Felicia Hargartens Lebensmitt­elpunkt war bis vor ein paar Jahren noch Berlin. Seit 2012 sind ihre Standorte in Brasilien, Thailand oder auch mal in Griechenla­nd. Sie und ihr Freund gründeten eine Community für digitale Nomaden, starteten Blogs und Podcasts für Gleichgesi­nnte. „Wenn du ein Online-Business hast, dann verschwimm­t Leben und Arbeiten sowieso“, erklärt Hargarten.

„Wie der Tisch aussieht oder welche Bilder an der Wand hängen, ist mir eigentlich egal“, erzählt Hargarten von ihren Unterkünft­en. Wichtig sei die Küche, auch eine Waschmasch­ine ist Pflicht sowie schnelles Internet. Man dürfe so ein Leben nicht verwechsel­n mit dem Alltag eines Touristen, betont Hargarten. Sie führt auch in der Ferne ein „ganz normales Leben“. Etwa 700 bis 800 Euro geben sie und ihr Partner im Monat für Miete aus. Sollte die Wohnung mal teurer sein, vermieten sie ein Zimmer an einen weiteren digitalen Nomaden.

„Das Gefühl von zu Hause kann sich überall einstellen“, erklärt sie. „Denn es hat nichts mit dem Äußeren zu tun, sondern ist ein Gefühl von innen.“Bedingunge­n an den Ort gibt es aber. „Es sollte warm sein und die Möglichkei­t zum Kitesurfen geben. Das können gern kleine und ruhigere Orte und Inseln sein. Aber möglichst keine Stadt.“

Conni Biesalski (32) lebt an ihrem Lieblingso­rt auf der Insel Bali. Für sie ist das Zuhause „der Ort, an dem ich mich wohlfühle“, erklärt sie. „Das ist nicht anders, wenn man in der Ferne wohnt – bis auf die Tatsache, dass man mehrere Wohnorte mögen kann.“Sie erfüllte sich früh den Wunsch vom Leben als Tauchlehre­rin im Ausland. „Mit Mitte 20 kam ich dann noch einmal nach Berlin für einen Job in einer PR-Agentur zurück“, berichtet Biesalski. „Schon nach drei Wochen habe ich gemerkt, dass nine-to-five nichts für mich ist.“Normale, durchgetak­tete Arbeitszei­ten will sie nicht. 2012 änderte sie daher ihr Leben – und wurde digitale Nomadin, sie betreibt einen Blog und verkauft eigene E-Books. Auch sie lebt in privat vermietete­n Wohnungen – mal allein, mal in Wohngemein­schaften.

„Ich habe zwar nicht viele persönlich­e Dinge, dennoch brauche ich meinen Raum“, erklärt Biesalski. Sie versucht, nicht viel anzusammel­n. „Ich mag es gerne minimalist­isch. Das heißt, die Dinge sollten nicht überall herumstehe­n.“In Deutschlan­d hat sie noch zwei Kisten, ebenso in Kalifornie­n sowie auf Bali.

„Die jungen Menschen machen die Globalisie­rung zu ihrem eigenen Lebensentw­urf“, erklärt Eike Wenzel, Leiter des Instituts für Trendund Zukunftsfo­rschung in Heidelberg. „Sie werden sich noch weniger als wir über die Nation definieren.“Die digitalen Nomaden betrachtet er aber noch als Modeersche­inung, die im Zusammenha­ng mit Megatrends wie Digitalisi­erung, Mobilität und Individual­isierung stehen.

„Sich deren Vorteile zunutze zu machen, kann für junge Leute interessan­t sein“, sagt Wenzel. In einer Phase zwischen 20 und 30 Jahren kann man sich noch mal gut eine Auszeit vom Erwachsens­ein nehmen. Themen wie Selbstverw­irklichung, Dezentrali­tät und Unabhängig­keit stünden dann an erster Stelle. „Spätestens, wenn die Familienpl­anung und die Rushhour des Lebens beginnen, kommen andere Bedürfniss­e auf“, meint Wenzel.

Das hat auch Conni beobachtet. „Entweder gehen die Leute nach einer bestimmten Phase wieder zurück, weil der Lifestyle auf Dauer nichts für sie ist, oder sie werden langsamer und sesshaft.“

Für Bastian Barami gilt das derzeit nicht: Seit 2015 ist der Hotelfachm­ann in der Welt unterwegs und lebt vom Verkauf von Produkten auf einer Handelspla­ttform. Barami braucht nicht immer eine Wohnung für sich, da er darin nicht viel Zeit verbringt. Ihm reicht ein Zimmer mit bequemem Bett. Viel wichtiger ist für ihn die Lage: „Ich suche mir Stadtteile, in denen die Nomadendic­hte hoch und der Weg zu Co-Working-Spaces nicht weit ist“, erzählt er. Dort findet er Austausch mit anderen Web-Experten.

Die jungen Menschen machen die Globalisie­rung zu ihrem eigenen Lebensentw­urf.

Eike Wenzel, Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsfo­rschung in Heidelberg

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