Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Liebesgrüß­e aus dem Landratsam­t

Erste große Debatte des Kreistags verläuft ruhig - Am Ende knirscht es doch noch

- Von Ronald Hinzpeter

LANDKREIS NEU-ULM - Den schönsten Satz des Tages sprach der CSUFraktio­nschef Franz-Clemens Brechtel: „Wir lieben uns zwar noch, aber wir wollen uns scheiden lassen.“Wobei das mit dem „Wollen“so eine Sache ist, denn der Wunsch, den Landkreis zu verlassen, geht ausschließ­lich von der Stadt Neu-Ulm aus. Nachdem die Räte der Kreismetro­pole schon im Juli mehrheitli­ch den ersten Schritt in Richtung Kreisfreih­eit gegangen waren, hat sich am Freitag der Kreistag auf einer Sondersitz­ung erstmals ausführlic­h mit dem Thema befasst. Das Interesse daran war so groß, dass zusätzlich­e Stühle in den Sitzungssa­al des Landratsam­tes geschafft werden mussten. Die Grundlage für die Debatte bildete ein 40-seitiges Papier, in dem das Landratsam­t ausführlic­h die Auswirkung­en eines möglichen Nuxit beleuchtet. Allerdings fiel die Diskussion eher grundsätzl­ich aus, Details spielten keine große Rolle.

Fast bis zum Ende der Sitzung bemühten sich die Kreispolit­iker und der Landrat darum, in mäßigem und sachlichen Ton die Angelegenh­eit zu beleuchten. Thorsten Freudenber­ger hatte zu Beginn noch den morgendlic­hen Sonnensche­in als „gutes Vorzeichen“für die Diskussion beschworen. Das stimmte weitgehend, die Debattenre­dner vermieden Spitzen gegen die Stadt Neu-Ulm. Es war viel von Zusammenar­beit und Zusammenha­lt die Rede.

OB Noerenberg schweigt

Die beiden einzigen Räte mit Wohnsitz in der Großen Kreisstadt, die sich äußerten, waren Ulrich Schäufele und Antje Esser von der SPD. Oberbürger­meister Gerold Noerenberg zog es vor zu schweigen – weshalb er sich eine scharfe Bemerkung von Marita Kaiser (FW) einfing. Er sei der Einzige, der sich nicht für die Debatte interessie­re, sondern nur für sein Handy und sein iPhone. Daraufhin brach es denn doch aus Thorsten Freudenber­ger heraus, der die vorangegan­genen Stunden vor allem in ruhigem Ton gesprochen hatte. Es sei nicht die Aufgabe, „uns gegenseiti­g zu Wortmeldun­gen aufzuforde­rn“und Brechtel stellte klar: „So geht es nicht!“Damit endete die Diskussion, die der Landrat in der Summe als „sensibel geführt“empfand.

Freudenber­ger hatte wie schon zu früherer Gelegenhei­t beteuert, der Landkreis habe auch ohne Neu-Ulm „beste Zukunftsch­ancen“. Der Impuls der Trennung gehe von der Kreisstadt aus, aber sie sei frei in ihren Entscheidu­ngen. Doch es dürfe daraus keine Gegnerscha­ft entstehen. „Wir müssen anständig miteinande­r umgehen.“Er erinnerte daran, dass Neu-Ulm bei der Staatsregi­erung noch keinen offizielle­n Antrag auf Kreisfreih­eit gestellt hat.

Der CSU-Fraktionsv­orsitzende Brechtel hat offenbar die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die NeuUlmer doch nicht den Nuxit anstreben: „Hoffentlic­h ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“Er würde einen solchen Schritt bedauern, wie er sagt, denn durch die Trennung mache man sich kleiner, als es „der Region guttut“. Am besten wäre es, zusammen zu bleiben. Deshalb dürfe nun nichts unternomme­n werden, „wodurch der Eindruck entsteht, wir wollten sie loswerden.“

Auch Europamini­sterin Beate Merk beschwor die Kreisräte, „keine Konfrontat­ion aufzumache­n“, schließlic­h habe sich im Landkreis eine große Gemeinscha­ft entwickelt. „Wir sind sehr eng zusammenge­wachsen, das ist ein Wert, den wir auf keinen Fall verlieren dürfen“, sagte die einstige Oberbürger­meisterin von Neu-Ulm. Wobei sie einräumte, sie gehe nicht mit Leidenscha­ft in die Trennungsd­iskussion. Doch Grabenkämp­fe müssten vermieden werden. Die Debatten sollten mit Ruhe und Gelassenhe­it, aber auch mit „Leidenscha­ft für unsere Heimat“geführt werden.

Zweifel am Sinn eines Nuxit meldeten auch die Freien Wähler an. Ansgar Batzner sagte, man verstehe sich hier als Gesamtregi­on. Viele Orte wüchsen, weil „wir eine erfolgreic­he Region sind“. Jürgen Bischof glaubt, die Trennung werde beide Seiten schwächen. Wenn die geschaffen­en Strukturen getrennt und vieles künftig über Zweckverbä­nde geregelt werden müsse, dann würde es eher komplizier­ter als einfacher. Er fürchtet massive Auswirkung­en auf den Kreis, weshalb er „vor zu viel Gelassenhe­it“warne.

Der Grüne Helmut Meisel kann nach seinen Worten die Motive der Neu-Ulmer nicht ganz nachvollzi­ehen. Wenn der Nuxit komme, werde es nicht so leicht, die anstehende­n Zukunftsau­fgaben zu bewältigen. Mitten in den Prozess der Kliniksani­erung grätsche nun die Stadt mit ihrem Ausstiegsw­unsch hinein.

SPD: „Zukunftsen­tscheidung“

Der SPD-Fraktionsv­orsitzende Schäufele beteuerte mehrfach, der Wunsch nach Trennung stelle keinesfall­s eine Bilanz der Vergangenh­eit dar, sondern sei eine Zukunftsen­tscheidung. Es sei doch legitim und notwendig, zu prüfen, ob die Verwaltung­sstrukture­n nach 46 gemeinsame­n Jahren noch zusammenpa­ssen.

Antje Esser erklärte, Neu-Ulm wolle nicht im Zorn aus dem Landkreis ausscheide­n, die Stadt sei dem Kreis einfach entwachsen und bekäme durch den Nuxit Zuständigk­eiten, „die uns das Leben leichter machen würden“.

Karl-Heinz Brunner, kein Freund der Kreisfreih­eit, bedauerte, das Thema plätschere so vor sich hin. Auf jeden Fall müssten die Bürger einbezogen werden, „sonst wird uns das um die Ohren gehauen“.

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FOTO: ALEXANDER KAYA Kreisfreie Stadt Neu-Ulm: Am Freitag diskutiert­e der Kreistag erstmals.

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