Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Meisterinn­en ihres Fachs

Frauen machen sich auch in traditione­ll männlichem Handwerk selbststän­dig

- Von Peter Ilg

W●

enn Frauen ein Handwerk ausüben, arbeiten sie immer noch meistens als Friseurin. Allerdings ist auch ihr Interesse an anderen Handwerksb­erufen nach Angaben der Handwerksk­ammer Ulm merklich gestiegen. Und immer mehr eröffnen ihren eigenen Betrieb.

Silvia Hohl, 35, hatte nicht vor, die Meisterprü­fung abzulegen. Nach der Hauptschul­e hatte sie zunächst nur ihre Lehre zur Maler- und Lackiereri­n abgeschlos­sen und dann drei Jahre als Gesellin gearbeitet. Tapezieren, verputzen und anstreiche­n. Außen und innen. Doch dann entschied sich Silvia Hohl, für ein Jahr die Meistersch­ule zu besuchen. 2012 eröffnete sie ihr eigenes Malerund Lackierges­chäft in Heiligkreu­ztal, zwischen Ulm und Tuttlingen. Hohl hat in ihrem Betrieb einen Gesellen: ihren Mann. Und eine Praktikant­in, die im September bei ihr eine Lehre zur Maler- und Lackiereri­n anfängt. „An die schwere Arbeit gewöhnt man sich“, sagt Hohl. Säcke mit Putz, Eimer mit Farbe, Metallstan­gen und Holzdielen fürs Gerüst.

Immer wieder neu beweisen

Womit sie sich aber immer wieder schwer tut, ist das Misstrauen, insbesonde­re von Älteren, die daran zweifeln, dass sie als Frau ihr Handwerk versteht. „Das muss ich regelmäßig beweisen.“Doch nicht nur ihre Kunden werden erleben, dass immer öfter eine Frau kommt, wenn sie einen Handwerker brauchen. Denn das Handwerk wird zunehmend weiblicher.

Das Bundesinst­itut für Berufsbild­ung hatte zum diesjährig­en Girls' Day untersucht, wie sich der Anteil junger Frauen in für Männer typischen Ausbildung­sberufen in den vergangene­n zwölf Jahren entwickelt hat. Männerberu­fe liegen nach der Definition des Instituts dann vor, wenn der Männerante­il mehr als 80 Prozent beträgt. Der Studie zufolge stieg in rund vier Fünfteln aller untersucht­en 105 typischen Männerberu­fe der Anteil der weiblichen Auszubilde­nden an: Bei Bäckern in den vergangene­n zwölf Jahren um 7,7 Prozent, bei Malern und Lackierern um 6,5 Prozent und bei Tischlern um fünf Prozent. Der von Frauen am häufigsten gewählte Ausbildung­sberuf im Handwerk ist Friseurin, dann folgen Fachverkäu­ferin im Lebensmitt­elhandwerk und Augenoptik­erin. Maler und Lackiereri­n liegt auf Platz sechs.

Mehr weibliche Lehrlinge

Jeder vierte neue Ausbildung­svertrag im Bezirk der Handwerksk­ammer Ulm wurde 2016 mit einer Frau geschlosse­n. „Wir gehen davon aus, dass in drei bis fünf Jahren ein Drittel aller Ausbildung­splätze im Handwerk von Frauen besetzt werden“, sagt Karine Gaule, Geschäftsb­ereichslei­terin Zentrale Dienste und für Frauen im Handwerk zuständig. Als Grund für den Anstieg nennt sie „zunehmende­s Interesse von Frauen für einen Handwerksb­eruf “. Den sollen Aktionen wie der Girls' Day auch wecken. An diesem Tag zeigen Unternehme­n, Betriebe und Hochschule­n in ganz Deutschlan­d Schülerinn­en ab der fünften Klasse Ausbildung­sberufe und Studiengän­ge in den Bereichen Naturwisse­nschaft, Informatik, Technik und Handwerk.

Fast jeder fünfte Handwerksb­etrieb zwischen Ulm und Bodensee wird bereits von einer Frau geführt. Tendenz steigend. „Unter den 2016 gegründete­n Handwerksb­etrieben wurde jeder vierte von einer Frau eröffnet“, sagt Karine Gaule. Steige das Interesse von Frauen am Handwerk, sei die logische Konsequenz, dass auch immer mehr Frauen einen Betrieb führen.

Auch Tanja Pfau, 46, will sich als Handwerker­in selbststän­dig machen. Derzeit legt sie noch ihre Gesellenpr­üfung als Maßschneid­erin mit Schwerpunk­t Damenmode in einem Modeatelie­r in Immenstaad am Bodensee ab. Nach der Ausbildung wird sie von ihrem Betrieb übernommen. „Ich habe vor, anschließe­nd noch ein, zwei Gesellenja­hre dort zu bleiben.“Dann will sie ihren eigenen Betrieb eröffnen. Anders als Maler oder Lackierer benötigt sie als Schneideri­n dafür keinen Meisterbri­ef. In den 1980er-Jahren hatte Pfau eine kaufmännis­che Ausbildung abgeschlos­sen, zuletzt arbeitete sie an einem Infostand am Flughafen Friedrichs­hafen. Auch weil Schneidern und Nähen immer schon ihr Hobby war, entschloss sie sich dann vor drei Jahren, ihre zweite Ausbildung zu beginnen. „Bis zur Rente muss ich noch 20 Jahre arbeiten. Das ist eine lange Zeit, und in der will ich etwas tun, das mir Spaß macht“, sagt sie. Und das Handwerk macht ihr Spaß.

Bundesweit­e Entwicklun­g

„Die Zahlen der Handwerksk­ammer Ulm sind keine Ausreißer in diesem Kammerbezi­rk, sondern spiegeln die bundesweit­e Entwicklun­g wider“, teilt der Zentralver­band des Deutschen Handwerks in Berlin mit. Verbandspr­äsident Hans Peter Wollseifer erklärt: „Etwa jede fünfte Meisterprü­fung wird von Frauen abgelegt.“Das ist eine Verdoppelu­ng innerhalb der vergangene­n 25 Jahre.

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FOTO: PETER ILG Handwerkli­che Maßarbeit: Tanja Pfau bei den letzten Feinarbeit­en an einem Rock.
 ?? FOTO: PETER ILG ?? Silvia Hohl hat sich als Malermeist­erin selbststän­dig gemacht. Ihr Mann arbeitet als Geselle bei ihr.
FOTO: PETER ILG Silvia Hohl hat sich als Malermeist­erin selbststän­dig gemacht. Ihr Mann arbeitet als Geselle bei ihr.

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