Viele Pfiffe und noch mehr Beifall für Merkel
Kanzlerin spricht vor 4000 Besuchern auf dem Münsterplatz - Protest und großes Polizeiaufgebot
●
ULM - Vor etwa 4000 Zuhörern hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in Ulm zum Abschluss des Bundestags-Wahlkampfes Steuererleichterungen für kleinere und mittlere Einkommen in Aussicht gestellt. Zur Flüchtlingskrise des Jahres 2015 sagte Merkel, die Aufnahme Notleidender aus Syrien, dem Irak und anderen Krisenstaaten sei „ein humanitäres Signal in einer humanitären Notsituation“gewesen. Klar sei aber, dass sich ein Jahr 2015 nicht wiederholen dürfe und werde. Über 100 Demonstranten versuchten, die Kundgebung mit Trillerpfeifen und Sprechchören zu stören. Die Bereitschaftspolizei trennte sie von Gegendemonstranten, die sich als Sympathisanten der linken Antifa-Bewegung zu erkennen gaben.
Im Schatten des Münsters sind seit dem Morgen Spürhunde unterwegs und schnüffeln nach Bomben. Ergebnislos. Gleichzeitig werden Betonpoller aufgestellt, damit nicht, wie in Barcelona oder auf dem Berliner Weihnachtsmarkt, ein TerrorLkw in die Menschenmenge hineinrasen kann. Auf dem Dach des Stadthauses stehen Beobachter mit Kamera und Ferngläsern. Die Stadt füllt sich mit Polizisten, in Uniform und Zivil. Wenn die Kanzlerin kommt, gilt die höchste Sicherheitsstufe.
Standardrede und Lob für Kemmer
Während auf dem Münsterplatz die letzten Vorbereitungen laufen und der Hubschrauber mit der Regierungschefin Kurs auf die Wilhelmsburg-Kaserne nimmt, versammeln sich in der Fußgängerzone die AfDAnhänger. Sie besprechen sich, wollen die Kundgebung stören. Unter ihnen: die Heilbronner AfD-Landtagsabgeordnete Carola Wolle.
Merkel landet in der Kaserne, stärkt sich, fährt zum Münsterplatz und wird vom CDU-Landesvorsitzenden, Innenminister Thomas Strobl, begrüßt. 35 Minuten dauert die Standardrede der Kanzlerin inklusive viel Lob für die heimische CDU-Abgeordnete Ronja Kemmer. Dazu: ein wenig Steuerpolitik, ein wenig Arbeitsmarkt-Strategie, ein paar Worte zur Digitalisierung und zur Bildung. Erwartungsgemäß stellt Merkel Steuererleichterungen für kleinere und mittlere Einkommen in Aussicht, „damit sich Leistung wieder lohnt, auch für die, die nicht so viel verdienen“. Zugleich verspricht sie, dass eine nächste Bundesregierung unter ihrer Führung „keinerlei Steuererhöhungen vornehmen“werde. Schrittweise werde zudem der Solidaritätszuschlag abgeschafft. „Für alle Menschen in Deutschland, denn alle haben geholfen, dass die deutsche Einheit gelingt“, sagt sie. Die meisten klatschen. Die Kanzlerin bleibt ihrer Linie bei Wahlkampfauftritten treu und erwähnt ihren Herausforderer von der SPD, Martin Schulz, kein einziges Mal.
Noch ist es weitgehend ruhig. Einige Mitarbeiter des Uniklinikums fordern bessere Bezahlung und mehr Stellen. Und auch die AfD-Anhänger halten ihre Plakate in die Luft. Auf ihnen fordern sie Merkel auf, das Land zu verlassen.
Kein Respekt unter Demokraten
Als die Kanzlerin aber die Flüchtlingskrise anspricht, wird aus dem Gegrummel der AfD-Anhänger ein Sprechchor: „Merkel raus“, „Lügnerin“. AfD-Kreisvorsitzender Eugen Ciresa kann nicht wirklich mit der Antwort überzeugen, er habe ja keine Kontrolle über seine Leute. Die oben genannte Landtagsabgeordnete skandiert eifrig mit. Von Respekt unter Demokraten ist nichts zu merken. Die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen sei „unsere Antwort auf 2015“, sagt Merkel, ein Trillerpfeifkonzert ist die Antwort. Klar sei aber, dass sich ein Jahr 2015 nicht wiederholen dürfe und werde: „Merkel muss weg!“-Rufe sind die Reaktion.
Die Bereitschaftspolizei zieht mit 25 Mann auf, die die Demonstranten von Gegendemonstranten trennen und deeskalieren. Niemand geht in den AfD-Block hinein, machen die Beamten unmissverständlich auch den Antifa-Sympathisanten klar, die ihrerseits linke Parolen brüllen. Szenen wie bei Merkel-Auftritten in den vergangenen Wochen, als es Schlägereien gab, als Tomaten flogen und als die Redner fast nicht mehr zu hören waren, soll es nicht geben, machen die Polizisten deutlich. Die Kanzlerin sagt dazu unter großem Beifall ihrer Anhänger: „Eines ist klar: Mit Brüllen und Pfeifen kriegen wir Deutschland nicht erfolgreich.“Mehr Aufmerksamkeit gewährt sie ihnen nicht.
Die Kundgebung ist zu Ende. Das rhythmische Klatschen übertönt das Dauerpfeifkonzert der Demonstranten. Erst als die Nationalhymne erklingt, schweigen auch die Trillerpfeifen. Die Polizisten ziehen die GehörschutzStopfen aus den Ohren. Merkel fliegt weiter: Um 19 Uhr in München wartet Horst Seehofer auf sie.