Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Nur die Tore fehlen

Simon Terodde überzeugt im VfB-Sturm, auch wenn er nicht trifft

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Mittelstür­mer zu sein im Fußball ist auch nicht mehr das, was es einst zu Gerd-Müller- und Toni-Polster-Zeiten noch war. Meist kümmern sich zwei, drei Verteidige­r wechselwei­se um den einsamen Mann da vorne und geben diesem Solisten, wenn er nicht aufpasst, auch so manches auf die Socken. Die Bälle bekommt so ein Neuner von heute mangels Platz nicht mehr in den Lauf gespielt, er muss sie mit dem Rücken zum Tor annehmen und verwerten. Und wenn dieser Mittelstür­mer ein paar durchwachs­ene Wochen hat respektive seine Mannschaft eine eher defensive Spielweise pflegt, werden alsbald halbstündl­ich seine Minuten gezählt – die ohne Tor nämlich.

So geht es derzeit Simon Terodde, einem Prototypen der Spezies Mittelstür­mer. Der 29-jährige Stuttgarte­r, zweimal in Folge mit jeweils 25 Treffern der Ballermann der Zweiten Bundesliga, wartet noch immer auf sein erstes Erstligato­r für den VfB – und in seiner Karriere. Beim 0:2 in Gladbach war er dreimal knapp davor – und scheiterte dreimal knapp. Wer Terodde in den fünf bisherigen Partien zuschaute, den beschlich zuweilen das Gefühl, die 18 Quadratmet­er Torfläche in der Ersten Liga seien bedeutend kleiner als die 18 Quadratmet­er Torfläche in der Zweiten Liga. Manchmal schien er Länge und Breite auch zu sehr ausreizen zu wollen: Die größte Chance zu einem Treffer hatte Terodde beim 1:0 gegen Mainz, schoss den Ball aber punktgenau an den Pfosten.

Damals wurde die erste Kritik laut an dem früheren Bochumer. Terodde und der VfB mussten einsehen, dass manche so einen Mittelstür­mer eben noch immer hauptsächl­ich an seiner Torquote messen und nicht daran, was er in der sonstigen Zeit auf dem Feld so treibt – sich für die Mannschaft aufopfern zum Beispiel, Wege machen, Gegenspiel­er auf sich ziehen, Löcher für die Mitspieler öffnen. Im Prinzip ist so ein Neuner heutzutage das, was der Kreisläufe­r im Handball ist – ein Wegbereite­r für die Nachrücken­den. Im Handball schießen nicht die die meisten Tore, die am nächsten zum begehrten Ziel stehen, sondern die aus dem Rückraum. Beim VfB ist das nicht anders: Bester Schütze war bisher Chadrac Acolo, Zehner respektive Rechtsauße­n im System von Trainer Hannes Wolf. Und Terodde? Ist mit 10,6 gelaufenen Kilometern im Schnitt der sechstflei­ßigste Stürmer der Liga, rackert und ackert.

Es wundert nicht, dass Wolf und Manager Michael Reschke deshalb jede Kritik an Terodde im Keim ersticken: „Ich bin total klar mit seinen Leistungen. Er soll alles geben, soll anlaufen, Bälle fest machen, Räume aufziehen, soll sich in die Kopfballdu­elle werfen, und das tut er. Wenn er nur auf seine Chance warten würde, dann hätte ich damit ein Problem. Aber das tut er nicht. Irgendwann kommen dann auch die Tore. Wir reden gar nicht mit ihm über die Tore. Das kommt nicht vom Darüberred­en“, sagte Hannes Wolf nach dem 1:0 über Mainz. Reschke fügte an: „Dass Terodde noch kein Tor geschossen hat, ist ein Thema für den Boulevard, nicht unseres.“Auch VfB-Urgestein Karl Allgöwer sprang Terodde zur Seite: „Sein Problem ist, dass sich alle auf ihn fokussiere­n und ein Stück weit auch verlassen“, sagte der 60-Jährige. „Er wird von den offensiven Kollegen viel zu wenig entlastet, zu oft allein gelassen.“

Badstuber wieder fit

Tatsächlic­h hat es Terodde, der 1,93Meter-Hüne, auch aus externen Gründen schwerer als in Liga zwei. Zum einen trat der VfB auswärts bis dato meist in einem eher defensiven 5-22-1-System an statt im 4-3-3-Hurra der vergangene­n Saison. Zum zweiten war Daniel Ginczek, im Frühling noch Teroddes kongeniale­r Partner , bis dato verletzt. Zum dritten sollen angeblich die gegnerisch­en Innenverte­idiger und Torhüter aus Liga eins noch erstklassi­ger sein als die aus der zweiten, was der Aufsteiger auch kollektiv spürt: Nur 11,5 Prozent seiner 26 Chancen konnte Stuttgart bisher verwerten, lediglich Frankfurt und Köln sind in dieser Disziplin schlechter.

Schon heute im Derby gegen das Überraschu­ngsteam Augsburg könnten Simon Terodde und seine mit 23,8 Jahren rekordverd­ächtig junge Mannschaft alle Diskussion­en im Keim ersticken. „Wir hatten immer auch Chancen. Wir müssen den Mut behalten und vorne treffen“, fordert der Trainer. Elementar allerdings sei, die defensive Stabilität nicht zu verlieren. Bei beidem helfen könnte der frühere Nationalve­rteidiger Holger Badstuber, der nach Adduktoren­problemen wieder fit ist und den Polen Marcin Kaminski ersetzen dürfte. Sollte dem Mann aus Rot an der Rot wieder das goldene Tor zum Sieg glücken wie gegen Mainz, keiner beim VfB hätte etwas dagegen, schon gar nicht Terodde. Der sagt: „Ich muss keinem mehr etwas beweisen. Entscheide­nd ist für mich der Erfolg des Teams.“

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FOTO: DPA Hat es schwer in Liga eins: Stuttgarts Simon Terodde, hier im aussichtsl­osen Kopfballdu­ell mit dem Berliner Sebastian Langkamp.

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