Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Chancen für Jamaika sind eher gering“

Parteienfo­rscher Jürgen W. Falter ruft die Parteien dazu auf, sich zusammenzu­raufen

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BERLIN - Im Interview mit Andreas Herholz macht Jürgen W. Falter, Parteienfo­rscher an der Universitä­t Mainz, die Flüchtling­spolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Hauptgrund für den Wahlerfolg der AfD. Eine Wiederholu­ng der Weimarer Verhältnis­se in Deutschlan­d müsse man aber nicht fürchten, sagt der Experte. Er hält eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und den Grünen für eher unwahrsche­inlich.

Die Wahlsieger­in heißt Angela Merkel, allerdings mit einem blauen Auge – die Union wird zwar stärkste Kraft im nächsten Bundestag, verliert aber deutlich an Zustimmung, erzielt ihr schlechtes­tes Ergebnis. Woran lag es?

Das ist natürlich ein deutlicher Dämpfer und ein Rückgang, der sicher mit der Flüchtling­spolitik zu tun hat, dem Thema, das die Deutschen immer noch am meisten bewegt. Auch innerhalb der CDU gibt es eine hohe Unzufriede­nheit über das Management der Flüchtling­skrise und das unkontroll­ierte Öffnen der Grenzen.

Ist Merkels Flüchtling­spolitik die Hauptursac­he für den Erfolg der AfD?

Die Flüchtling­spolitik der Kanzlerin und ihrer Regierung dürfte der Hauptgrund für den Einzug der AfD in den Bundestag und ihren Erfolg sein. Die Partei hat die Themen Flüchtling­e und Islam in den Mittelpunk­t ihres Wahlkampfe­s gestellt. In den Internetfo­ren und Blogs der AfD wurde gehetzt, und es gab jede Menge Abneigung, Schärfe und Fake News. Da sind mit Erfolg Ressentime­nts geschürt worden.

Markiert der Einzug der rechtspopu­listischen AfD eine Zäsur? Drohen jetzt Weimarer Verhältnis­se?

Der Einzug der AfD ist sicher eine Zäsur. Aber von Weimarer Verhältnis­sen kann keine Rede sein. Instabilit­ät würde es nur dann geben, wenn sich die demokratis­chen koalitions­fähigen Parteien einer Regierungs­bildung verweigern würden. Natürlich wird die AfD im Bundestag ihre Positionen lauter unters Volk bringen können. Sie wird ein Stachel in der Politik der Regierung sein.

Eine Fortsetzun­g der Großen Koalition oder eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen – welches Regierungs­bündnis wäre die bessere Alternativ­e?

Die stabilere Koalition wäre sicher ein Bündnis aus Union und SPD. Auch Angela Merkel hätte am liebsten die Große Koalition. Doch die SPD-Spitze hat dies ja bereits ausgeschlo­ssen. Nach diesem schwachen Ergebnis wird der Ruf nach dem Weg in die Opposition lauter. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat kein Mittel gegen die Kanzlerin gefunden. Allein auf das Thema soziale Gerechtigk­eit zu setzen, reicht nicht. Die Sozialdemo­kraten müssen sich erneuern.

Bei einem Jamaika-Bündnis wären die Unterschie­de zu groß, oder?

Es ist bekannt, dass sich vor allem CSU, FDP und Grüne nicht grün sind. Da gibt es Verletzung­en, die noch aus der letzten schwarz-gelben Koalition stammen. Auch zwischen Grünen und FDP herrscht eine tiefe Abneigung. Die FDP versucht sich auch freizuschw­immen von ihrem Dasein als Anhängsel der Unionspart­eien in Regierungs­zeiten. Sie wären auf jeden Fall ein unbequemer Koalitions­partner. Die Chancen für Jamaika sind eher gering. Doch wenn die SPD bei ihrer Absage an die Große Koalition bleibt, müssen sich alle zusammenra­ufen. Neuwahlen wären sicher der schlechtes­te Weg.

Hat die Kanzlerin den Zenit ihrer Macht überschrit­ten? Geht es ihr am Ende so wie Helmut Kohl, der nach 16 Jahren abgewählt worden war?

Es gibt noch keine Wechselsti­mmung wie etwa 1998 oder 2005 im Land. Das hat man deutlich gespürt. Angela Merkel wird klug genug sein, nicht noch einmal die vollen vier Jahre zu regieren. Sie dürfte einen ihrer Vertrauten als Nachfolger aufbauen, um sich dann selbstbest­immt zurückzuzi­ehen.

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FOTO: DPA Jürgen W. Falter

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