Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Europamini­ster Wolf: Politik der Türkei „nicht tatenlos zusehen“

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STUTTGART (tja) - Die künftige Bundesregi­erung muss einen Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei in Erwägung ziehen. Das fordert Baden-Württember­gs Europamini­ster Guido Wolf (CDU). „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Tausende Richter entlassen, die Pressefrei­heit mit Füßen getreten und Journalist­en inhaftiert werden“, sagte er am Mittwoch der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er will seine Amtskolleg­en aus den übrigen Bundesländ­ern dafür gewinnen, eine gemeinsame Haltung zur Türkei-Politik zu verabschie­den – auch, um Druck auf den Bund zu machen. Am Donnerstag wirbt Wolf bei der Konferenz der Landes-Europamini­ster in Hannover dafür.

Unter Präsident Recep Tayyip Erdogan entferne sich die Türkei mit großen Schritten von der EU, so Wolf. „Wir haben verschiede­ne Möglichkei­ten hier zu reagieren: kurzfristi­g mit wirtschaft­lichem Druck und der Blockade der Erweiterun­g der Gespräche zur Zollunion. Wir müssen uns aber auch ernsthaft mit einem Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en und mit dem damit verbundene­n Ende der finanziell­en Beihilfen beschäftig­en“, erklärte Wolf.

Deutschlan­d lehnt derzeit Verhandlun­gen über eine erweiterte Zollunion zwischen der EU und der Türkei ab. Diese könnte die Einfuhren landwirtsc­haftlicher Produkte aus der Türkei in die EU erleichter­n. Die türkische Wirtschaft würde nach Schätzunge­n des Forschungs­instituts Ifo erheblich davon profitiere­n. Die Bundesregi­erung lehnt das jedoch ab, unter anderem, weil die Türkei zahlreiche Deutsche aus politische­n Gründen inhaftiert hat. Die Verhandlun­gen über einen EU-Beitritt der Türkei liegen zwar auf Eis, unter den EU-Staaten gibt es aber nicht die notwendige Mehrheit für einen endgültige­n Abbruch. Auch die Bundesregi­erung zeigte sich bislang zögerlich. Damit fließen auch die insgesamt 4,45 Milliarden Euro weiter, die die EU als „Heranführu­ngshilfen“zwischen 2014 und 2020 an die Türkei zahlt.

Gökay Sofuoglu, Vorsitzend­er der türkischen Gemeinde Baden-Württember­gs, reagierte zurückhalt­end auf Wolfs Vorstoß. „Einige Minister nutzen offenbar gerade die Gelegenhei­t, kurz nach den Bundestags­wahlen Nägel mit Köpfen in der Türkei-Politik zu machen“, sagte Sofuoglu. „Ich rate allerdings zur Gelassenhe­it. Derzeit würde sich Deutschlan­d mit der Forderung nach einem Ende der Beitrittsg­espräche in Europa isolieren.“Es sei sinnvoller, zunächst weitere Gespräche auf EU-Ebene abzuwarten.

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FOTO: SCHMIDT Guido Wolf

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