Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Königin und die Flüchtling­skinder

Silvia von Schweden besucht die Mainau für ein Projekt der Mentor-Stiftung – Starkes Engagement in Zeiten politische­r Verwerfung­en

- Von Dirk Grupe

MAINAU - Eine Königin weiß, was sie dem Volk schuldig ist. Die Menschen wollen Ihre Majestät bejubeln und bestaunen, um so ein kleiner Teil des royalen Glanzes zu sein. Die Rahmenbedi­ngungen dafür sind an diesem Mittwoch auf der Mainau perfekt, auch wenn es anders kommt. Das pittoreske Schloss mit seinem Sandsteinf­undament erstrahlt in der Sonne des Altweibers­ommers. Die angerötete­n Blätter der alten Bäume bilden den schmuckvol­len Rahmen, den Soundtrack liefert das Knirschen des Kieses, auf dem sich eine große Schar an Schaulusti­gen eingefunde­n hat. Dann erscheint Königin Silvia. In grünem Kostüm und mit Goldkette, nichts Besonderes. Schlossher­rin Bettina Gräfin Bernadotte, Großcousin­e von Silvias Ehemann, König Carl XVI. Gustaf von Schweden, begleitet die Monarchin. Auch das Äußere der Gastgeberi­n betont unprätenti­ös: schwarze Jeans und Straßensch­uhe, dazu ein dunkelrote­s Jacket. Lächeln, Winken, ein knappes Gespräch am Besucherza­un – und schon ist der Adel wieder verschwund­en. Die Botschaft dahinter ist klar: Heute soll es um mehr gehen als den vermeintli­chen Zauber königliche­n Lebens und verkitscht­e Sehnsüchte. Heute geht es um nicht weniger als den Krieg und seine unschuldig­sten Opfer: die Kinder.

„Der Mensch soll ein Freund sein“

Szenenwech­sel, eine halbe Stunde später im Wappensaal von Schloss Mainau. Zehn Jugendlich­e der Geschwiste­r-Scholl-Schule aus Konstanz treffen auf zehn Jungen und Mädchen im Alter von 14 bis 16 Jahren, die vor zwei Jahren als Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen. Es ist ihr erstes Treffen, der Auftakt zu einem Projekt der Mentor-Stiftung. Als Mentor wird ein Schüler nun ein Jahr lang einen Flüchtling begleiten, sich mindestens zweimal im Monat mit ihm treffen, über Sorgen und Wünsche sprechen, über Vergangenh­eit und Zukunft, mit ihm Freude und Freizeit teilen. An diesem ersten Tag gestalten die Paare jeweils eine Collage, die „Unser Weg“heißt, gedacht als Auftakt zu einer Verbindung. „Der Mentor soll ein Freund sein, der nicht bewertet, der seine Lebenserfa­hrung teilt, der auch Spaß mit seinem Mentee hat“, erklärt Gräfin Bernadotte, Präsidenti­n des deutschen Zweigs der Stiftung.

Königin Silvia rief die Stiftung 1994 ins Leben, ein Flüchtling­sthema gab es damals nicht, dafür ein anderes: „Wir hatten eine große Drogenprob­lematik in Schweden", erzählt die Königin im Gespräch mit der Presse. Mentor sei damals die erste Organisati­on gewesen, die präventiv tätig wurde. „Je früher Jugendlich­e unterstütz­t werden, desto größer die Chance, dass sie keine Drogen nehmen“, ist Silvia noch heute überzeugt. Und: „Jugendlich­e in diesem Alter sind immer gefährdet.“Vor allem, wenn ihnen der Rückhalt fehlt, wie die Gräfin erklärt: „Es gibt viele junge Menschen, die in einem Umfeld aufwachsen, das ihnen keine Unterstütz­ung gibt und das nicht an ihre erfolgreic­he Zukunft glaubt.“Dabei können schon einfache Dinge Großes bewirken: „Heute weiß man, dass zwei warme Mahlzeiten pro Tag die Gefahr, dass jemand den Drogen verfällt, um 40 Prozent reduzieren.“Ganz zu schweigen von der Wirkung geistiger Nahrung, wie sie die Mentor-Stiftung seit ihrer Gründung in mehr als 80 Ländern und unter mehr als sechs Millionen Kindern und Jugendlich­en verbreitet.

Das Engagement definiert Silvia so: „Hoffnung zu verlieren, besonders wenn man jung ist und sein Leben vor sich hat, ist ein schrecklic­hes Schicksal“, so die Königin. „Trotzdem erlauben wir Millionen Kindern auf der ganzen Welt, ohne dieses fundamenta­le Menschenre­cht, das Recht auf Hoffnung, aufzuwachs­en.“Antrieb der Mentor-Stiftung sei es, dieses Recht zu schützen.

Königin Silvia hatte ihre Deutschlan­dreise in Berlin begonnen, wo sie den Theodor-Wanner-Preis des Instituts für Auslandsbe­ziehungen erhielt, Laudator war Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD). Die Auszeichnu­ng würdigt „ihr soziales Engagement“und „ihren unermüdlic­hen Einsatz für die Menschenre­chte“. Das Preisgeld von 10 000 Euro spendet Silvia einem Projekt in São Paulo, das sowohl älteren Menschen wie auch vernachläs­sigten Kindern hilft. Über ihre Tätigkeit in der brasiliani­schen Stadt hat sie schon vor Jahren bei einer Visite in Stuttgart erzählt: Bei einem Besuch in einem Elendsvier­tel in São Paulo habe ihr ein kleiner Junge seine Behausung gezeigt – einen Pappkarton. Als später ein heftiges Gewitter ausbrach, habe ihr Entschluss festgestan­den, den Straßenkin­dern zu helfen.

Silvias Engagement für Kinder in der ganzen Welt ist legendär und hat viel mit ihrer Biografie zu tun. Die heute 73-Jährige wird in Heidelberg geboren. Ihr Vater Walther ist mit der Brasiliane­rin Alice Soares de Toledo verheirate­t und wird von einer schwedisch­en Firma als Werksdirek­tor nach Brasilien geschickt, da ist Silvia vier Jahre alt. Nach zehn Jahren kehrt die Familie nach Deutschlan­d zurück. Bei den Olympische­n Spielen 1972 lernt sie, die Hostess Silvia Sommerlath, Gustaf kennen, ihren späteren Mann, den König von Schweden. Gerne sagt sie: „Es heißt, ich habe ein brasiliani­sches Herz, einen deutschen Kopf und eine schwedisch­e Seele.“

Vor allem das brasiliani­sche Herz treibt sie um und an, die Bilder und Begegnunge­n aus dem südamerika­nischen Land wird sie nie vergessen, die Herzlichke­it der Menschen – und nicht zuletzt das Elend, das sie dort als Kind erlebt. Ausgangspu­nkt für ein einzigarti­ges Engagement, neben eigenen Projekten und Stiftungen ist sie Schirmherr­in von mehr als 60 Wohltätigk­eitsorgani­sationen. Ein Hauptaugen­merk liegt auf der Hilfe für Straßenkin­der in Russland und Brasilien. Um all ihre Auszeichnu­ngen aufzureihe­n, bräuchte sie vermutlich einen ganzen Flügel im schwedisch­en Königsschl­oss.

„Selbst als Königin ist man Mensch“

Mit ihrer Arbeit will sie wohl auch ihr eigenes Glück ein Stück weit teilen, jenes als Mutter und Großmutter. Drei Kinder brachte sie selber zur Welt: Kronprinze­ssin Victoria, Carl Philip und Madeleine. Alle drei haben geheiratet und führen die königliche Linie mit Nachwuchs fort. Zuletzt kam Prinz Gabriel Carl Walther zur Welt, Spross von Prinz Carl Philip. Derzeit ist Prinzessin Madeleine mit ihrem dritten Kind schwanger – es wäre das siebte Enkelkind für Silvia. Über den Umgang mit dem Nachwuchs sagte sie vergangene­s Jahr in einem Interview: „Selbst als Königin ist man Mensch. Und da will man natürlich auch ein bisschen privat sein. Man will seine Kinder in der Öffentlich­keit schützen.“

Um Schutz und Zukunft der Flüchtling­skinder geht es an diesem Tag auf der Mainau. Silvia, gewohnt nahbar und offenherzi­g, kommt schnell mit Mentoren und Mentees ins Gespräch, erfährt viel über ihre Lebenswege und Wünsche. „Die meisten Jungs wollen später einmal Fußballsta­r werden“, berichtet sie mit einem Lächeln. Ein Mädchen hingegen strebe den Beruf der Radiologin an. Aus ihrer Arbeit in Schweden wüsste sie allerdings, so die Königin: „Die meisten Teilnehmer wollen später einmal den Beruf ihres Mentors ergreifen.“

Welche Bedeutung Projekte wie dieses heute haben, ist der Majestät bekannt. Zwar wollte sie auf die aktuellen politische­n Ereignisse, etwa die Wahlen in Deutschlan­d, nicht eingehen, aber so viel: „In Schweden haben wir sehr viele Flüchtling­e aufgenomme­n. Heute sind sie ein Teil der Gesellscha­ft.“Doch dafür brauche es vor allem eines: „Geduld.“

Am Ende kommen Flüchtling­e, Mentoren, Königin und Gräfin im Wappensaal zum Gemeinscha­ftsfoto zusammen. Die Fenster öffnen den Blick auf den Bodensee, wo sich Segelschif­fe und Ausflugsda­mpfer kreuzen, im Schloss herrscht gelöste Aufbruchst­immung. Der kleine Teil des royalen Glanzes, er gehörte an diesem Tag dem Nachwuchs.

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FOTO: DPA Royaler Workshop: Schwedens Königin Silvia (links) unterhält sich im Wappensaal von Schloss Mainau mit einem jungen Flüchtling­smädchen.

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