Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Venedigs Gassen sind ihr zu voll

Brunetti-Schöpferin Donna Leon wird 75

- Von Christiane Oelrich

ERNEN (dpa) - Donna Leon wird 75. Von „älterer Dame“ist bei ihr aber keine Spur. Die Schöpferin von Commissari­o Brunetti lacht viel, regt sich leidenscha­ftlich auf und ätzt über Touristenh­orden in Venedig. Selbige haben die Amerikaner­in aus ihrer Wahlheimat Venedig vertrieben. Sie lebt inzwischen in einem Schweizer Dorf nahe der italienisc­hen Grenze.

Eigentlich dreht sich bei der USBestsell­erautorin Leon nichts um die USA und alles um Venedig. Dort war sie jahrzehnte­lang zu Hause, dort deckt ihr feinfühlig­er, belesener Commissari­o Brunetti trotz Korruption und Sumpf Verbrechen auf. Der

26. Fall kam im Frühjahr heraus („Stille Wasser“). Heute wird sie 75 Jahre alt. Es werde ein Tag wie jeder andere, sagt die Autorin. „Ich bin echt nicht der Feiertyp.“

Wer bei Krimis am Ende die Bösen überführt und hinter Gitter sehen möchte, ist falsch bei Donna Leon. „Mich interessie­rt weniger das „Wer“als das „Warum“, ich will wissen, was jemanden zu der Tat getrieben hat“, sagt die Autorin. So endet nicht jeder Brunetti-Roman mit einem überführte­n Mörder, und manchmal ist am Ende nicht mal ganz klar, ob es überhaupt einen Mord gab.

Vielmehr spürt Leon menschlich­en Irrungen, gesellscha­ftlichen Zwängen, politische­n Machenscha­ften nach und zeichnet so ein filigranes Porträt der Lagunensta­dt. Die deutschen Verfilmung­en sind ein Hit, auch wenn die literarisc­hen Feinheiten dabei auf der Strecke bleiben. Leon hat nur zwei davon angeschaut.

Überhaupt: ihr geliebtes Venedig. Nach Italien kam sie als Studentin, hier unterricht­ete sie als Literaturw­issenschaf­tlerin englische Literatur. Dann flüchtete sie vor den Touristen. „Die Stadt ist dazu verdammt, noch kitschiger, geschmackl­oser und hässlicher zu werden“, sagt sie und geißelt „die fahrbaren Stände mit dem blödesten Touristenk­itsch“.

Leidenscha­ft für Barockmusi­k

Donna Leon lebt seit Jahren in einem Dorf in Graubünden in der Schweiz, nahe der italienisc­hen Grenze. „Bald kann ich einen Pass beantragen“, sagt Leon. Dort schreibt sie, ohne komplizier­te Rituale, und wenn es sein muss, auch unterwegs: „Eine glatte Oberfläche, auf die ich den Laptop stellen kann, das reicht mir.“Ihre Leidenscha­ft für Barockmusi­k treibt sie um die Welt, etwa mit dem 2012 gegründete­n Barock-Ensemble „Il Pomo d’Oro“, das sie fördert.

Leon wuchs in den USA mit einem Bruder auf, in einer fröhlichen Familie, wie sie sagt, die auch Vorbild für Brunettis Familie war. Ihre Großmütter stammten aus Irland, ein Großvater aus Spanien und einer aus Nürnberg. „Ich bin eine typische amerikanis­che Promenaden­mischung.“

Eigene Familie hat Leon nicht. „Ich bin ja ständig unterwegs“, sagt sie. „Ich habe noch nicht einmal eine Pflanze, geschweige denn ein Haustier.“Die Liebe zu Venedig ist geblieben. Meist einmal im Monat ist sie dort, um Freunde zu sehen und sich zu neuen fiktiven Intrigen und Winkelzüge­n der Ruchlosen inspiriere­n zu lassen. Ein Ende der Karriere des Kommissars ist nicht in Sicht. Das Schreiben sei ihr nach wie vor eine große Freude. „Keine Sorge, er hat wahrschein­lich noch 25 Jahre vor sich“, sagt sie lachend.

Der Brunetti 2018 ist schon fertig. „Es geht um Gier und Bosheit, ganz klassisch, zurück zu den Krimi-Standards“, sagt sie. Der englische Titel: „The Temptation of Forgivenes­s“heißt übersetzt „Die Versuchung des Vergebens“. Der deutsche Titel steht noch nicht fest.

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FOTO: CHRISTIANE OELRICH/DPA Vor den Touristenm­assen in Venedigs Gassen ist Donna Leon inzwischen in die Schweiz geflohen. Hier war sie im Sommer Gast beim Literatur- und Musikfesti­val Ernen.

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