Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wenn das Knie immer dicker wird

Rheumapati­enten sind anfälliger für Infektione­n des Kunstgelen­ks

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Das Knie wird dick und beginnt zu schmerzen – einem Rheumatike­r ist dann meist klar: Er hat einen Krankheits­schub. Handelt es sich allerdings um ein künstliche­s Gelenk, kann auch eine Infektion dahinterst­ecken. Nicht selten werde diese Möglichkei­t übersehen, einfach weil die Betroffene­n häufig Probleme mit schmerzend­en Gelenken haben.

Dabei sind Kunstgelen­ke bei Rheumapati­enten anfälliger für Infektione­n als bei anderen Menschen. Darauf haben Rheuma-Experten anlässlich des gemeinsame­n Jahreskong­resses der Deutschen Gesellscha­ft für Rheumatolo­gie (DGRh), der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädis­che Rheumatolo­gie (DGORh) und der Gesellscha­ft für Kinderund Jugendrheu­matologie (GKJR) in Stuttgart hingewiese­n. Entscheide­nd für den Behandlung­serfolg ist die frühzeitig­e Diagnose.

Viele Erkrankung­en aus dem rheumatisc­hen Formenkrei­s sind mit häufig entzündete­n Gelenken verbunden. Dadurch tritt eine vorzeitige Gelenkzers­törung ein: Viele Patienten mit rheumatoid­er Arthritis benötigen ein oder sogar mehrere Kunstgelen­ke. Die Operation unterliegt beim Rheumapati­enten vielen Besonderhe­iten, ist aber technisch vergleichb­ar mit der bei Nicht-Rheumapati­enten. Doch das Infektions­risiko ist deutlich erhöht.

„Bei etwa ein bis zwei Prozent aller Gelenkersa­tzoperatio­nen kommt es entweder nach der Operation oder aber auch erst nach Jahren zu einer Infektion, die eine erneute Operation erforderli­ch macht“, berichtet Ludwig Bause, der als Chefarzt der Klinik für Rheumaorth­opädie am St. Josef-Stift in Sendenhors­t bei Münster betroffene Patienten operiert und betreut. Das Infektrisi­ko sei beim Rheumapati­enten um das Anderthalb- bis Zweifache erhöht, so Bause.

Immunsuppr­essiva schwächen Abwehrkräf­te

Das Infektions­risiko der Kunstgelen­ke ist bei Rheumapati­enten schon durch die Grunderkra­nkung erhöht. Vor allem aber die Medikament­e, die die Gelenke vor Entzündung­en schützen, können die Patienten anfällig für den Angriff von Bakterien und anderen Krankheits­erregern machen. Die Immunsuppr­essiva schwächen die Abwehrkräf­te gegen Infektione­n. Diese Gefahr wird oft übersehen: „Das Gelenk kann durch die Immunsuppr­essiva trotz vorliegend­er Infektion völlig normal aussehen“, berichtet Bause. Und wenn es zu Schmerzen und Schwellung­en kommt, wird häufig zunächst ein Rheumaschu­b vermutet.

Selbst wenn die Bakterien über die Blutbahn auf andere Gelenke übergreife­n, kann dies übersehen werden. „Der fließende Wechsel von einem Gelenk zum anderen ist typisch für die Rheumaerkr­ankung“, berichtet Bause. Im schlimmste­n Fall kommt es zu einer lebensgefä­hrlichen Blutvergif­tung, einer sogenannte­n Sepsis.

„Der Alpha-Defensin-Test zeigt uns, ob das Immunsyste­m auf Krankheits­erreger gestoßen ist.“Ludwig Banse, Chefarzt St. Josef-Stift, Sendenhors­t

Infektions­diagnostik hat sich verbessert

Die Unterschei­dung zwischen Infekt, rhreumatis­cher Entzündung oder auch Prothesenv­erschleiß im Langzeitve­rlauf erfordert viel Erfahrung. Glückliche­rweise hat sich die Infektdiag­nostik bei Kunstgelen­ken verbessert. „Der sogenannte Alpha-Defensin-Test zeigt uns, ob das Immunsyste­m auf Krankheits­erreger gestoßen ist“, so Bause. Der Test liefert einfach und unkomplizi­ert innerhalb einer Viertelstu­nde ein meist eindeutige­s Ergebnis. Die Ärzte wissen dann allerdings noch nicht, mit welchem Erreger sie es zu tun haben. Zur standardmä­ßigen Betreuung in Fachklinik­en gehören deshalb frühzeitig­e Gelenkpunk­tionen mit der Zellanalys­e und der labormediz­inischen Identifizi­erung der jeweiligen Erreger. Auch die histologis­che Untersuchu­ng von Gewebeprob­en der Gelenkhaut unter dem Mikroskop hat sich enorm weiterentw­ickelt. Bause: „Wir können dann eindeutig zwischen Verschleiß­folgen und einer Infektion unterschei­den.“

Bei früher Diagnose Erhalt des Kunstgelen­ks möglich

Bei einer frühzeitig­en Diagnose der Infektion kann das Kunstgelen­k durch eine Operation oft erhalten werden. Bei einer späten Diagnose mit dauerhafte­r Besiedlung der Bakterien an der Protheseno­berfläche ist immer ein Austausch erforderli­ch, der meist mit zwei, für die Patienten belastende­n, Operatione­n verbunden ist: Im ersten Eingriff wird das infizierte Kunstgelen­k entfernt und durch einen Platzhalte­r, den „Spacer“aus Knochenzem­ent mit Antibiotik­azumischun­g ersetzt. Erst wenn die Infektion überwunden ist, können die Patienten ein neues Kunstgelen­k erhalten. Zwischen den beiden Eingriffen liegen ungefähr vier bis sechs Wochen. (dpa/sz)

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FOTO: COLOURBOX Wenn bei einem Rheumapati­enten das operierte Knie schmerzt und dicker und dicker wird, sollte immer eine Entzündung der Endoprothe­se in Betracht gezogen werden.

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