Steuerverschwendung in Milliardenhöhe
Bund der Steuerzahler prangert Anwachsen des Bundestages an und fordert „mutige Maßnahmen“
BERLIN (dpa/AFP) - Ob durch die Welt reisende bayerische Landtagsabgeordnete oder die überteuerte Forsthütte nahe Tettnang – der Staat verschleudert aus Sicht des Steuerzahlerbundes weiter Geld für zweifelhafte Projekte. Wie hoch das tatsächliche Ausmaß der Verschwendung sei, könne zwar niemand genau sagen. „Aber es sind Milliardenbeträge“, kritisierte Verbandspräsident Reiner Holznagel am Donnerstag in Berlin und forderte die künftige Regierungskoalition zu einem schärferen Vorgehen auf. Notwendig seien „mutige Maßnahmen“, damit die Steuergeldverschwendung bestraft werden könne, sagte Holznagel bei der Vorlage des aktuellen Schwarzbuches des Verbandes.
Im Schwarzbuch listet der Steuerzahlerbund auf, wo Bund, Länder oder Kommunen nach seiner Meinung sorglos mit dem Geld der Bürger umgehen – etwa durch Fehlplanungen, Nachlässigkeiten oder fragwürdige Projekte. Angeprangert werden dieses Jahr mehr als 118 Fälle.
Im aktuellen Bericht sieht der Verband auch durch den neuen Bundestag eine „Kostenlawine“auf die Steuerzahler zukommen. Das Anwachsen des Bundestags auf 709 Abgeordnete verursache allein 2018 Mehrkosten von 75 Millionen Euro. Bei den Gesamtkosten des Bundestags würden sich mandatsbedingte Kosten wie Entschädigung, steuerfreie Kostenpauschale, DienstreisenBudget und Fraktionszuschüsse auf mehr als eine halbe Milliarde Euro summieren. Weitere Millionen werden demnach für die Anmietung neuer Büros und den Verwaltungsausbau fällig. Grund für den großen Bundestag sei „das unberechenbare Bundeswahlrecht“. Deshalb ist im Bundestag nicht die gesetzliche Mindestzahl von 598 Abgeordneten vertreten, sondern er umfasst 709 Sitze. Für das Gesetz trügen die Bundestagsfraktionen die Verantwortung.
Der Steuerzahlerbund kritisiert zudem die Ausgaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) für Beratungsdienstleistungen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 habe das Bamf sieben Beratungsgesellschaften damit beauftragt, Vorschläge für eine Verbesserung der Arbeitsabläufe zu erarbeiten. Wegen der Eilbedürftigkeit sei auf eine Ausschreibung des Auftrages verzichtet worden.
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● BERLIN/STUTTGART - Die wohl teuerste Waldarbeiter-Hütte BadenWürttembergs erlangt nun bundesweite Aufmerksamkeit: Der Steuerzahlerbund hat das 610 000 Euro teure Holzgebäude bei Tettnang (Bodenseekreis) in seine Liste der größten Steuerverschwendungen aufgenommen. Die Tettnanger selbst nennen die überteuerte Hütte spöttisch nur „Waldschlösschen“: Das Gebäude war als Betriebshof für Forstarbeiter gedacht. „Stattdessen wurde daraus die Luxus-Variante eines multifunktionalen Betriebsgebäudes für mehr als 611 000 Euro“, so der Steuerzahlerbund.
Das Forsthaus ist nur ein Beispiel von mehr als Hundert drastischen Fällen von Steuerverschwendung von Bund, Ländern und Kommunen, die der Bund der Steuerzahler (BdSt) in seinem Schwarzbuch kritisiert. Exakt sei der Schaden zwar nicht zu beziffern, „aber es sind Milliardenbeträge“, schimpfte BdSt-Präsident Reiner Holznagel am Donnerstag bei der Vorstellung der Liste in Berlin. Eindringlich ermahnte er die künftige Regierung, das Geld-in-den-SandSetzen zu stoppen und forderte „mutige Maßnahmen“wie Strafen für besonders skandalöse Fehlplanungen. In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen werde besonders leichtfertig mit dem Geld umgegangen, so Holznagels bitteres Fazit.
Besonders in den Blick nahm der Steuerzahlerbund diesmal öffentliche Digitalisierungsprojekte, spielte das Thema im Bundestagswahlkampf doch eine zentrale Rolle. Auch hier erteilt der Verband die Note ungenügend. Als „teuersten Flop“identifizierte der BdSt die elektronische Gesundheitskarte. Sie sei 2006 als Aufbruch ins digitale Gesundheitszeitalter eingeführt worden, um Versicherten und Heilberufen viel Zeit zu sparen und die Versorgung zu verbessern. Doch nun seien „lediglich Stammdaten“übrig geblieben, die Karte habe praktisch keinen Zusatznutzen. 1,7 Milliarden Euro seien schon investiert worden, in den kommenden fünf Jahren sollten weitere 1,5 Milliarden folgen, obwohl kostengünstigere und effizientere Alternativen vorhanden seien. Die Karte sei „gescheitert“, so Holznagel am Donnerstag. „Die Regierung sollte die Reißleine ziehen“und das System einstellen.
Straße durch Vogelschutzgebiet
Beispiele für horrende Geldverschwendung durch Fehlplanungen, Schlamperei oder sinnlose Projekte listet der Steuerzahlerbund aus jedem Bundesland auf. So wurden sieben Millionen Euro in einen Hochsicherheitsgerichtssaal der Justizvollzugsanstalt München gesteckt. Leider wurde nicht an Toiletten in den Vorführzellen gedacht. Das Urteil über den Saal am ersten Verhandlungstag lautete daher: „verhandlungsuntauglich“. Gerügt werden auch 14 Abgeordnete des bayrischen Landtags, die für 40 000 Euro eine Woche durch Mexiko reisten, „um die bayrisch-mexikanischen Beziehungen zu stärken“. Fazit des BdSt: Polittourismus auf Kosten des Steuerzahlers.
Ein Fall vom anderen Ende der Republik: 8,4 Millionen Euro kostete eine Umgehungsstraße für das ostfriesische Bensersiel an der Nordseeküste. Allerdings führt die 2,1 Kilometer lange Strecke durch ein Vogelschutzgebiet, ist deswegen seit Monaten gesperrt und müsste im schlimmsten Fall wieder beseitigt werden. Typisches Beispiel einer „So-da-Straße“, die nur so dasteht, bemerkt Holznagel.
Parkhaus steht leer
Weit oben auf der Schwarzbuch-Liste steht auch ein Pannen-Parkhaus im niedersächsischen Winsen. Erst wurde der Bau mit 10,9 Millionen Euro drei Millionen Euro teurer als geplant. Jetzt wird das Parkhaus kaum genutzt und selbst bei einer Vollauslastung bliebe die Stadt auf Kosten sitzen. In Oldenburg zahlte die Carlvon-Ossietzky-Universität 3,3 Millionen Euro Miete für drei Jahrzehnte im Voraus. Nun laufen auf Druck des BdSt Ermittlungen wegen Untreue.
Skurrile Fälle gibt es auch aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg: Die Städte Köln und Potsdam testen solarbetriebene Luxusmülltonnen. Die sogenannten SolarPresshaie komprimieren den Müll, sodass die Hightech-Tonnen nicht so häufig geleert werden müssen. Doch kosten die innovativen Mülleimer deutlich mehr, als durch die selteneren Leerungen eingespart werden könnte. In Mecklenburg-Vorpommern wurden eine halbe Million Euro in ein Fledermaus-Ausweichquartier während der Renovierungsarbeiten an der Petersdorfer Brücke an der A 19 gesteckt. Experten bezweifeln, dass die Fledermäuse ihre neue Unterkunft annehmen.