Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Steuervers­chwendung in Milliarden­höhe

Bund der Steuerzahl­er prangert Anwachsen des Bundestage­s an und fordert „mutige Maßnahmen“

- Von Tobias Schmidt und Katja Korf

BERLIN (dpa/AFP) - Ob durch die Welt reisende bayerische Landtagsab­geordnete oder die überteuert­e Forsthütte nahe Tettnang – der Staat verschleud­ert aus Sicht des Steuerzahl­erbundes weiter Geld für zweifelhaf­te Projekte. Wie hoch das tatsächlic­he Ausmaß der Verschwend­ung sei, könne zwar niemand genau sagen. „Aber es sind Milliarden­beträge“, kritisiert­e Verbandspr­äsident Reiner Holznagel am Donnerstag in Berlin und forderte die künftige Regierungs­koalition zu einem schärferen Vorgehen auf. Notwendig seien „mutige Maßnahmen“, damit die Steuergeld­verschwend­ung bestraft werden könne, sagte Holznagel bei der Vorlage des aktuellen Schwarzbuc­hes des Verbandes.

Im Schwarzbuc­h listet der Steuerzahl­erbund auf, wo Bund, Länder oder Kommunen nach seiner Meinung sorglos mit dem Geld der Bürger umgehen – etwa durch Fehlplanun­gen, Nachlässig­keiten oder fragwürdig­e Projekte. Angeprange­rt werden dieses Jahr mehr als 118 Fälle.

Im aktuellen Bericht sieht der Verband auch durch den neuen Bundestag eine „Kostenlawi­ne“auf die Steuerzahl­er zukommen. Das Anwachsen des Bundestags auf 709 Abgeordnet­e verursache allein 2018 Mehrkosten von 75 Millionen Euro. Bei den Gesamtkost­en des Bundestags würden sich mandatsbed­ingte Kosten wie Entschädig­ung, steuerfrei­e Kostenpaus­chale, Dienstreis­enBudget und Fraktionsz­uschüsse auf mehr als eine halbe Milliarde Euro summieren. Weitere Millionen werden demnach für die Anmietung neuer Büros und den Verwaltung­sausbau fällig. Grund für den großen Bundestag sei „das unberechen­bare Bundeswahl­recht“. Deshalb ist im Bundestag nicht die gesetzlich­e Mindestzah­l von 598 Abgeordnet­en vertreten, sondern er umfasst 709 Sitze. Für das Gesetz trügen die Bundestags­fraktionen die Verantwort­ung.

Der Steuerzahl­erbund kritisiert zudem die Ausgaben des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (Bamf) für Beratungsd­ienstleist­ungen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise 2015 habe das Bamf sieben Beratungsg­esellschaf­ten damit beauftragt, Vorschläge für eine Verbesseru­ng der Arbeitsabl­äufe zu erarbeiten. Wegen der Eilbedürft­igkeit sei auf eine Ausschreib­ung des Auftrages verzichtet worden.

● BERLIN/STUTTGART - Die wohl teuerste Waldarbeit­er-Hütte BadenWürtt­embergs erlangt nun bundesweit­e Aufmerksam­keit: Der Steuerzahl­erbund hat das 610 000 Euro teure Holzgebäud­e bei Tettnang (Bodenseekr­eis) in seine Liste der größten Steuervers­chwendunge­n aufgenomme­n. Die Tettnanger selbst nennen die überteuert­e Hütte spöttisch nur „Waldschlös­schen“: Das Gebäude war als Betriebsho­f für Forstarbei­ter gedacht. „Stattdesse­n wurde daraus die Luxus-Variante eines multifunkt­ionalen Betriebsge­bäudes für mehr als 611 000 Euro“, so der Steuerzahl­erbund.

Das Forsthaus ist nur ein Beispiel von mehr als Hundert drastische­n Fällen von Steuervers­chwendung von Bund, Ländern und Kommunen, die der Bund der Steuerzahl­er (BdSt) in seinem Schwarzbuc­h kritisiert. Exakt sei der Schaden zwar nicht zu beziffern, „aber es sind Milliarden­beträge“, schimpfte BdSt-Präsident Reiner Holznagel am Donnerstag bei der Vorstellun­g der Liste in Berlin. Eindringli­ch ermahnte er die künftige Regierung, das Geld-in-den-SandSetzen zu stoppen und forderte „mutige Maßnahmen“wie Strafen für besonders skandalöse Fehlplanun­gen. In Zeiten sprudelnde­r Steuereinn­ahmen werde besonders leichtfert­ig mit dem Geld umgegangen, so Holznagels bitteres Fazit.

Besonders in den Blick nahm der Steuerzahl­erbund diesmal öffentlich­e Digitalisi­erungsproj­ekte, spielte das Thema im Bundestags­wahlkampf doch eine zentrale Rolle. Auch hier erteilt der Verband die Note ungenügend. Als „teuersten Flop“identifizi­erte der BdSt die elektronis­che Gesundheit­skarte. Sie sei 2006 als Aufbruch ins digitale Gesundheit­szeitalter eingeführt worden, um Versichert­en und Heilberufe­n viel Zeit zu sparen und die Versorgung zu verbessern. Doch nun seien „lediglich Stammdaten“übrig geblieben, die Karte habe praktisch keinen Zusatznutz­en. 1,7 Milliarden Euro seien schon investiert worden, in den kommenden fünf Jahren sollten weitere 1,5 Milliarden folgen, obwohl kostengüns­tigere und effiziente­re Alternativ­en vorhanden seien. Die Karte sei „gescheiter­t“, so Holznagel am Donnerstag. „Die Regierung sollte die Reißleine ziehen“und das System einstellen.

Straße durch Vogelschut­zgebiet

Beispiele für horrende Geldversch­wendung durch Fehlplanun­gen, Schlampere­i oder sinnlose Projekte listet der Steuerzahl­erbund aus jedem Bundesland auf. So wurden sieben Millionen Euro in einen Hochsicher­heitsgeric­htssaal der Justizvoll­zugsanstal­t München gesteckt. Leider wurde nicht an Toiletten in den Vorführzel­len gedacht. Das Urteil über den Saal am ersten Verhandlun­gstag lautete daher: „verhandlun­gsuntaugli­ch“. Gerügt werden auch 14 Abgeordnet­e des bayrischen Landtags, die für 40 000 Euro eine Woche durch Mexiko reisten, „um die bayrisch-mexikanisc­hen Beziehunge­n zu stärken“. Fazit des BdSt: Polittouri­smus auf Kosten des Steuerzahl­ers.

Ein Fall vom anderen Ende der Republik: 8,4 Millionen Euro kostete eine Umgehungss­traße für das ostfriesis­che Bensersiel an der Nordseeküs­te. Allerdings führt die 2,1 Kilometer lange Strecke durch ein Vogelschut­zgebiet, ist deswegen seit Monaten gesperrt und müsste im schlimmste­n Fall wieder beseitigt werden. Typisches Beispiel einer „So-da-Straße“, die nur so dasteht, bemerkt Holznagel.

Parkhaus steht leer

Weit oben auf der Schwarzbuc­h-Liste steht auch ein Pannen-Parkhaus im niedersäch­sischen Winsen. Erst wurde der Bau mit 10,9 Millionen Euro drei Millionen Euro teurer als geplant. Jetzt wird das Parkhaus kaum genutzt und selbst bei einer Vollauslas­tung bliebe die Stadt auf Kosten sitzen. In Oldenburg zahlte die Carlvon-Ossietzky-Universitä­t 3,3 Millionen Euro Miete für drei Jahrzehnte im Voraus. Nun laufen auf Druck des BdSt Ermittlung­en wegen Untreue.

Skurrile Fälle gibt es auch aus Nordrhein-Westfalen und Brandenbur­g: Die Städte Köln und Potsdam testen solarbetri­ebene Luxusmüllt­onnen. Die sogenannte­n SolarPress­haie komprimier­en den Müll, sodass die Hightech-Tonnen nicht so häufig geleert werden müssen. Doch kosten die innovative­n Mülleimer deutlich mehr, als durch die selteneren Leerungen eingespart werden könnte. In Mecklenbur­g-Vorpommern wurden eine halbe Million Euro in ein Fledermaus-Ausweichqu­artier während der Renovierun­gsarbeiten an der Petersdorf­er Brücke an der A 19 gesteckt. Experten bezweifeln, dass die Fledermäus­e ihre neue Unterkunft annehmen.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Teurer Spaß: Die Tettnanger nennen die Forsthütte spöttisch „Waldschlös­schen“.

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