„Mut zur weißen Wand“fordert Besucher heraus
Audio-Installation „Geteiltes Leid ist halbes Leid“im Stadthaus
●
ULM - „Es ist ein schwarzer Tag“, „die Trauer ist grenzenlos“, „das Leid ist jetzt unermesslich“. Monoton klingen die Stimmen aus den Kopfhörern. Es sind unabgeschlossene Sätze, einzelne Wörter und viele Phrasen – und alle drehen sich um ein Thema. Katastrophen, die das Jahr 2015 geprägt haben: Charlie Hebdo, German Wings, Brüssel. Die Fotografin Silke Schwarz kennt diese Bilder. Doch in ihrer Audioinstallation „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, die im Stadthaus Ulm besucht werden kann, ist keine ihrer Fotografien zu sehen.
Das Fehlen der Bilder gehört zum Konzept, wie Projektleiter Tommi Brem sagt: „Mut zur weißen Wand.“Denn die Aufnahmen existieren schon. Sie sind in unseren Köpfen. Nur wenige Wörter reichen – Terror, Anschlag, Absturz – und es kommen Bilder im Kopf hoch: von bewaffneten Männer, Flugzeugwrackteilen, Menschen, die Kränze niederlegen.
Doch nicht nur die Szenen gleichen sich. Auch die Sprache ähnelt sich immer wieder. Immer die gleichen Floskeln gebrauchen die Politiker und Moderatoren um das Unfassbare in Worte zu fassen: „und wir alle schauen fassungslos“, „in tiefe Trauer stützt“, „eine stille Trauer“.
Die Aussagen beziehen sich auf kein konkretes Ereignis. Sie können genauso auf aktuelle Ereignisse angewendet werden, wie den schrecklichen Amoklauf in Las Vegas oder die Bombenexplosion in einer Londoner U-Bahn. Losgelöst von den Vorfällen hat Schwarz die Phrase in einer Partitur angeordnet, arrangiert wie eine griechische Tragödie. Fünf Akte, in denen tragische und helle Momente nebeneinander stehen.
Diese sind auch in der Ausstellung zu finden. Denn beim Ein- und Austritt des Raumes wird man von Helene Fischers Schlagerhit „Atemlos“empfangen. Karnevalsstrophen statt Katastrophen also.
Das symbolisiert für Projektleiter Brem die beiden Welten, die in den Sozialen Medien zusammenprallen. Im Newsfeed sieht man kleine Kätzchen mit Wollknäueln spielen, nur eine Mausbewegung von Terroranschlägen oder Amokläufen entfernt. „Schon beim Rauslaufen aus der Ausstellung ist man gleich wieder von dem Alltag gefangen“, sagt Brem.
Nicht von ungefähr sind die Medien und ihr Umgang mit den Katastrophen ein wichtiger Aspekt in der Installation von Schwarz. „Ohne Betrachter gäbe es die Katastrophen nicht“, erläutert die Künstlerin. Die Dauerbeschallung durch Radio, Fernsehen, Sozialen Medien und Co. trägt dazu bei, dass die Quantität der Katastrophen steigt. Zumindest gefühlt. Zugleich stumpfen die Betrachter auch ab und zeigen sich besonders betroffen, wenn Deutsche von dem Unglück betroffen sind.
Die mediale Berichterstattung hat auch einen positiven Effekt: Im Schmerz sind die Menschen verbunden. „Je Suis Charlie“, „Pray for Paris“, „Berlin hält zusammen“. Das sind alles Solidaritätsbekundungen, die durch die Medien gegangen sind. In der Audioinstallation wird dieses Wir-Gefühl durch die kreisförmige Anordnung der Kopfhörer symbolisiert.
„Die Katastrophe hat was Vereinendes“: Statt allein vor dem Computer zu sitzen und die schrecklichen Nachrichten aufzunehmen, ist der Besucher der Zuschauer Teil einer Schicksalsgemeinschaft. Auch wenn diese nur zeitlich begrenzt ist. So stellt man doch fest: Die Reaktionen auf derart schreckliche Ereignisse wie Messerattacken oder Schießereien lassen sich gemeinsam leichter ertrage. Denn: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“
Öffnungszeiten: Die Audioinstallation kann im Ulmer Stadthaus jeweils Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr, donnerstags von 10 bis 20 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 18 Uhr besucht werden. Der Eintritt ist frei.