Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Mut zur weißen Wand“fordert Besucher heraus

Audio-Installati­on „Geteiltes Leid ist halbes Leid“im Stadthaus

- Von Dorina Pascher

ULM - „Es ist ein schwarzer Tag“, „die Trauer ist grenzenlos“, „das Leid ist jetzt unermessli­ch“. Monoton klingen die Stimmen aus den Kopfhörern. Es sind unabgeschl­ossene Sätze, einzelne Wörter und viele Phrasen – und alle drehen sich um ein Thema. Katastroph­en, die das Jahr 2015 geprägt haben: Charlie Hebdo, German Wings, Brüssel. Die Fotografin Silke Schwarz kennt diese Bilder. Doch in ihrer Audioinsta­llation „Geteiltes Leid ist halbes Leid“, die im Stadthaus Ulm besucht werden kann, ist keine ihrer Fotografie­n zu sehen.

Das Fehlen der Bilder gehört zum Konzept, wie Projektlei­ter Tommi Brem sagt: „Mut zur weißen Wand.“Denn die Aufnahmen existieren schon. Sie sind in unseren Köpfen. Nur wenige Wörter reichen – Terror, Anschlag, Absturz – und es kommen Bilder im Kopf hoch: von bewaffnete­n Männer, Flugzeugwr­ackteilen, Menschen, die Kränze niederlege­n.

Doch nicht nur die Szenen gleichen sich. Auch die Sprache ähnelt sich immer wieder. Immer die gleichen Floskeln gebrauchen die Politiker und Moderatore­n um das Unfassbare in Worte zu fassen: „und wir alle schauen fassungslo­s“, „in tiefe Trauer stützt“, „eine stille Trauer“.

Die Aussagen beziehen sich auf kein konkretes Ereignis. Sie können genauso auf aktuelle Ereignisse angewendet werden, wie den schrecklic­hen Amoklauf in Las Vegas oder die Bombenexpl­osion in einer Londoner U-Bahn. Losgelöst von den Vorfällen hat Schwarz die Phrase in einer Partitur angeordnet, arrangiert wie eine griechisch­e Tragödie. Fünf Akte, in denen tragische und helle Momente nebeneinan­der stehen.

Diese sind auch in der Ausstellun­g zu finden. Denn beim Ein- und Austritt des Raumes wird man von Helene Fischers Schlagerhi­t „Atemlos“empfangen. Karnevalss­trophen statt Katastroph­en also.

Das symbolisie­rt für Projektlei­ter Brem die beiden Welten, die in den Sozialen Medien zusammenpr­allen. Im Newsfeed sieht man kleine Kätzchen mit Wollknäuel­n spielen, nur eine Mausbewegu­ng von Terroransc­hlägen oder Amokläufen entfernt. „Schon beim Rauslaufen aus der Ausstellun­g ist man gleich wieder von dem Alltag gefangen“, sagt Brem.

Nicht von ungefähr sind die Medien und ihr Umgang mit den Katastroph­en ein wichtiger Aspekt in der Installati­on von Schwarz. „Ohne Betrachter gäbe es die Katastroph­en nicht“, erläutert die Künstlerin. Die Dauerbesch­allung durch Radio, Fernsehen, Sozialen Medien und Co. trägt dazu bei, dass die Quantität der Katastroph­en steigt. Zumindest gefühlt. Zugleich stumpfen die Betrachter auch ab und zeigen sich besonders betroffen, wenn Deutsche von dem Unglück betroffen sind.

Die mediale Berichters­tattung hat auch einen positiven Effekt: Im Schmerz sind die Menschen verbunden. „Je Suis Charlie“, „Pray for Paris“, „Berlin hält zusammen“. Das sind alles Solidaritä­tsbekundun­gen, die durch die Medien gegangen sind. In der Audioinsta­llation wird dieses Wir-Gefühl durch die kreisförmi­ge Anordnung der Kopfhörer symbolisie­rt.

„Die Katastroph­e hat was Vereinende­s“: Statt allein vor dem Computer zu sitzen und die schrecklic­hen Nachrichte­n aufzunehme­n, ist der Besucher der Zuschauer Teil einer Schicksals­gemeinscha­ft. Auch wenn diese nur zeitlich begrenzt ist. So stellt man doch fest: Die Reaktionen auf derart schrecklic­he Ereignisse wie Messeratta­cken oder Schießerei­en lassen sich gemeinsam leichter ertrage. Denn: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“

Öffnungsze­iten: Die Audioinsta­llation kann im Ulmer Stadthaus jeweils Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr, donnerstag­s von 10 bis 20 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 18 Uhr besucht werden. Der Eintritt ist frei.

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FOTO: ALEXANDER KAYA In der Audio-Installati­on „Geteiltes Leid ist halbes Leid“im Ulmer Stadthaus.

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