Plan für „Mufti-Ehe“löst Proteste in der Türkei aus
D● raußen vor dem Parlament von Ankara demonstrieren wütende weibliche Abgeordnete und Vertreterinnen von Frauenverbänden, aber Innenminister Süleyman Soylu versteht die Aufregung nicht. Die Frauen protestieren gegen einen Gesetzentwurf, nach dem islamische Geistliche bald offizielle Eheschließungen in der Türkei vornehmen dürfen. Diese „Mufti-Ehen“werden die Islamisierung des Landes und die Entrechtung der Frauen vorantreiben, sagen Frauenrechtlerinnen. Im Innenausschuss des Parlaments spielt Soylu von der islamischkonservativen Regierungspartei AKP die Bedeutung der Neuregelung herunter. Es gehe lediglich um die Erweiterung von Kompetenzen der staatlich angestellten Geistlichen, sagt er. Die „Mufti-Ehen“haben den Innenausschuss passiert und dürften trotz des Widerstands der Opposition bald mit der AKP-Mehrheit im Parlament beschlossen werden. Mit dem Gesetz erhalten Muftis – leitende Beamte der staatlichen Religionsbehörde in Provinzen und Landkreisen – die Kompetenz, rechtlich gültige Ehen nach dem Zivilgesetzbuch zu schließen. Bisher ist das Standesbeamten und Dorfvorstehern vorbehalten. Insbesondere in der türkischen Provinz werden viele Ehen bisher nur von islamischen Geistlichen geschlossen. Diese sogenannten „Imam-Ehen“sind rechtlich ungültig, die solchermaßen verheirateten Frauen sind daher rechtlos. Die „Mufti-Ehen“könnten diese Art der Eheschließung nun legalisieren und damit die Rechte dieser Frauen stärken. Die Regierung betont, der Einsatz der Muftis bei Eheschließungen werde das Heiraten einfacher und schneller machen und damit vielen bisher ungesetzlichen Partnerschaften eine Grundlage geben.
Für die konservative Wählerbasis
Vor allem aber will die AKP mit der Novelle ihre konservative Wählerbasis bedienen. Der Gesetzentwurf passt zur ideologischen Ausrichtung anderer Initiativen wie der kürzlichen Streichung des Evolutionskapitels aus den Schulbüchern, sagen Kritiker von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Sie sehen einen systematisch betriebenen Vormarsch des Islam im Alltag der offiziell säkularen Republik. Der Mufti der Metropole Istanbul, Hasan Kemal Yilmaz, betonte vor einigen Tagen, die bisher rund 3000 Moscheen in der Stadt seien nicht genug: Er will 10 000 weitere bauen lassen.
Nun werde mit den „Mufti-Ehen“den Kinder-, Zwangs- und Vielehen Vorschub geleistet, weil es den Muftis weniger auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften ankomme als auf den rechten Glauben der Eheleute, sagen Frauenrechtlerinnen. Die Standesämter und die ebenfalls zur Eheschließung berechtigten knapp 20 000 Dorfbürgermeister seien völlig ausreichend, sagt die Opposition.
Die Regierung solle sich lieber um die Eindämmung der Gewalt gegen Frauen kümmern, als sich Gedanken über eine Rolle islamischer Geistlicher bei offiziellen Eheschließungen zu machen, fordert die Opposition. Nach einer Zählung des Internetportals Bianet wurden in der Türkei in diesem Jahr bisher 183 Frauen ermordet, meist von ihren Ehemännern oder Ex-Männern. Im vergangenen Jahr zählte Bianet insgesamt 261 Todesopfer.