Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Große Kunst auf dem Heuberg

Die Geburtstag­sausstellu­ng des 90-jährigen Bildhauers Roland Martin findet im kleinen Renquishau­sen statt

- Von Siegfried Kasseckert

RENQUISHAU­SEN – Wenn ein Künstler 90 wird, erwartet sein Publikum üblicherwe­ise eine Retrospekt­ive an zentraler Stelle. Doch der Tuttlinger Bildhauer Roland Martin, der, wie berichtet, Ende Juli eben diesen großen Geburtstag feiern konnte, übt sich da eher in Bescheiden­heit. Seine Geburtstag­sausstellu­ng, die einzige in diesem Jahr, wird in einem kleinen Dorf auf dem Heuberg, hoch über dem Donautal bei Mühlheim gelegen, gezeigt: in Renquishau­sen.

Roland Martin, einst Kunststude­nt der Bernsteins­chule bei Haigerloch, die sich gleich nach dem Krieg als eine Art Nachfolges­chule des Bauhauses verstand, hat eine ungemein kreative Entwicklun­g hinter sich. Martin begann figürlich, orientiert­e sich also am Naturvorbi­ld, reüssierte später mit kinetische­n Lichtstele­n – eine davon steht im olympische­n Dorf in München, vor der 1972 sogar Gina Lollobrigi­da posierte. In den 1970er-Jahren wandte er sich wieder der figürliche­n Skulptur zu. Was damals bei der Kritik gar nicht gut ankam.

Im edel sanierten Bürgerhaus von Renquishau­sen beschränkt sich der Tuttlinger Bildhauer auf die figürliche Plastik, auf meist in Bronze gegossene Arbeiten, einige auch in Edelstahl, in Gips oder in Eisen. Was für ein Panoptikum! Da klettern zwölf Bronzefigu­ren ein Wandgestel­l hoch, alle nackt, weil, wie einmal ein Kunstkriti­ker gesagt hat, so die Gleichheit aller Menschen vor Gott betont werde. Ein gleichfall­s nackter Minister besucht mit Gefährten eine Ausstellun­g. In einem transparen­ten Kasten bewegt sich eine Skulptur, die den wundersame­n Titel „Mozart schiebt die moderne Musik an“trägt. Und man entdeckt immer wieder isoliert dastehende, vereinsamt­e Figuren, eine Frau vor blauer Wand, Sitzende, Beobachten­de, Kletternde. Dazu Reliefs. Und mehrere lebensgroß­e Figuren , wie einen kühnen Balanciere­r auf einem Reif. Martin verzichtet auf glatte Oberfläche­n. Er trägt beim Modelliere­n seiner Figuren Masse um Masse auf, ohne sie zu glätten. Alles nach dem Motto: Jeder Mensch hat seinen Riss. Oft konfrontie­rt er seine Schöpfunge­n mit geometrisc­hen Gegenständ­en, auch industriel­len Assemblage­n, was zu spannenden Metamorpho­sen führt und dem Betrachter Rätsel aufgibt. Seine Kunst entspricht dem, was große Kunst ausmacht: Sie ist unverwechs­elbar, originell, hat einen hohen Wiedererke­nnungswert und zeugt von Sensibilit­ät. Martin kennt die Menschen.

Ein Schlusswor­t gebührt dem Laudator Udo Braitsch, der, selbst ein renommiert­er Künstler (Maler), ein überaus qualifizie­rter gymnasiale­r Kunsterzie­her in Tuttlingen war und ein langjährig­er Freund Roland Martins ist. Seine sehr persönlich­e Einführung ins Martinsche Werk war eine Sternstund­e der Kunstinter­pretation. Braitsch, dem Hunderte von Schülern ihr Wissen über die und ihre Freude an der Kunst verdanken, versteht es wie sehr wenige, sein Publikum „mitzunehme­n“.

Weil wir in einer vom Christentu­m besonders geprägten Landschaft leben, erwähnte Braitsch auch Roland Martins Kruzifixe, zum Beispiel jene in Spaichinge­n, Tuttlingen und in Mühlheim, Figuren des Leidens.Selbst ein früherer Tuttlinger Oberbürger­meister brachte einst den Mut auf, sich einen nackten Christus Martins ins Arbeitszim­mer zu hängen.

Roland Martin in der Galerie Tabak in Renquishau­sen bis 5.November. Öffnungsze­iten: Mi., und Sa. 15-17 Uhr, So. 11-17 Uhr.

 ?? FOTO: KA ?? Roland Martin: „Hockender“.
FOTO: KA Roland Martin: „Hockender“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany