Eine gewisse florentinische Dame
Seit 500 Jahren fasziniert und irritiert Leonardos lächelnde Mona Lisa die Betrachter
So, Sie haben keine Ahnung von Kunst? Macht nichts, dieses Bild kennt einfach jeder. Fragen Sie beliebige Passanten in den Fußgängerzonen nach dem berühmtesten Gemälde der Welt, und Sie bekommen die Antwort: „Äh – Mona Lisa?“Bingo! Und was ist das Besondere an ihr? Auch das wissen die meisten Leute: das mysteriöse Lächeln. Millionen von Touristen besuchen den Pariser Louvre vor allem, um einen Blick auf die geheimnisvolle Italienerin zu werfen, die da im Saal 6 des DenonFlügels enttäuschend klein hinter Panzerglas hockt.
Man sieht die Brünette mit dem zart verschleierten Mittelscheitel nur unscharf vor einer düsteren Landschaft. Die Farben sind nachgedunkelt, die Augenbrauen verblasst, der Teint ist ziemlich verrunzelt von all der Krakelüre, so heißen die Risse in alter Ölfarbe. Ganz ehrlich: Es gibt schönere Frauen – auf Erden und, ja, auch in der Kunst. Aber alle sind verrückt nach dieser einen: Mona Lisa, italienisch „La Gioconda“, für die Franzosen „La Joconde“. Um 1503 oder später wurde sie von dem italienischen Renaissance-Genie Leonardo da Vinci in Florenz auf ein 77 mal 53 Zentimeter großes Pappelholzbrettchen gemalt. Und vor ziemlich genau 500 Jahren, im Oktober 1517, wurde sie zum ersten Mal schriftlich gewürdigt – und zwar im Reisetagebuch des Antonio de Beatis, der Sekretär des Kardinals Luigi von Aragon war.
Renaissance-Genie aus Florenz
Leonardo, 1452 als unehelicher Sohn eines Bauernmädchens und eines angesehenen Notars im Dorf Vinci geboren, hatte eine schillernde Karriere gemacht – nicht nur als Künstler, auch als Naturforscher, Ingenieur, Erfinder, Philosoph und Event-Manager für höhere Kunden. Leonardo plante und zeichnete unermüdlich, das malerische Oeuvre ist vergleichsweise klein. Nach einem Leben zwischen Florenz, Mailand und Rom war der alte Meister 1517 auf Einladung des französischen Königs Franz I. nach Frankreich gezogen und wohnte bis zu seinem Tod 1519 in dem Landschlösschen Clos Lucé bei Amboise, wo ihn der erwähnte Kardinal besuchte.
Sekretär Beatis schildert den 65jährigen Leonardo mit dem langen Bart als „Greis von mehr als 70 Jahren, einen der ausgezeichnetsten Maler unserer Zeit, der seiner Hochwohlgeboren drei Gemälde zeigte, eines von einer gewissen florentinischen Dame, nach der Natur gemalt auf Anregung des verstorbenen Magnifico Giuliano de Medici ...“Das war die Mona Lisa, Experten sind sich einig – und sie sorgen zugleich für Verwirrung, was die Identität der Porträtierten anbelangt.
Die Erwähnung des Giuliano de Medici, in dessen Diensten Leonardo zwischen 1513 und 1517 in Rom stand, könnte darauf hinweisen, dass es sich bei der Schönen um eine von Giulianos Mätressen handeln könnte. Doch das Bild wurde schon 1525, bald nach Leonardos Tod, als „La Gioconda“bezeichnet. Das könnte zwar nach dem Lateinischen „iucunda“auch einfach „Die Erfreuliche, Heitere“ heißen, ist aber zugleich der Familienname der dritten Ehefrau des Florentiner Seidenhändlers Francesco del Giocondo. Wie der frühe Kunsthistoriker Giorgio Vasari 1550 notierte, bestellte dieser Giocondo bei dem Maler da Vinci ein Bildnis von seiner Frau („ma donna“) Lisa, was später zu Mona Lisa wurde. Die ehrenwerte Lisa hatte ihrem Gatten, wie Frank Zöllner in seinem zweibändigen Leonardo-Buch (Taschen Verlag) beschreibt, 1503 einen zweiten gesunden Sohn geschenkt – wahrlich keine Selbstverständlichkeit in einer Zeit der hohen Kinder- und Müttersterblichkeit.
Nun fragt man sich allerdings, warum das Porträt nicht im neuen Haus der Giocondi aufgehängt wurde. Vielleicht gefiel es der Kundschaft nicht, vielleicht sah Leonardo es als unvollendet an. Jedenfalls hat er es selbst behalten und öffnete so das Feld der Spekulation. Manche behaupten bis heute, das Bild zeige gar nicht die bewusste Lisa, sondern die Markgräfin Isabella d’Este, deren Profil Leonardo zuvor schon gezeichnet hatte und die ihn schriftlich mehrfach vergeblich um ein gemaltes Porträt ersucht hatte.
Aber viel prickelnder ist die Vorstellung, dass es sich bei der Mona Lisa gar nicht um eine Frau handelt, sondern um einen Jüngling, den Leonardo besonders schätzte. Schon 1490 hatte er solchen Gefallen an dem zehnjährigen Werkstattgehilfen Gian Giacomo Caprotti alias Andrea Salaino Florentine gefunden, dass er den hübschen Knaben adoptierte und fortan mit ihm zusammenlebte. Er bezeichnete ihn streng-zärtlich als „Dieb, Lügner, Starrkopf, Vielfraß“und nannte ihn „Salai“, was nicht nur eine Abkürzung des Namens Salaino ist, sondern auch so viel bedeutet wie kleiner Teufel. Leonardo bildete sein Teufelchen zum Maler aus, soll ihn aber auch immer wieder abgebildet haben – zum Beispiel als „Johannes der Täufer“, der mysteriös lächelnd gen Himmel weist. Wenn man dieses vermutlich letzte Ölgemälde Leonardos (um 1513-16) so sieht, fällt gleich die Ähnlichkeit mit der Mona Lisa auf. Und ist Mona Lisa nicht ein Anagramm von Mon Salai?
Wie dem auch sei ... Der schöne Salai erbte die verbliebenen Meisterwerke Leonardos und machte damit gute Geschäfte. Wahrscheinlich war er es, der die vermeintliche Lisa an König Franz I. verkaufte. Andere sagen, Leonardo selbst habe dem königlichen Sammler noch kurz vor seinem Tod das Bild verkauft. Jedenfalls kam die „Gioconda“ins Schloss von Fontainebleau, wo sie die privaten Gemächer Seiner Majestät schmückte. In der Rokoko-Zeit gelangte das Bild an den Hof von Versailles, und nach der Revolution kam es in den Louvre, von wo es Napoleon mitnahm, um „La Joconde“in sein kaiserliches Schlafzimmer zu hängen. Nach der Verbannung des Impéreurs kehrte sie dann in den Louvre zurück, wo sie blieb – bis sie im August 1911 gestohlen wurde.
Ein italienischer Anstreicher namens Vincenzo Peruggia, der im Museum arbeitete, hatte sich im Schrank versteckt, das kleine Bild nachts aus dem Rahmen gelöst und am nächsten Tag herausgeschmuggelt. Niemand hatte etwas bemerkt. Es war ein ungeheurer Skandal. Die Kriminalpolizei tappte im Dunkeln und verdächtigte zeitweise den Dichter Apollinaire und den jungen Avantgarde-Maler Picasso, in den Fall verwickelt zu sein. Der wahre Dieb brachte das Bild ungehindert nach Italien. Er wurde erst ertappt, als er über zwei Jahre später im Dezember 1913 versuchte, das Bild in Florenz an einen Kunsthändler zu verkaufen, der den Direktor der Uffizien informierte und die Carabinieri rief.
Eine ganze Weile zögerten die Italiener zwar, ihre Gioconda an die Franzosen zurückzugeben, schließlich siegte aber die Diplomatie, und Mona Lisa lächelte wieder in Paris ihre zahlreichen Liebhaber an. Nur ganz böse Zungen behaupten bis heute, sie sei nicht mehr die alte, sondern nur eine gut gemachte Kopie.
Mehrfach attackiert und beschädigt
Die große Aufmerksamkeit war ihr seit dem Diebstahl noch sicherer. Den Zweiten Weltkrieg überstand sie ausgelagert in verschiedenen Schlössern, man befürchtete, sie könnte zur Beutekunst der deutschen Belagerer werden. Alles ging gut, und Mona Lisa kehrte 1947, vor 70 Jahren, ins Museum zurück, wo nicht nur wohlmeinende Menschen sie betrachteten. 1956 wurde das Bild gleich zweimal attackiert. Erst spritzte ein Unbekannter mit Säure und beschädigte den unteren Bildteil, dann, im Dezember, bewarf ein obdachloser Bolivianer namens Ugo Villegas die ungerührt lächelnde Lisa mit einem Stein, nachdem er sie, wie erzählt wird, stundenlang angestarrt hatte. Dabei wurde die schützende Glasscheibe zertrümmert und die Malschicht am linken Ellenbogen der Figur bis auf die Grundierung aufgeschrammt. Eine Restaurierung war nötig.
Nie mehr hätten die Kuratoren ihren Schatz aus den Augen gelassen. Aber Mona Lisa musste zweimal in die Welt reisen – aus Gründen der Staatsraison. Einmal, Anfang 1963, schickte Staatspräsident Charles de Gaulle „La Joconde“mit dem Schiff nach Amerika, um die französischamerikanischen Beziehungen zu pflegen. Sie wurde erst in der National Gallery in Washington und danach noch im New Yorker Metropolitan Museum of Art gezeigt. Erst in seinen Memoiren verriet der Museumsdirektor Thomas Hoving, dass im Lager des Metropolitan versehentlich eine Sprinkleranlage ausgelöst und die Mona Lisa heftig geduscht wurde. Mon dieu, die Pariser wurden noch nachträglich blass! Zehn Jahre später, 1973, musste das Liebchen aus dem Louvre noch in Tokio und Moskau diplomatische Dienste tun. Seither hängt sie sicher hinter kugelsicherem Panzerglas – und nur die Geduldigen, die auf Einlass warten, dürfen sie sehen und seufzen: Mona Lisa ...