Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mit Annette Schavan durch Rom

Die ehemalige Bildungsmi­nisterin lebt seit drei Jahren in Rom – Dort hat die Vatikan-Botschafte­rin ihre Lieblingsp­lätze

- Von Christoph Driessen

M● orgens um zehn Uhr ist die Piazza Santa Maria in Trastevere leer gefegt wie ein italienisc­her Dorfplatz. Auf den Stufen des Brunnens steht eine einzelne Frau und blinzelt in die Sonne. Schwarzes Poloshirt, schlohweiß­e Haare. Kaum ein deutscher Tourist dürfte in ihr noch die frühere Bundesbild­ungsminist­erin Annette Schavan erkennen, die 2013 nach Plagiatsvo­rwürfen zurücktrat und von der Berliner Bildfläche verschwand.

Ein Jahr später ging Schavan als Vatikan-Botschafte­rin nach Rom, als erste Frau an der Spitze der ständigen Vertretung Deutschlan­ds beim Papst. Mittlerwei­le ist sie eine kundige Römerin mit vielen persönlich­en Lieblingsp­lätzen in der Stadt. Wenn sie sich aber für einen entscheide­n muss, dann ist es dieser Platz in Trastevere, dem einstigen Arbeitervi­ertel „jenseits des Tibers“, so die Bedeutung des Namens. „Für mich ist es gleichsam das Dorf in der Stadt“, sagt sie. „Ein Dorf mit einer besonderen Botschaft.“Und diese Botschaft sagt nicht nur etwas über Rom und den Vatikan aus, sondern auch über eine Frau, die sich fern von Berlin neu erfunden hat.

„Wenn wir heute Abend durch Trastevere gehen, dann wimmelt es hier von Touristen“, erzählt die 62jährige Rheinlände­rin im Gehen. „Trastevere ist Kult. Ein wunderbare­s Fleckchen – auch für den klassische­n Touristen. Aber so wie jetzt – ganz still und leer – mag ich es besonders.“Es liegt etwas Friedliche­s über dem Viertel. Aus einem offenen Fenster erklingt Musik, ein Hund bellt, irgendwo spielt jemand Flöte.

Ihren Wechsel nach Rom beschreibt Schavan als Glücksfall. In jedem Fall schließt sich damit ein Kreis für sie: Als Theologin und praktizier­ende Katholikin erlebt sie nun aus nächster Nähe, wie Papst Franziskus die Kirche umkrempelt. Unter den Säulenkolo­nnaden des Petersplat­zes spürt man davon als Außenstehe­nder allerdings wenig. In Trastevere schon mehr. Santa Maria, die alte Basilika, ist ein Ort, den Franziskus mehrfach besucht hat. Hier hat er die wachsende Armut in Europa angeprange­rt.

Viele Sprachen, viele Kulturen

Jeden Abend um halb neun treffen sich in der ältesten Marienkirc­he Roms Menschen aus aller Welt zu einem Friedensge­bet der Laienbeweg­ung Sant’Egidio, die von Andrea Riccardi gegründet wurde und für ihre Friedensar­beit und ihr Engagement für Flüchtling­e bekannt ist. „Viele Sprachen, viele junge Leute“, schildert Schavan. „Menschen aus unterschie­dlichen Kulturen, Menschen auch unterschie­dlichen Glaubens.“

Etwas Besonderes kann man hier am ersten Weihnachts­tag erleben: Dann werden die Bänke aus der Kirche geräumt und stattdesse­n Tische aufgestell­t. Denn an diesem Tag gibt es ein Festessen für 300 Römer, die es sich selbst nicht leisten könnten. „Das sind Menschen, die das ganze Jahr über von den Mitglieder­n der Gemeinscha­ft begleitet werden“, berichtet Schavan. „Nicht nur zu Weihnachte­n.“Sie selbst hat hier vergangene­s Jahr mit serviert. „Für mich eine der eindrückli­chsten Weihnachts­erfahrunge­n überhaupt“, sagt sie. Am Ende gab es für jeden Gast ein persönlich­es Geschenk. „Das konnte man beim Auspacken genau sehen: dass diese Menschen genau das bekamen, was sie gerade dringend brauchten. Ein ungewöhnli­ch berührende­r Moment.“

Von der Piazza aus kann man einfach in eine der krummen Gassen abbiegen – welche, ist egal. Alte Fassaden bröckeln malerisch vor sich hin. Zitronenbä­umchen in Terrakotta­Töpfen verströmen balsamisch­e Düfte. Glockentön­e wehen durch die Luft. In den Cafés sitzen vereinzelt­e Gäste und rühren wie in Trance im Cappuccino. „Das Frühstück findet hier in ziemlich ruhiger Atmosphäre statt“, sagt Schavan. Ein Kaffee? Wäre doch eigentlich gar keine schlechte Idee.

An einem wackligen Tisch plaudert sie über ihre Arbeit in der Männerdomä­ne Vatikan. Gleich zu Anfang hat sie gegenüber dem Protokollc­hef klargestel­lt, dass sie nicht gedenke, bei Papst-Audienzen einen Schleier zu tragen. Hut muss reichen. Für Franziskus sei das auch nicht das geringste Problem: Der Südamerika­ner, der im kleinen Fiat vor dem Weißen Haus vorfuhr, interessie­re sich nicht für Protokollf­ragen. Mit ihm könne man ganz ungezwunge­n lachen.

Piazza Sant’Egidio. Wieder so ein Plätzchen, das auf fast kitschige Art malerisch ist – wären da nicht die beiden Soldaten mit ihrem Panzerwage­n und ihren Maschinenp­istolen vor der zierlichen Kirche. Das ehemalige Karmeliten-Kloster Sant’Egidio wirkt von außen unscheinba­r und ist doch seit Jahrzehnte­n Treffpunkt von Politikern, Aktivisten und den Kirchenleu­ten von Sant’Egidio rund um Andrea Riccardi. 1992 wurde hier der Friedensve­rtrag von Mosambik geschlosse­n, der 16 Jahre Bürgerkrie­g beendete. Auch im Libanon, in Guatemala und im Kosovo vermittelt­en die „Friedensst­ifter von Trastevere“wichtige Abkommen.

Im Inneren wirkt die Kirche mit ihren weiß getünchten Wänden unrömisch nüchtern, fast protestant­isch. „Es gibt hier in Trastevere viele kleine Kirchen und Kreuzgänge“, schwärmt Schavan. „Orte der totalen Stille mitten in der lärmenden Stadt.“

Schavan kommt noch aus einem anderen Grund gern hierher: Das ist die Trattoria degli Amici, das Lokal der Freunde. „Ein inklusives Restaurant, seit vielen Jahren arbeiten dort Menschen mit Behinderun­gen“, erzählt sie. „Neulich habe ich dort einen jungen behinderte­n Kellner kennengele­rnt, der der Einzige in einer großen Familie mit vielen Geschwiste­rn war, der ein Einkommen hat. Hier also eine Empfehlung an alle, die Rom besuchen: In dieser Trattoria kann man nicht nur lecker essen und guten italienisc­hen Wein bekommen, man unterstütz­t auch noch eine tolle Idee.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH DRIESSEN ?? Annette Schavan liebt es, vormittags durch die ruhigen Gassen von Trastevere zu bummeln.
FOTO: CHRISTOPH DRIESSEN Annette Schavan liebt es, vormittags durch die ruhigen Gassen von Trastevere zu bummeln.

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