Mit Annette Schavan durch Rom
Die ehemalige Bildungsministerin lebt seit drei Jahren in Rom – Dort hat die Vatikan-Botschafterin ihre Lieblingsplätze
M● orgens um zehn Uhr ist die Piazza Santa Maria in Trastevere leer gefegt wie ein italienischer Dorfplatz. Auf den Stufen des Brunnens steht eine einzelne Frau und blinzelt in die Sonne. Schwarzes Poloshirt, schlohweiße Haare. Kaum ein deutscher Tourist dürfte in ihr noch die frühere Bundesbildungsministerin Annette Schavan erkennen, die 2013 nach Plagiatsvorwürfen zurücktrat und von der Berliner Bildfläche verschwand.
Ein Jahr später ging Schavan als Vatikan-Botschafterin nach Rom, als erste Frau an der Spitze der ständigen Vertretung Deutschlands beim Papst. Mittlerweile ist sie eine kundige Römerin mit vielen persönlichen Lieblingsplätzen in der Stadt. Wenn sie sich aber für einen entscheiden muss, dann ist es dieser Platz in Trastevere, dem einstigen Arbeiterviertel „jenseits des Tibers“, so die Bedeutung des Namens. „Für mich ist es gleichsam das Dorf in der Stadt“, sagt sie. „Ein Dorf mit einer besonderen Botschaft.“Und diese Botschaft sagt nicht nur etwas über Rom und den Vatikan aus, sondern auch über eine Frau, die sich fern von Berlin neu erfunden hat.
„Wenn wir heute Abend durch Trastevere gehen, dann wimmelt es hier von Touristen“, erzählt die 62jährige Rheinländerin im Gehen. „Trastevere ist Kult. Ein wunderbares Fleckchen – auch für den klassischen Touristen. Aber so wie jetzt – ganz still und leer – mag ich es besonders.“Es liegt etwas Friedliches über dem Viertel. Aus einem offenen Fenster erklingt Musik, ein Hund bellt, irgendwo spielt jemand Flöte.
Ihren Wechsel nach Rom beschreibt Schavan als Glücksfall. In jedem Fall schließt sich damit ein Kreis für sie: Als Theologin und praktizierende Katholikin erlebt sie nun aus nächster Nähe, wie Papst Franziskus die Kirche umkrempelt. Unter den Säulenkolonnaden des Petersplatzes spürt man davon als Außenstehender allerdings wenig. In Trastevere schon mehr. Santa Maria, die alte Basilika, ist ein Ort, den Franziskus mehrfach besucht hat. Hier hat er die wachsende Armut in Europa angeprangert.
Viele Sprachen, viele Kulturen
Jeden Abend um halb neun treffen sich in der ältesten Marienkirche Roms Menschen aus aller Welt zu einem Friedensgebet der Laienbewegung Sant’Egidio, die von Andrea Riccardi gegründet wurde und für ihre Friedensarbeit und ihr Engagement für Flüchtlinge bekannt ist. „Viele Sprachen, viele junge Leute“, schildert Schavan. „Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, Menschen auch unterschiedlichen Glaubens.“
Etwas Besonderes kann man hier am ersten Weihnachtstag erleben: Dann werden die Bänke aus der Kirche geräumt und stattdessen Tische aufgestellt. Denn an diesem Tag gibt es ein Festessen für 300 Römer, die es sich selbst nicht leisten könnten. „Das sind Menschen, die das ganze Jahr über von den Mitgliedern der Gemeinschaft begleitet werden“, berichtet Schavan. „Nicht nur zu Weihnachten.“Sie selbst hat hier vergangenes Jahr mit serviert. „Für mich eine der eindrücklichsten Weihnachtserfahrungen überhaupt“, sagt sie. Am Ende gab es für jeden Gast ein persönliches Geschenk. „Das konnte man beim Auspacken genau sehen: dass diese Menschen genau das bekamen, was sie gerade dringend brauchten. Ein ungewöhnlich berührender Moment.“
Von der Piazza aus kann man einfach in eine der krummen Gassen abbiegen – welche, ist egal. Alte Fassaden bröckeln malerisch vor sich hin. Zitronenbäumchen in TerrakottaTöpfen verströmen balsamische Düfte. Glockentöne wehen durch die Luft. In den Cafés sitzen vereinzelte Gäste und rühren wie in Trance im Cappuccino. „Das Frühstück findet hier in ziemlich ruhiger Atmosphäre statt“, sagt Schavan. Ein Kaffee? Wäre doch eigentlich gar keine schlechte Idee.
An einem wackligen Tisch plaudert sie über ihre Arbeit in der Männerdomäne Vatikan. Gleich zu Anfang hat sie gegenüber dem Protokollchef klargestellt, dass sie nicht gedenke, bei Papst-Audienzen einen Schleier zu tragen. Hut muss reichen. Für Franziskus sei das auch nicht das geringste Problem: Der Südamerikaner, der im kleinen Fiat vor dem Weißen Haus vorfuhr, interessiere sich nicht für Protokollfragen. Mit ihm könne man ganz ungezwungen lachen.
Piazza Sant’Egidio. Wieder so ein Plätzchen, das auf fast kitschige Art malerisch ist – wären da nicht die beiden Soldaten mit ihrem Panzerwagen und ihren Maschinenpistolen vor der zierlichen Kirche. Das ehemalige Karmeliten-Kloster Sant’Egidio wirkt von außen unscheinbar und ist doch seit Jahrzehnten Treffpunkt von Politikern, Aktivisten und den Kirchenleuten von Sant’Egidio rund um Andrea Riccardi. 1992 wurde hier der Friedensvertrag von Mosambik geschlossen, der 16 Jahre Bürgerkrieg beendete. Auch im Libanon, in Guatemala und im Kosovo vermittelten die „Friedensstifter von Trastevere“wichtige Abkommen.
Im Inneren wirkt die Kirche mit ihren weiß getünchten Wänden unrömisch nüchtern, fast protestantisch. „Es gibt hier in Trastevere viele kleine Kirchen und Kreuzgänge“, schwärmt Schavan. „Orte der totalen Stille mitten in der lärmenden Stadt.“
Schavan kommt noch aus einem anderen Grund gern hierher: Das ist die Trattoria degli Amici, das Lokal der Freunde. „Ein inklusives Restaurant, seit vielen Jahren arbeiten dort Menschen mit Behinderungen“, erzählt sie. „Neulich habe ich dort einen jungen behinderten Kellner kennengelernt, der der Einzige in einer großen Familie mit vielen Geschwistern war, der ein Einkommen hat. Hier also eine Empfehlung an alle, die Rom besuchen: In dieser Trattoria kann man nicht nur lecker essen und guten italienischen Wein bekommen, man unterstützt auch noch eine tolle Idee.“