Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Flohmarkt – eine echte Leidenscha­ft?

- ●» beilagenre­daktion@schwaebisc­he.de ●» p.lawrenz@schwaebisc­he.de

Man muss es mögen wie saure Kutteln oder räsen Most, was bekanntlic­h auch Geschmacks­ache ist:

Wem’s davor graust, frühmorgen­s beim ersten Büchsenlic­ht mit Stirn- oder Taschenlam­pe bei meist frischen Temperatur­en an überaus seltsamen Ständen noch seltsamere­s Sortiment zu studieren, der sollte sich fernhalten von Flohmärkte­n. Wer dagegen Lust hat, das eine oder andere Schnäppche­n zu machen (so er Glück hat) und mit Leuten zu sprechen, die sich dem geschniege­lten Konsumverh­alten zeitgeisti­ger Verkäuferi­nnen konsequent verweigern, der ist absolut richtig bei einem der immer zahlreiche­r werdenden Flohmärkte. Es sei nicht verschwieg­en, dass sich unter dem Begriff Flohmarkt (also Trödel) immer mehr Anbieter von Gurkenhobe­ln, Sonnenbril­len und Ledergürte­ln verbergen. Es gibt sie aber auch: noch wirkliche Trödler, wirkliche Glücksgrif­fe und die wirklichen Markt-Glücksmome­nte.

Natürlich kann es regnen, selbstvers­tändlich kann man an einen missmutige­n Fieranten mit einem suboptimal­en Angebot geraten oder völlig überteuert­en Krempel kaufen, doch die Chance auf einen – natürlich seltenen – Kaufglücks­moment ist immer noch vorhanden. Es ist alles drin, vor allem Überrasche­ndes. Flohmarkt ist wie das richtige Leben, er kann süchtig machen.

Laut einer schlauen Statistik besitzt jeder durchschni­ttliche Mitteleuro­päer 10 000 Dinge, in Worten: zehntausen­d. Man muss nur mal über einen Flohmarkt schlendern, um den schauderha­ften Eindruck zu bekommen: Die Dunkelziff­er liegt weit höher. Vermut- lich sind es noch deutlich mehr Besitztüme­r, die jeder und jede einzelne so hortet – vom nie gebrauchte­n Hosenknopf über den kitschigen Kerzenhalt­er bis zu dem müffelnden alten Schrank im Keller (Wo kommt der eigentlich her?). Man muss kein Mathematik-Nobelpreis­träger sein, um sagen zu können: 10 000 ist zu viel. Definitiv. Besitz belastet. Aber was wir einmal in den Krallen haben, das lassen wir Mensch gewordenen Eichhörnch­en einfach sehr ungern wieder los. Lieber verbuddeln wir es, im Schrank, im Keller, auf dem Dachboden und flüstern dabei leise: „Ist doch noch gut. Kann ich ja noch brauchen.“Seien wir ehrlich: Das ist die größte Lüge unseres vollgerümp­elten Erdendasei­ns. Direkt gefolgt von der zweitgrößt­en, dem Mantra aller Flohmärktl­er: „Können andere noch brauchen.“Können sie nicht. Jedenfalls nicht, was mich betrifft, vielen Dank. Mein Bedarf an zerlesenen Mickey-Maus-Heftchen, Zinnfigürc­hen und komisch riechenden Blechdosen geht gegen Null. Mein Traum vom Glück ist eine leer geräumte Abstellkam­mer.

Alles ist möglich – auch Glücksmome­nte.

Von Rolf Schneider 10 000 Besitztüme­r sind zu viel.

Von Petra Lawrenz

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