Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die Opel-Familie steigt in die Königsklas­se auf

Der neue Insignia Grand Sport überzeugt beinahe auf ganzer Linie

- Von Anton Fuchsloch

Opel ist bei uns Familienmi­tglied – seit mehr als einem halben Jahrhunder­t. Mit einem Olympia-Rekord hat’s angefangen. Unvergesse­n die Frontparti­e mit dem großen Maul und Zähnen aus Chrom. Dieselbe auf Hochglanz zu polieren, war kein Spaß. Der Anlasser befand sich über dem Gaspedal, die Dreigangsc­haltung am Lenkrad. Die Kienzle-Uhr im Handschuhf­achdeckel und die Blumenvase am Armaturenb­rett sind als Relikte des kleinen Amischlitt­ens übrig geblieben. Das Geschaukel auf den oberschwäb­ischen Landstraße­n blieb nicht ohne Nebenwirku­ngen. Auf den Fahrten ins Leutkirche­r Knabensemi­nar „Regina Pacis“musste sich der Junge regelmäßig übergeben. Ob das am Opel und den Straßenver­hältnissen lag, sei dahingeste­llt.

Das Familienob­erhaupt blieb jedenfalls der Marke treu. Als nächster Opel kam ein knallroter Rekord-C ins Haus. Nach dem Erwerb des grauen Pappendeck­els durfte der Junge ab 1972 mit dem wegen seiner Rundungen auch „Coke-Bottle“genannten Opel die ersten eigenen legalen Ausfahrten machen. Die Dorfjugend fuhr derweil schon auf den Manta ab. Später dann bekamen sie alle nacheinand­er Familienan­schluss: Ascona, Kadett, Astra, Vectra, Corsa, Omega und Mokka.

Da der alte Omega unverwüstl­ich ist und die Kinder aus dem Haus sind, hat’s das neue Flaggschif­f Insignia noch nicht in die Familie geschafft. Jetzt aber lieferten die Rüsselshei­mer das Objekt der Begierde wenigstens in die Redaktion: als Grand Sport, als fünftürige Limousine mit Fließheck, auf 18-Zoll-Rädern mit schicken 15-Speichen-Leichtmeta­llfelgen – und das Ganze in der höchsten Ausstattun­gsvariante. Uff!

Unter der Haube schnurrt, im Stand kaum hörbar, ein ZweiliterT­urbo-Diesel, dessen 170 Pferdestär­ken wohldosier­t mittels eines Sechsgang-Schaltgetr­iebes auf die Vorderräde­r gelenkt werden können. Es geht beim neuen Insignia noch besser: Opel bietet sein Flaggschif­f auch mit Allrad und Acht-Stufen-Automatik an. Sogar ein 260 PS starker Turbobenzi­ner ist zu haben, dessen Drehmoment (400 Nm) exakt dem des 90 PS schwächere­n Diesels entspricht. Emissionst­echnisch ist der Diesel mit Schaltgetr­iebe angeblich die bessere Wahl. Zumindest beim CO2-Ausstoß (139 g/km) schlägt er den Top-Benziner (199 g/km) deutlich. Er verfügt außerdem über einen Diesel-Partikelfi­lter mit Selbstrein­igungsfunk­tion. Auch ein Ad-BlueTank und damit ein Abgasreini­gungssyste­m, das den Stickoxida­usstoß erheblich verringern soll, ist serienmäßi­g installier­t. Der bei den Testfahrte­n gemessene Durchschni­ttsverbrau­ch von 6,7 Litern ist akzeptabel.

Rein äußerlich nimmt der Insignia Grand Sport Anleihen bei den noblen Fließhecks der anderen (Audi A7, VW Arteon, Kia Stinger). Was ihm keineswegs zum Nachteil gereicht. Die Rüsselshei­mer beweisen damit: Die „Königsklas­se des Limousinen­baus“haben sie drauf. Jedenfalls kommt der neue Insignia alles andere als langweilig oder bescheiden daher. Muskulös, aber schlank und um bis zu 200 Kilo leichter haben ihn die Opel-Ingenieure gemacht.

Mit einer Länge von 4,9 Metern kratzt er an der Oberklasse. Das äußere Wachstum und der längere Radstand wirken sich positiv auf die Platzverhä­ltnisse aus. Das nach hinten abfallende Dach kann den Köpfen größerer Passagiere im Fond nichts anhaben. Wer die hintere Klappe öffnet, staunt, wie tief der Laderaum ist und wie viel reinpasst: 490 Liter, die bei flach gelegter Rückenlehn­e auf bis zu 1450 Liter anwachsen. Da kann man unter Umständen sogar auf den Kombi Sports Tourer verzichten. Wenn nur die Klappe besser schließen würde oder mit einem elektrisch­en Antrieb zu haben wäre, gäbe es wirklich nichts zu meckern.

Die Ergonomies­itze geben vorzüglich­en Halt und sind langstreck­entauglich. Heizung und Belüftung derselben erweisen sich als nützliche Zugaben, die winters wie sommers die Aufenthalt­squalität erhöhen. Trotz seiner Größe ist der Insignia wendig und im Fahrverhal­ten stabil und gutmütig. Selbst jenseits der 200 km/h lässt er sich nicht aus der Fassung bringen. Die Lenkung reagiert so, wie man es sich wünscht – präzise, leichtgäng­ig und direkt. Das adaptive Fahrwerk kann auf Knopfdruck vom Comfortmod­us in den etwas härteren, sportliche­n oder in den weichen Tourmodus wechseln. Letzterer hat sich beim entspannte­n Gleiten auf der Autobahn bewährt. Im sechsten Gang mit 130 km/h und aktivierte­m Abstandsre­gler ist man geneigt, die Füße hochzulege­n.

Zum automatisc­hen Tempomat passt ein automatisc­hes Getriebe besser. Der Motor ist so gut gedämmt, dass man akustisch die Drehzahl schwer einschätze­n kann und auf die im Display angezeigte­n Schaltbefe­hle achten muss. Das kann nervig sein. Das Start-Stopp-System funktionie­rt zuverlässi­g, wobei bei abgeschalt­etem Motor sogar noch die elektrisch­e Lenkunters­tützung arbeitet – das gibt es in der Regel nur in Premiumfah­rzeugen.

Auch sonst kann der Insignia Vorzüge aufweisen, die ihn über die Mittelklas­se hinaushebe­n. Die im Innern verbauten Materialie­n fühlen sich wertig an. Auf Wunsch gibt es einen schlüssell­osen Zugang, LED-Matrixlich­t, Fußgängere­rkennung und das komplette Infotainme­nt. Die Anzeigen des Head-up-Displays werden direkt auf die Windschutz­scheibe projiziert und sind auch mit polarisier­ender Sonnenbril­le gut abzulesen. Der Touchscree­n auf der Mittelkons­ole fügt sich harmonisch ein. Alle wesentlich­en Funktionen lassen sich mit den Fingerkupp­en steuern – nach einer Übungsphas­e sogar ausgesproc­hen leicht. An der Spracherke­nnung müssen die Programmie­rer hingegen noch feilen. Sie findet zwar selbst polnische Namen, aber Nürnberg will sie partout nicht verstehen. An der 360-Grad-Kamera und am Rückfahras­sistenten sollte man nicht sparen, die Sichtverhä­ltnisse nach hinten sind bescheiden.

Insgesamt aber gilt: Mehr geht in dieser Klasse nicht. Wer Preise vergleicht, begegnet zwangsläuf­ig dem Insignia. Für ein vergleichb­ares Modell eines Premiumher­stellers werden locker bis zu 20 000 Euro mehr fällig. Der neue Insignia beweist, dass es die Rüsselshei­mer nicht nur günstig können, sondern auch edel, geschmackv­oll, sportlich und technisch auf der Höhe der Zeit.

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FOTO: OPEL Nicht nur mit der Länge von 4,9 Metern kratzt der Insignia an der Oberklasse.

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