Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der große Rumms

Astronomen zeichnen erstmals Gravitatio­nswellen von der Kollision zweier Neutronens­terne auf

- Von Stefan Parsch

Albert Einstein hat es schon immer gewusst: Erneut haben Detektoren die von dem Physiker vorhergesa­gten Gravitatio­nswellen empfangen. Sie stammen vom Crash zweier kollidiere­nder Neutronens­terne (Foto: dpa). Das Ereignis könnte eine neue Ära der Astronomie einleiten.

PARIS (AFP) - Sensatione­ller Durchbruch in der Weltraumfo­rschung: Erstmals haben Wissenscha­ftler in Europa und den USA Gravitatio­nsund Lichtwelle­n bei der Verschmelz­ung zweier sogenannte­r Neutronens­terne gemessen. Wie die Forscher am Montag mitteilten, ermögliche­n die Messungen zahlreiche neue Erkenntnis­se, etwa über die Geschwindi­gkeit der Ausbreitun­g des Universums oder die Herkunft von schweren Elementen wie Gold, Platin und Blei.

„Alle unsere Träume sind wahr geworden“, sagte Alan Weinstein von der Caltech Universitä­t im kalifornis­chen Pasadena. Vom „Beginn einer neuen Ära“für das Verständni­s des Universums sprach Elena Pian vom italienisc­hen Institut für Astrophysi­k (Inaf). Mit den Erkenntnis­sen über die Verschmelz­ung von Neutronens­ternen wurde eines der großen Geheimniss­e des Kosmos gelüftet.

Der beobachtet­e Zusammenpr­all zweier dieser Sterne, die sich durch ihre extreme Dichte auszeichne­n, fand vor 130 Millionen Jahren statt, wie Wissenscha­ftler unter anderem auf Pressekonf­erenzen in Washington und im bayerische­n Garching mitteilten – in einer Zeit, in der Tyrannosau­rus Rex noch die Erde beherrscht­e. Die Überbleibs­el der Kollision erreichten am 17. August um genau 14.41 Uhr MESZ die Erde. Gemessen wurden sie zunächst in Form von Gravitatio­nswellen vom US-Detektor Ligo und dem europäisch­en Observator­ium Virgo in Italien.

Registrier­t wurden die Gravitatio­nswellen über den erstaunlic­h langen Zeitraum von 100 Sekunden hinweg. Nur zwei Sekunden nach den Gravitatio­nswellen wurde dann am

17. August ein Ausbruch von Gammastrah­len registrier­t, gefolgt von weiteren Messungen anderer elektromag­netischer Strahlen.

Die gemeinsame Quelle der Lichtphäno­mene wurde durch den Einsatz zahlreiche­r Teleskope lokalisier­t, darunter solche der Europäisch­en Südsternwa­rte ESO, die ihren Hauptsitz in Garching hat und Teleskope in der chilenisch­en AtacamaWüs­te betreibt.

Verzerrung­en der Raumzeit

Gravitatio­nswellen waren erstmals vor zwei Jahren nachgewies­en worden – eine Entdeckung, die in diesem Jahr mit den Physik-Nobelpreis für drei US-Forscher gewürdigt wurde. Bei diesen Wellen handelt es sich um Verzerrung­en der Raumzeit, die Albert Einstein bereits vor gut hundert Jahren im Rahmen seiner Relativitä­tstheorie vermutet hatte.

Die in den vergangene­n zwei Jahren gemessenen Gravitatio­nswellen stammten jedoch in allen vier Fällen von verschmelz­enden Schwarzen Löchern – die Ereignisse dauerten nur ein paar Sekunden und blieben unsichtbar für Teleskope im Weltall und auf der Erde. Nun sei zum ersten Mal „im sichtbaren Licht eine Quelle von Gravitatio­nswellen vermessen“worden, erklärten die ESO-Forscher.

Aufgrund der Daten aus dem Zusammenst­oß der Neutronens­terne konnten die Wissenscha­ftler eine neue Messmethod­e für die Geschwindi­gkeit entwickeln, mit der sich das Universum ausdehnt. Ferner beobachtet­en sie, dass der kosmische Zusammenpr­all eine breite Materiespu­r hinterließ.

Dies deutet darauf hin, dass womöglich die Hälfte der schweren Elemente auf der Erde bei der Fusion dieser unfassbar kompakten Sterne entstanden sind – eine Handvoll Materie dieser Sternen wiegt so viel wie der Mount Everest. „Das Gold in Ihrem Hochzeitsr­ing stammt wahrschein­lich von einer Neutronens­ternversch­melzung, die sich vor fünf Milliarden Jahren und damit vor der Entstehung der Sonne in unserem Teil der Galaxis ereignet hat“, sagte Patrick Sutton von der Universitä­t Cardiff.

Wissenscha­ftler weltweit reagierten verblüfft. „Dieser erste Nachweis der Gravitatio­nswellen von verschmelz­enden Neutronens­ternen ist für sich allein genommen schon extrem spannend“, erklären Karsten Danzmann, Bruce Allen und Alessandra Buonanno vom Max-PlanckInst­itut für Gravitatio­nsphysik in Hannover und Potsdam in einer Institutsm­itteilung. „Aber die Kombinatio­n mit Dutzenden von Folgebeoba­chtungen im elektromag­netischen Spektrum macht es wirklich revolution­är.“

Unfassbare Massen

Neutronens­terne sind Danzmann zufolge die „komplizier­testen Objekte im Universum“. Diese Himmelskör­per bleiben übrig, wenn ein massereich­er Stern in einer Supernova explodiert. Bei einem Durchmesse­r von etwa 20 Kilometern besitzen sie das Zweifache der Masse der Sonne oder 700 000 Erdmassen. Ein Teelöffel voll Neutronens­ternmateri­al entspricht der Masse von rund einer Milliarde Tonnen.

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 ?? FOTO: ESO/L. CALÇADA/M. KORNMESSER ?? Künstleris­che Darstellun­g zweier Neutronens­terne kurz vor ihrer Verschmelz­ung.
FOTO: ESO/L. CALÇADA/M. KORNMESSER Künstleris­che Darstellun­g zweier Neutronens­terne kurz vor ihrer Verschmelz­ung.

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