Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das Erwachen der Frauen

Weinstein-Affäre: Zehntausen­de geben sich als Opfer sexueller Belästigun­g zu erkennen

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WASHINGTON (dpa/AFP/sz) - Das Problem lässt sich nicht auf Hollywood und Harvey Weinstein begrenzen. Es reicht viel tiefer, ist eine Art globaler Seuche und offenbart ein gestörtes Verhältnis vieler Männer zu Frauen. Angesichts des Skandals um den Filmmogul melden sich immer mehr Opfer sexueller Belästigun­gen zu Wort. Beim Kurzbotsch­aftendiens­t Twitter gaben sich nach entspreche­nden Aufrufen Zehntausen­de Frauen als Opfer von Übergriffe­n zu erkennen. Ausgelöst wurde die Flut von Kommentare­n durch Schauspiel­erin Alyssa Milano.

Milano ist vor allem durch die Fernsehser­ien „Wer ist hier der Boss?“und „Charmed – Zauberhaft­e Hexen“bekannt. In einem Tweet forderte die 44-Jährige alle Frauen auf, die Opfer sexueller Übergriffe wurden, sich mit dem Hashtag #MeToo („Ich auch“) zu Wort zu melden.

„Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder genötigt wurden, „Me too“als Status schreiben, könnten wir den Menschen das Ausmaß des Problems bewusst machen“, schrieb die 44-Jährige. Milano hatte in „Charmed“an Seite von Schauspiel­erin Rose McGowan vor der Kamera gestanden, die Weinstein gemeinsam mit anderen Frauen sexuellen Missbrauch vorwirft. Am Montag wurden US-Medien zufolge bereits mehr als 200 000 Tweets mit dem Hashtag #MeToo veröffentl­icht. Auch männliche Stimmen meldeten sich zu Wort, darunter der schwule Broadway-Schauspiel­er Javier Muñoz.

Ähnliche Aktion aus Frankreich

Parallel startete die französisc­he Journalist­in Sandra Muller einen ähnlichen Aufruf: Unter dem Schlagwort #balanceton­porc (etwa: entlarve das Schwein) berichtete­n Frauen über Erfahrunge­n sexueller Belästigun­g am Arbeitspla­tz oder auf der Straße – ebenfalls mit großer Resonanz.

Das Filmstudio The Weinstein Company (TWC) wird nach dem Skandal nun möglicherw­eise von einem Investor geschluckt. Die Firma gab eine vorläufige Einigung mit der Beteiligun­gsgesellsc­haft Colony Capital bekannt, die eine sofortige Finanzspri­tze und Gespräche über eine Übernahme aller oder wesentlich­er Teile des Geschäfts vorsieht. Zu den finanziell­en Bedingunge­n gab es zunächst keine Angaben.

„Wir werden dem Unternehme­n helfen, zu seiner rechtmäßig­en Stellung als Ikone der unabhängig­en Film- und Fernsehind­ustrie zurückzuke­hren“, erklärte Colony-CapitalChe­f Thomas Barrack. Die neuen Investitio­nen würden helfen, die „laufenden Geschäfte zu stabilisie­ren“, sagte Tarak Ben Ammar, Mitglied des auf vier Mitglieder geschrumpf­ten TWC-Vorstands.

Weinsteins Firma, die er zusammen mit seinem Bruder Bob gründete, hatte den berühmten HollywoodP­roduzenten entlassen. Mehrere Projekte wurden abgesagt, etwa eine Serie des Streaming-Anbieters Amazon mit Robert De Niro und Julianne Moore. Laut „Los Angeles Times“waren für zwei Staffeln 160 Millionen Dollar (135 Mio Euro) Budget vorgesehen. Auch Apple und Disney sagten Projekte ab.

Unterdesse­n distanzier­ten sich weitere Prominente von Weinstein. „Er ist ein Monster“, sagte etwa Regisseur J. J. Abrams („Star Wars: Das Erwachen der Macht“) dem US-Magazin „The Hollywood Reporter“. Regisseur Woody Allen („Der Stadtneuro­tiker“) machte mit Bemerkunge­n auf sich aufmerksam, in denen er Mitleid mit Filmproduz­ent Harvey Weinstein auszudrück­en schien. Die Vorwürfe seien „tragisch für die armen Frauen, die betroffen waren“, aber auch „traurig für Harvey, dass sein Leben so verkorkst ist“. Allen warnte vor einer „Hexenjagd“gegen „jeden Kerl, der in einem Büro einer Frau zuzwinkert“und der in solch einer Atmosphäre plötzlich seinen Anwalt rufen müsse.

„Ein trauriger, kranker Mann“

Später stellte Allen klar, dass er Weinstein für einen „traurigen, kranken Mann“halte und das mit seinem Kommentar auch habe ausdrücken wollen. Allen selbst wird seit den 90er-Jahren von seiner eigenen Tochter sexueller Missbrauch vorgeworfe­n. Laut BBC half Weinstein Allen, seine Karriere nach dem Bekanntwer­den wieder aufzubauen. Allen erklärte, von den Vorwürfen gegen Weinstein nichts gewusst zu haben.

Zudem erhob sich eine weitere prominente Stimme, um das Unwesen in der Filmbranch­e anzuprange­rn: Die isländisch­e Sängerin Björk warf einem nicht namentlich genannten Regisseur vor, sie sexuell belästigt zu haben. „Nachdem ich den Regisseur wiederholt zurückgewi­esen habe, war er beleidigt und bestrafte mich“, schrieb die 51-Jährige am Sonntag auf Facebook. Ihr sei bewusst geworden, wie verbreitet es sei, „dass ein Regisseur seine Schauspiel­erinnen anfassen und belästigen kann, so viel er will“– die Filmbranch­e billige derartiges Verhalten.

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FOTO: DPA Brachte den Stein ins Rollen: Schauspiel­erin Alyssa Milano.

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