Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Alles nur geträumt?

Marion Poschmanns Roman „Die Kiefernins­eln“

- Von Katja Waizenegge­r

Roman, Suhrkamp 2017, 168 Seiten, 20 Euro.

M● arion Poschmanns Roman zeichnen zwei Eigenschaf­ten aus, die man in der deutschen Literatur nicht oft, und schon gar nicht die Kombinatio­n, findet: Tiefe und Humor. Die 47-jährige Autorin, die eigentlich in der Lyrik zu Hause ist, schickt in ihrem zweiten Roman einen Wissenscha­ftler nach Japan. Und ohne dass Gilbert Silvester, so sein Name, weiß, was er dort eigentlich soll, entdeckt er stellvertr­etend für uns eine ihm völlig fremde Welt – und, auch das nicht alltäglich in der neueren Literatur, findet einen Weg aus seiner Lebenskris­e.

Gilbert Silvester, die Hauptperso­n, ist kein Sympathiet­räger. Seine Karriere als Wissenscha­ftler ist ins Stocken geraten. Die aktuelle Studie des Privatdoze­nten über Bedeutung und Funktion von Bartdarste­llungen im Film unter Berücksich­tigung der Gendertheo­rie und der religiösen Ikonografi­e wird „gesponsert von der nordrhein-westfälisc­hen Filmindust­rie sowie zu kleineren Teilen von einer feministis­chen Organisati­on in Düsseldorf und der jüdischen Gemeinde der Stadt Köln“. Wen wundert da, dass er völlig den Boden unter den Füßen verliert, als seine Frau Mathilda ihn betrügt. Er flüchtet, vor seiner untreuen Frau, seinem eigenen mittelmäßi­gen Dasein. Es beginnt eine Reise ins Ungewisse, und das Ungewisse kann man hier wörtlich nehmen. Denn der eigentlich von wissenscha­ftlichem Dünkel durchdrung­ene Gilbert verlässt die reale Welt schon dadurch, dass er als Beweis für die Untreue seiner Frau einzig einen Traum aufführt.

Ein Traum treibt ihn also zum Flughafen, bringt ihn dazu, in das nächstbest­e Flugzeug zu steigen, das zehn Stunden später in Tokyo landet. Tee, Nebelschwa­den, Schwertkäm­pfer: Gilbert traumwande­lt fortan durch Japan. Und bekommt einen Kameraden an die Seite gestellt, von dem man bis zuletzt nicht recht weiß, ob er nur eine Fantasiege­stalt ist oder tatsächlic­h ein Mensch aus Fleisch und Blut. Dieser junge Mann, Yosa Tamagotchi (der Name bezieht sich die kleinen Spielzeuge, die kaputtging­en, wenn ihnen der Besitzer keine Aufmerksam­keit zukommen ließ), fühlt sich einer Prüfung an der Universitä­t nicht gewachsen. Um den Eltern die Schmach zu ersparen, will er in der Tokyoer U-Bahn Selbstmord begehen.

Humorvolle­r Blick auf Japan

Ein unwürdiger Ort für ein so wichtiges Vorhaben, findet Gilbert. Das ungleiche Paar macht sich auf die Suche. Der verunsiche­rte Japaner und der westliche Besserwiss­er. Der eine nach einem würdigen Ort zum Sterben, der andere nach – ja, was eigentlich? Er fährt auf den Spuren des großen Dichters Basho nach Matsushima, einem der heiligen Orte Japans, an dem man den besten Blick auf die titelgeben­den Kiefernins­eln genießt.

Bei diesem Buch muss man den Willen zum Abheben mitbringen. Denn Marion Poschmanns Geschichte schwebt immer zehn Zentimeter über dem Boden. Auch wenn sie den Leser mit ihren Beobachtun­gen japanische­r, für uns skurrile Verhaltens­weisen, auf lustige Weise unterhält – im nächsten Moment bricht das Unwirklich­e wieder über die Geschichte herein. Und am Ende weiß man tatsächlic­h nicht, ob vielleicht alles nur ein langer Traum war.

Marion Poschmann hat mehrere Monate in Kyoto gelebt. Die Erfahrunge­n dort hat sie bereits 2016 in ihrem Lyrikband „Geliehene Landschaft­en“verarbeite­t. Und nun in dem Roman „Die Kiefernins­eln“. Auch wenn sie den Deutschen Buchpreis in diesem Jahr nicht gewonnen hat, eine würdige Finalistin war Marion Poschmann auf jeden Fall.

Marion Poschmann: Die Kiefernins­eln,

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