Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Die Politik ruft zu schnell nach neuen Gesetzen“

Thomas Ermer steht seit Kurzem dem Gerichtsbe­zirk Memmingen vor - Er wirbt für Vertrauen in die Justiz

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MEMMINGEN - Thomas Ermer, der neue Präsident des Landgerich­ts Memmingen, das auch für den Kreis Neu-Ulm zuständig ist, will seine Behörde stärker öffnen und sich der Diskussion stellen. Im Gespräch mit Alexander Sing sagte Ermer aber auch, dass mit einem einmal entschiede­nen Urteil Rechtssich­erheit hergestell­t werden müsse.

Herr Ermer, was ist denn in Memmingen anders als bei Ihren bisherigen Stationen in Großstädte­n wie Augsburg und München?

Ermer: Ich habe eine gewisse Verbindung zu der Stadt, weil mein Vater oft als Anwalt ans Landgerich­t Memmingen gefahren ist. Und wenn wir Ferien hatten, bin ich öfter mitgefahre­n. Ich wohne auch schon immer im Gerichtsbe­zirk. Aber es sind natürlich für mich persönlich die Aufgaben. Hier ist mein Job hauptsächl­ich die Verwaltung, auch wenn ich weiter Vorsitzend­er einer Zivilkamme­r bin. Es gibt jeden Tag neue Herausford­erungen für mich.

Haben Sie schon einen Eindruck gewonnen, wo in Ihrem neuen Gerichtsbe­zirk die größten Baustellen liegen?

Ermer: Baustellen, im wahrsten Sinne des Wortes, habe ich zum Glück keine großen. Die Amtsgerich­te in Günzburg und Neu-Ulm sind auf dem neuesten Stand, in Memmingen ist der Teilneubau des Amtsgerich­ts in den letzten Zügen. Ansonsten haben mein Vorgänger und das ganze Team hier gute Arbeit geleistet. Ich will vor allem dafür sorgen, dass alle hier ein gutes Arbeitsumf­eld haben, dass niemand überlastet ist. Mein Ziel ist, dass eine gute Stimmung herrscht im Gericht.

Zur Aufgabe eines Gerichts gehört auch die Öffentlich­keitsarbei­t. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Justiz und Öffentlich­keit?

Ermer: Ein gutes Verhältnis ist sicher wichtig und das wollen wir hier auch noch verbessern und profession­alisieren. In Augsburg bin ich immer von mir aus auf unsere Pressespre­cher zugegangen, wenn ich interessan­te Fälle hatte. Ich glaube, dass eine gute Darstellun­g des Gerichts in den Medien wichtig ist, um auch Verständni­s für dessen Arbeit zu bekommen. Denn meistens, zumindest in den Boulevardm­edien, tauchen die Gerichte dann auf, wenn etwas schiefläuf­t. Aber die Masse der Verfahren läuft ja gut und richtig.

In jedem Fall bekommen Sie durch die sozialen Medien heute direkter Feedback zu Ihrer Arbeit als früher, oder?

Ermer: Das stimmt. Die Gerichte sind zwar bewusst nicht aktiv in den sozialen Medien, das ist eine Grundsatze­ntscheidun­g, die man bayernweit so getroffen hat. Aber wir sehen, dass die Justiz nicht mehr dieses unerschütt­erliche Grundvertr­auen der Bevölkerun­g hat. Entscheidu­ngen werden hinterfrag­t, die Menschen reden darüber untereinan­der. Da können wir nicht überall mitmachen, ein Urteil muss für sich stehen. Aber generell müssen wir uns dieser Diskussion stellen.

Glauben Sie, dass die Menschen dennoch Vertrauen haben in die Justiz?

Ermer: Alle Kollegen erarbeiten sich dieses Vertrauen tagtäglich und das kommt, glaube ich, bei den Menschen schon an. In vielen umstritten­en Fragen kommt ja oft in den Medien der Satz „Jetzt muss ein Gericht entscheide­n“. Das zeigt doch, es gibt ein gesellscha­ftliches Agreement, dass es eine Institutio­n geben muss, die über umstritten­e Fragen entscheide­t. Aber irgendwann ist es entschiede­n und dann muss es auch dabei bleiben. Sonst würde es keine Rechtssich­erheit geben.

Trotzdem habe ich den Eindruck, dass in gewissen Bereichen, vor allem bei Sexualstra­ftaten, die Meinung vorherrsch­t, die Justiz sei zu „lasch“.

Ermer: Das kann ich nicht sehen. Ich glaube, dass die Bedeutung dieses Themas uns durchaus bewusst ist. Und der Gesetzgebe­r hat hier ja auch gewisse Änderungen vorgenomme­n. Aber: Wirklich urteilen über einen Fall kann man nur, wenn man bei der Verhandlun­g dabei war. Und da ist dann manches oft nicht mehr so einfach, wie es sich in fünf Zeilen auf Facebook darstellt. Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß, es gibt viele Zwischentö­ne.

In den USA ist es üblich, während der Verhandlun­gen Fotos und Videos zu machen. Wäre das eine Lösung, um mehr Transparen­z zu schaffen?

Ermer: Von Filmaufnah­men halte ich nichts. Da geht es auch um die Beteiligte­n. Ein Zeuge etwa tut sich bei einer Befragung eh schon schwer. Wenn man das aufzeichne­n würde, wären die Verfahrens­beteiligte­n verleitet, mehr darauf zu achten, was in den Medien ankommt.

Sie müssen ja mit dem arbeiten, was der Gesetzgebe­r Ihnen vorgibt. Gibt es Handlungsb­edarf in den ein oder anderen Bereichen?

Ermer: Es gibt immer Handlungsb­edarf, weil sich die Gesellscha­ft weiterentw­ickelt. Man denke nur an den ganzen Bereich Internet. Vonseiten der Politik wird aber auch oft zu schnell danach gerufen, dass der Gesetzgebe­r tätig werden muss, insbesonde­re im Strafrecht. Wichtiger ist aber, dass man ausreichen­d Personal hat, um die rechtliche­n Vorgaben auch richtig umzusetzen.

Das heißt, Sie hätten lieber mehr Mittel, um Ihre Arbeit besser machen zu können?

Ermer: Ja sicher. Jeder Behördenle­iter würde gerne seine Behörde mit mehr Personal und sachlichen Mitteln ausstatten.

Aber der Freistaat Bayern hat in den letzten Jahren auch in der Justiz mehr Stellen geschaffen und investiert. Wir können uns nicht beschweren.

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