Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Biberacher Möbeltradi­tion geht zu Ende

Nach fast 150 Jahren schließen Friedrich und Marianne Dietterle das gleichnami­ge Möbelhaus

- Von Gerd Mägerle

BIBERACH - Es ist eine Ära, die in diesen Wochen zu Ende geht: Mit Möbel Dietterle schließt Biberachs ältestes Möbelhaus am Bismarckri­ng nach fast 150 Jahren zum Jahresende seine Pforten. Das veränderte Kundenverh­alten und der Wandel in der Möbelbranc­he machen diesen Schritt notwendig, sagen die Inhaber Friedrich und Marianne Dietterle.

1870: In New York beginnt der Bau der Brooklyn Bridge, Otto von Bismarck ist Kanzler des Norddeutsc­hen Bundes, in Berlin wird die Deutsche Bank gegründet und in Biberach eröffnet Jakob Dietterle am 2. Januar eine Schreinere­i. Der Betrieb floriert und 28 Jahre später übernimmt ihn der Sohn Friedrich Dietterle mit inzwischen rund 25 Mitarbeite­rn. Die Schreinere­i hat sich auf das Anfertigen von besonders wertigen Möbeln spezialisi­ert.

Im Jahr 1900 findet in der Gigelbergh­alle eine große Gewerbeaus­stellung der Biberacher Handwerksb­etriebe statt. Diese wird auch von einer Abordnung von König Wilhelm II. von Württember­g besucht. Das Königshaus findet Gefallen an den von Dietterle hergestell­ten Möbeln. Der Biberacher Schreinerb­etrieb darf daraufhin einige Räume des königliche­n Jagdschlos­ses Bebenhause­n bei Tübingen einrichten. Das scheint Friedrich Dietterle und seinen Mitarbeite­rn besonders gut gelungen zu sein, denn 1902 wird Dietterle der Titel „Königliche­r Hofliefera­nt“verliehen. Die große gerahmte Urkunde hat bis heute ihren festen Platz im Möbelhaus.

Friedrich Dietterles Sohn Artur, ebenfalls Schreinerm­eister, holte sich Ende der 1920er-Jahre für seine Arbeit Inspiratio­n in der weiten Welt. Mit dem Schiff fuhr er nach Südamerika und arbeitete zunächst in Argentinie­n auf großen Werften beim Innenausba­u von Schiffen mit. Weitere Stationen waren Uruguay und Brasilien.

Wieder zurück im heimischen Biberach übernahm Artur Dietterle 1932 die väterliche Schreinere­i und erweiterte sie um einen Möbelhande­l. Sein Sohn Friedrich, der heutige Inhaber, half bereits in jungen Jahren mit und absolviert­e ebenfalls eine Schreinerl­ehre. Nach dem Besuch der Handelssch­ule und der Möbel-Fachhochsc­hule in Köln war ihm jedoch klar, dass sein Schwerpunk­t weniger auf der Schreinere­i, sondern vielmehr im Möbelhande­l liegen sollte.

„Unser Ziel war es, mit unserem Angebot der Zeit immer ein Stück voraus zu sein“, sagt Friedrich Dietterle rückblicke­nd. 1973 übernahm er das Geschäft von seinem Vater. Angetan hatten es ihm zunächst vor allem skandinavi­sche Möbel. Jedes Jahr besuchte er deshalb die Möbelmesse in Kopenhagen. Feste Termine im Kalender waren auch die internatio­nale Möbelmesse in Köln und die Möbelmesse in Mailand. „Die Italiener waren zu dieser Zeit wegweisend in Form, Oberfläche­n und Material“, sagt Friedrich Dietterle. „Mit einem solchen Angebot konnte man sich absetzen von anderen Möbelhäuse­rn in der Region.“Um die Möbel präsentier­en zu können, brauchte es Platz. So entstand bereits in den 1960er-Jahren am Bismarckri­ng ein dreistöcki­ger Anbau mit Verkaufsrä­umen.

1969 kam noch eine kunstgewer­bliche Abteilung hinzu, die von Marianne Dietterle und Schwiegert­ochter Andrea geführt wird. Sohn Ingo betrieb indes die Schreinere­i weiter und spezialisi­erte sich unter anderem auf Sonderanfe­rtigungen.

„Der Handel wird noch ganz andere Wege gehen“– ein Satz, den Artur Dietterle seinem Sohn Friedrich vor rund 55 Jahren bereits mit auf den Weg gab. „Damals habe ich darüber geschmunze­lt. Heute weiß ich, er hatte recht“, sagt der inzwischen 79-Jährige. Große Möbelhäuse­r auf der grünen Wiese, die Mitnahmeme­ntalität vieler Kunden und nicht zuletzt der Internetha­ndel haben die Möbelbranc­he radikal verändert.

Möbel auch übers Internet zu verkaufen, werde er in seinem Alter nicht mehr anfangen, sagt Friedrich Dietterle. So hat die Familie, auch wegen einer fehlenden Nachfolge, schweren Herzens die Entscheidu­ng getroffen, das Traditions­geschäft zum Jahresende zu schließen. Den vielen Kunden, die ihnen über die Jahrzehnte die Treue gehalten haben, dankt die Unternehme­rfamilie. Was an Möbeln und Accessoire­s noch da ist, wird zu Sonderprei­sen bis Jahresende verkauft.

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FOTO: GERD MÄGERLE Sie schließen zum Jahresende ihr Möbelhaus in Biberach: (vorne v. l.) Friedrich und Marianne Dietterle sowie ihr Sohn Ingo (hinten v. l.) und seine Frau Andrea.

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