Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Willkommen in der Ego-WG

Eine hochaktuel­le Komödie zeigt die Grenzen der Toleranz bei vorgeblich toleranten Menschen

- Von Dagmar Hub

ULM - Ideologie prallt auf Realität: In Lutz Hübners und Sarah Nemitz’ jetzt im Akademieth­eater gespielter Komödie „Willkommen“möchte es sich eine Stuttgarte­r Luxus-WG leisten, ein frei werdendes Zimmer an Flüchtling­e zu vergeben. Fiktiv eine sehr großzügige Idee. In der Praxis aber ist es mit der Toleranz der wohlstands­verwöhnten Großstädte­r doch nicht so weit her.

Wenn Masken fallen und Heiligensc­heine zerbröseln, kann das bitter sein. Oder amüsant, wenn es gelingt, nicht zu verletzen. Die Ulmer Inszenieru­ng entscheide­t sich konsequent für die pointiert-witzige Richtung. Die WG, die sich die riesige Wohnung der Fotografin Sophie (Noemi Fulli) teilt, gibt sich progressiv, politisch korrekt und diskussion­sgewohnt. Beim Abendessen samt Rotwein berichtet Dozent Benny (Theodoros Tsilkoudis), für ein Jahr nach New York zu gehen.

Wohnen wird der bisexuelle Mann dort bei seinem Geliebten – schlechte Papiere für Sophie, mit der Benny in der WG hin und wieder ins Bett ging. Benny stößt die Diskussion an, seine frei werdenden 30 Quadratmet­er Flüchtling­en zur Verfügung zu stellen. Aber nur, wenn alle einverstan­den sind. Das Ego von Sophie leuchtet angesichts so viel höherer Moral, sieht sie doch darüber hinaus die Chance, eine Flüchtling­sfamilie für eine Foto-Doku zu nutzen und so endlich berühmt zu werden.

Doch das „Ich bin dagegen!“kommt – von Mitbewohne­rin Doro (Diana Stecker), die zugibt, arabische Männer nicht ausstehen zu können und die Frauenvera­chtung und Schlampend­enken nicht in ihrer Privatsphä­re haben will. Die Rassismusk­eule schlägt zu und stellt Doro an den Pranger. Die weicht aus und fragt, was die schweigend­e Mitbewohne­rin Anna (Leonie Hassfeld) möchte – und Anna gesteht, schwanger zu sein und das Zimmer am liebsten für ihre neue Liebe Ahmed zu wollen. Ahmed (Simon Rossa) ist der Sohn eines türkischen Gastarbeit­ers aus dem Ruhrpott, dem niemand bei der Integratio­n half. Die Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d, die er bei einem Fahrradpro­jekt betreut, nennt er „Kanaken“, und er sieht sie höchst kritisch. Doch Sophie duldet keine Rassisten, auch türkische Rassisten nicht. Sie kündigt allen Mitbewohne­rn und will die Wohnung nur mit Flüchtling­en teilen.

Es ist der überrasche­ndste Moment der Inszenieru­ng, als Sophie ihren Vater in Vancouver anruft: Papa, Akademieth­eater-Chef Ralf Rainer Raimann, der auf dem Skype-Bildschirm auftaucht, verbietet Sophies Ideen in der von ihm gekauften Wohnung. Die coole Mittdreißi­gerin hängt nämlich finanziell noch immer voll am väterliche­n Tropf.

Und auch die anderen WG-Mitglieder sind weit weniger progressiv, liberal und tolerant als sie sich geben: Jonas (Jim Mindner), angehender Banker, träumt davon, richtig spießig zu leben und hat lediglich Angst, es zuzugeben.

Einfache Antworten auf die gegenwärti­gen großen Fragen gibt es nicht, sagt das Stück. Und unter dem Mantel überhöhter Toleranz kann sich ziemliche Intoleranz verstecken, wenn es um Realitäten geht. Vielleicht kann man die Fragestell­ungen von „Willkommen“aktuell nur als Komödie im Sinne des Narren, der der Gesellscha­ft den Spiegel vorhält, auf die Bühne bringen.

Termine: „Willkommen“ist im Akademieth­eater am Fort Unterer Kuhberg wieder am 11., 17., 18., 24. und 25. November zu sehen. Kartenvorb­estellung unter Telefon 0731/387531 oder per Mail an info@adk-ulm.de.

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FOTO: DAGMAR HUB Benny (Theodoros Tsilkoudis, links) versucht Sophie (Noemi Fulli) den Abschied nicht schwer zu machen.

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