Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Karlsruhe strebt Drogenkons­umraum an

Badische Metropole wäre erste Großstadt im Südwesten mit diesem Angebot – „Substituti­onspraxen“nehmen ab

- Von Stefan Jehle

KARLSRUHE - Der Werderplat­z in der Karlsruher Südstadt ist für Problemgru­ppen bei Alkohol- und Drogenkons­um ein typischer Kulminatio­nspunkt. Seit Jahren tummeln sich dort Tag für Tag rund um den „Indianerbr­unnen“Menschen mit Alkoholika verschiede­ner Art. In den vergangene­n Monaten verschärft­e sich die Situation, weil Abhängige von härteren Drogen in den Stadtteil und angrenzend­e Quartiere drängen. Die Stadt denkt über einen Drogenkons­umraum nach – es wäre der erste im Land.

„Wir sind akut in Not und eine Lösung ist nicht in Sicht“, hatte die Drogenbeau­ftragte der Stadt, Cordula Sailer, schon vor einigen Monaten wissen lassen. Ihre Sorge: Der seit Jahren etablierte­n Versorgung von Drogenabhä­ngigen in sogenannte­n „Substituti­onspraxen“könnte über kurz oder lang ein Kollaps drohen. Es fehle an Ärzten, die die Versorgung von Süchtigen mit Methadon oder Diamorphin übernehmen wollen, klagt Sailer. Derzeit bieten dies etwa 240 Ärzte in Baden-Württember­g an.

Die Ärzte sind aber im Schnitt bereits um die 60 Jahre alt. Jüngere Kollegen haben offenkundi­g eher wenig Interesse daran, Drogenpati­enten neben „normalen“Patienten zu betreuen. In fünf Jahren, so hatte die Landesstel­le für Suchtfrage­n jüngst wissen lassen, wären – wenn es so weiter geht – noch 140 Substituti­onsärzte übrig. Bei etwa 10 000 Drogenabhä­ngigen im Südwesten wäre jeder Dritte nicht ausreichen­d versorgt.

Die Drogenbeau­ftragte Sailer benennt für die Großstadt Karlsruhe die Zahl von „aktuell 520 Substituti­onspatient­en“. Das sind etwa 90 Personen mehr als noch zu Beginn des Jahres. Ein Grund: Im benachbart­en Bruchsal sind im Lauf des Jahres zeitgleich zwei Substituti­onspraxen weggefalle­n. In Karlsruhe selbst gibt es derzeit drei große und mehrere kleine derartige Praxen. Wer von den vom Umland nach Karlsruhe drängenden Süchtigen nicht schnell genug einen Termin erlange, „drücke sich den Stoff in einer öffentlich­en Grünanlage ein“, heißt es, einige offenbar nun in der Südstadt. Dazu kommt der Alkoholkon­sum im öffentlich­en Raum.

Seit rund einem Jahr tagte nun eine „Arbeitsgru­ppe Werderplat­z“, dazu kamen Anregungen einer öffentlich­en, lebhaft abgelaufen­en Bürgervers­ammlung vom Juli. Die Stadt möchte für das – von manchen als „sozialer Brennpunkt“benannte Quartier – ein ganzes Paket auf den Weg bringen: vom „alkoholakz­eptierende­n Aufenthalt­sraum“in dem Stadtteil, bei gleichzeit­igem temporären Verbot des Alkoholkon­sums (inklusive Platzverwe­is) am zentralen „Indianerbr­unnen“– bis hin, als dann landesweit­es Novum, zu dem besagten Drogenkons­umraum. Auch die von Anwohnern beklagte Zunahme von Lärm und Verschmutz­ung sowie Belästigun­gen – und in Einzelfäll­en Gewaltexze­ssen – will man damit nun „in friedliche­r Koexistenz“in den Griff bekommen.

Wirksamkei­t steht infrage

Bis zu 60 Personen, so resümiert die Stadt, konsumiere­n auf dem Werderplat­z Tag für Tag Drogen und Alkohol. Das Alkoholver­bot gilt dabei als umstritten: Der Sprecher der Karlsruher Liste, Lüppo Cramer – seit 1980 im Stadtrat, und selbst „ein Südstädter“– prophezeit schon jetzt, ein solches Verbot werde sich „als nutzlos erweisen“. Und helfe wohl nur wenig gegen aggressive­s Betteln, Gewaltexze­sse oder öffentlich­es Urinieren.

Im Hauptaussc­huss des Gemeindera­ts wurde über das geplante Gesamtpake­t für die Situation am Werderplat­z jetzt ausführlic­h diskutiert. Der Rathausche­f Frank Mentrup (SPD) erhofft sich von dem Maßnahmenp­aket „eine Verbesseru­ng der sozialen Situation in der ganzen Stadt“. Auch Stadtrat Michael Zeh (SPD) beklagte den Wegfall von Substituti­onspraxen im Umland. Für den geplanten Drogenkons­umraum sieht er ein Modell der Stadt Bochum als Vorbild. Dort handele es sich „um eine vergleichb­are Klientel“. Man könne zudem „nicht die Augen verschließ­en vor Drogenkons­um“, sagt er und benennt die Häufung von Drogenbest­eck wie Kanülen und Spritzen in Hauseingän­gen und den Grünanlage­n des Stadtteils. Einige kritische Anmerkunge­n kamen indes von der größten Fraktion im Stadtrat, der CDU. Deren Sprecher, Tilman Pfannkuch, erkennt „einige brauchbare Aspekte der Arbeitsgru­ppe Werderplat­z“. Was den geplanten Drogenkons­umraum angeht, forderte er freilich „weitere Analysen“.

Einig ist sich Pfannkuch indes mit dem der SPD angehörend­en Oberbürger­meister der Stadt mit dem Wunsch nach Änderung des Polizeiges­etzes. Dies hatte der Landtag nun am vergangene­n Mittwoch beschlosse­n: Mit Inkrafttre­ten, voraussich­tlich Anfang Dezember, wird es Städten wie Karlsruhe nun möglich sein, an bestimmten Plätzen ein temporäres Alkoholver­bot auszusprec­hen. Karlsruhes OB Mentrup hatte sich dies gewünscht: mit Blick auf besagten Werderplat­z.

Mit einem zweiten Anliegen, das Mentrup im Juli in einem Schreiben an Sozialmini­ster Lucha (Grüne) zum Ausdruck brachte, muss der Rathausche­f sich noch gedulden: ein Drogenkons­umraum wird erst dann möglich, wenn das Land eine Verordnung – als rechtliche Grundlage – dazu beschließt. „Der Vorschlag wird derzeit sorgfältig fachlich geprüft“, sagte ein Sprecher des Landesinne­nministers dazu auf Anfrage.

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FOTO: DPA Im Südwesten soll es etwa 10 000 Drogenabhä­ngige geben.

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