Karlsruhe strebt Drogenkonsumraum an
Badische Metropole wäre erste Großstadt im Südwesten mit diesem Angebot – „Substitutionspraxen“nehmen ab
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KARLSRUHE - Der Werderplatz in der Karlsruher Südstadt ist für Problemgruppen bei Alkohol- und Drogenkonsum ein typischer Kulminationspunkt. Seit Jahren tummeln sich dort Tag für Tag rund um den „Indianerbrunnen“Menschen mit Alkoholika verschiedener Art. In den vergangenen Monaten verschärfte sich die Situation, weil Abhängige von härteren Drogen in den Stadtteil und angrenzende Quartiere drängen. Die Stadt denkt über einen Drogenkonsumraum nach – es wäre der erste im Land.
„Wir sind akut in Not und eine Lösung ist nicht in Sicht“, hatte die Drogenbeauftragte der Stadt, Cordula Sailer, schon vor einigen Monaten wissen lassen. Ihre Sorge: Der seit Jahren etablierten Versorgung von Drogenabhängigen in sogenannten „Substitutionspraxen“könnte über kurz oder lang ein Kollaps drohen. Es fehle an Ärzten, die die Versorgung von Süchtigen mit Methadon oder Diamorphin übernehmen wollen, klagt Sailer. Derzeit bieten dies etwa 240 Ärzte in Baden-Württemberg an.
Die Ärzte sind aber im Schnitt bereits um die 60 Jahre alt. Jüngere Kollegen haben offenkundig eher wenig Interesse daran, Drogenpatienten neben „normalen“Patienten zu betreuen. In fünf Jahren, so hatte die Landesstelle für Suchtfragen jüngst wissen lassen, wären – wenn es so weiter geht – noch 140 Substitutionsärzte übrig. Bei etwa 10 000 Drogenabhängigen im Südwesten wäre jeder Dritte nicht ausreichend versorgt.
Die Drogenbeauftragte Sailer benennt für die Großstadt Karlsruhe die Zahl von „aktuell 520 Substitutionspatienten“. Das sind etwa 90 Personen mehr als noch zu Beginn des Jahres. Ein Grund: Im benachbarten Bruchsal sind im Lauf des Jahres zeitgleich zwei Substitutionspraxen weggefallen. In Karlsruhe selbst gibt es derzeit drei große und mehrere kleine derartige Praxen. Wer von den vom Umland nach Karlsruhe drängenden Süchtigen nicht schnell genug einen Termin erlange, „drücke sich den Stoff in einer öffentlichen Grünanlage ein“, heißt es, einige offenbar nun in der Südstadt. Dazu kommt der Alkoholkonsum im öffentlichen Raum.
Seit rund einem Jahr tagte nun eine „Arbeitsgruppe Werderplatz“, dazu kamen Anregungen einer öffentlichen, lebhaft abgelaufenen Bürgerversammlung vom Juli. Die Stadt möchte für das – von manchen als „sozialer Brennpunkt“benannte Quartier – ein ganzes Paket auf den Weg bringen: vom „alkoholakzeptierenden Aufenthaltsraum“in dem Stadtteil, bei gleichzeitigem temporären Verbot des Alkoholkonsums (inklusive Platzverweis) am zentralen „Indianerbrunnen“– bis hin, als dann landesweites Novum, zu dem besagten Drogenkonsumraum. Auch die von Anwohnern beklagte Zunahme von Lärm und Verschmutzung sowie Belästigungen – und in Einzelfällen Gewaltexzessen – will man damit nun „in friedlicher Koexistenz“in den Griff bekommen.
Wirksamkeit steht infrage
Bis zu 60 Personen, so resümiert die Stadt, konsumieren auf dem Werderplatz Tag für Tag Drogen und Alkohol. Das Alkoholverbot gilt dabei als umstritten: Der Sprecher der Karlsruher Liste, Lüppo Cramer – seit 1980 im Stadtrat, und selbst „ein Südstädter“– prophezeit schon jetzt, ein solches Verbot werde sich „als nutzlos erweisen“. Und helfe wohl nur wenig gegen aggressives Betteln, Gewaltexzesse oder öffentliches Urinieren.
Im Hauptausschuss des Gemeinderats wurde über das geplante Gesamtpaket für die Situation am Werderplatz jetzt ausführlich diskutiert. Der Rathauschef Frank Mentrup (SPD) erhofft sich von dem Maßnahmenpaket „eine Verbesserung der sozialen Situation in der ganzen Stadt“. Auch Stadtrat Michael Zeh (SPD) beklagte den Wegfall von Substitutionspraxen im Umland. Für den geplanten Drogenkonsumraum sieht er ein Modell der Stadt Bochum als Vorbild. Dort handele es sich „um eine vergleichbare Klientel“. Man könne zudem „nicht die Augen verschließen vor Drogenkonsum“, sagt er und benennt die Häufung von Drogenbesteck wie Kanülen und Spritzen in Hauseingängen und den Grünanlagen des Stadtteils. Einige kritische Anmerkungen kamen indes von der größten Fraktion im Stadtrat, der CDU. Deren Sprecher, Tilman Pfannkuch, erkennt „einige brauchbare Aspekte der Arbeitsgruppe Werderplatz“. Was den geplanten Drogenkonsumraum angeht, forderte er freilich „weitere Analysen“.
Einig ist sich Pfannkuch indes mit dem der SPD angehörenden Oberbürgermeister der Stadt mit dem Wunsch nach Änderung des Polizeigesetzes. Dies hatte der Landtag nun am vergangenen Mittwoch beschlossen: Mit Inkrafttreten, voraussichtlich Anfang Dezember, wird es Städten wie Karlsruhe nun möglich sein, an bestimmten Plätzen ein temporäres Alkoholverbot auszusprechen. Karlsruhes OB Mentrup hatte sich dies gewünscht: mit Blick auf besagten Werderplatz.
Mit einem zweiten Anliegen, das Mentrup im Juli in einem Schreiben an Sozialminister Lucha (Grüne) zum Ausdruck brachte, muss der Rathauschef sich noch gedulden: ein Drogenkonsumraum wird erst dann möglich, wenn das Land eine Verordnung – als rechtliche Grundlage – dazu beschließt. „Der Vorschlag wird derzeit sorgfältig fachlich geprüft“, sagte ein Sprecher des Landesinnenministers dazu auf Anfrage.