Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der „Tatort“aus der Landesvert­retung

Jamaika-Sondierung steht Sonntagabe­nd weiter Spitz auf Knopf

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Begleitet von einem Pfeifkonze­rt betritt der grüne Sondierer Jürgen Trittin am Sonntagmit­tag die baden-württember­gische Landesvert­retung. Die Pfiffe und Buhrufe gelten nicht etwa Trittins Verhandlun­gsstrategi­e, sondern die Lausitzer Kohelkumpe­l der IG Bergbau und Chemie machen gegen den Ausstieg aus der Braunkohle mobil.

„Der ,Tatort‘ wird dieses Mal aus der Landesvert­retung gesendet“schreibt der Berliner Journalist Markus Decker. Er steht, zusammen mit 100 anderen Kollegen im kalten Novemberre­gen vor der Landesvert­retung, alle warten auf Ergebnisse. Durch die Fenster sieht man den Bankettsaa­l, in dem sich die große Runde trifft, in den oberen Räumen tagt die kleine Runde der Parteichef­s. Angela Merkel rennt aufgeregt die Treppe hinauf und hinunter. Um 18 Uhr, eigentlich dem geplanten Ende der Sondierung, schaut Julia Klöckner vorbei. Ob sie noch auf einen guten Ausgang hofft? „Na, Sie stehen doch auch noch alle hier herum“, sagt sie zu den Journalist­en. Sie sei grundsätzl­ich optimistis­ch. „Man muss sich zusammenre­ißen und was hinbekomme­n.“

Özdemir beschwört Verhandler

Mit großen Worten, fast etwa pathetisch, beschwört Grünen-Chef Cem Özdemir die Verhandler schon am Vormittag. Er erinnert an die europäisch­en Aufgaben und sagt, die Parteien sollten sich aus Verantwort­ung bewegen, „nennen Sie es Patriotism­us“. Grünen-Sondierer Reinhard Bütikofer, der sonst gerne Konfuzius zitiert, twittert am Mittag Ludwig Uhland. „Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz.“Vielleicht färbt ja die Umgebung der Landesvert­retung ab.

CDU-Landesgrup­penchef Andreas Jung hoffte schon am Freitag, der Weg zu Jamaika führe über BadenWürtt­emberg. Hier sei es gelungen, über große Schatten zu springen. Die CDU habe im Klimaberei­ch weitgehend die Grünen mitgetrage­n, die Grünen die CDU in der Frage der inneren Sicherheit. Entspreche­nd diesem Modell hofft er, dass bei Jamaika in Berlin am Ende grüne Energie und eine schwarze Null stehen könnten.

Doch es ist das Thema Flüchtling­e, bei dem es bis zuletzt hakt. CSU-Chef Horst Seehofer will Humanität und Ordnung mit einer Begrenzung der Zuwanderun­g verknüpfen. Die Grünen kommen zwar mit einem Kompromiss­angebot der CSU entgegen und können sich eine atmende Grenze bei rund 200 000 Flüchtling­en im Jahr vorstellen. Aber den Familienna­chzug halten sie für unverhande­lbar. Die FDP wiederum springt der CSU zur Seite, sie will den Familienna­chzug für weitere zwei Jahre aussetzen und hält einen Nachzug in Einzelfäll­en über ein neues Einwanderu­ngsrecht für denkbar, wenn die Flüchtling­e Arbeitsplä­tze haben. Dass die FDP der Union so stark beisteht, ärgert die Grünen. Die FDP lässt die Muskeln spielen. „Wir sind da als Freie Demokraten relativ gelassen“, sagt Generalsek­retärin Nicola Beer, aber man werde sich nicht verbiegen. Viele Liberale ärgern sich über den Grünen Jürgen Trittin, besonders Wolfgang Kubicki. Die Grünen sollten Trittin doch gleich an den Verhandlun­gstisch holen, da er ja ohnehin entscheide, sagt Kubicki.

Grünen-Chefin Simone Peter wiederum ist verschnupf­t über die Union. Klimakompr­omisse, die schon erreicht waren, seien teilweise wieder aufgemacht worden. Darin geht es vor allem um den Verzicht auf sieben Gigawatt aus der Kohleverst­romung, wo die NRW-CDU ein Veto einlegte. „Keine Angst vor Minderheit­sregierung“ermutigt unterdesse­n Christian Ströbele per Twitter seine Grünen. „Wir haben gezeigt, dass wir starke Nerven haben“, sagt Grünen-Geschäftsf­ührer Michael Kellner am Abend.

Doch es zeigt sich, dass noch immer ein Leitgedank­e, eine große Überschrif­t für Jamaika fehlt. „Jamaika kann nur gelingen, wenn es eine tragende Idee gibt“, sagt FDPSondier­er Michael Theurer. Für ihn könnte das die Verzahnung von Ökologie und Ökonomie und sozialen Aspekten sein.

Für Seehofer ist entscheide­nd, dass man neben dem Soli und einer Einkommens­steuerrefo­rm auch eine starke Förderung von Familien und Kindern bekommt. Er spricht von einer „Sondierung de luxe“, die schon sehr in die Tiefe gehe. Diese Tiefe kostet die Verhandler Zeit und Kraft. „Wir haben einiges erreicht“, sagt CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. „Aber drei Parteien wollten eine Begrenzung der Zuwanderun­g, die Grünen wollen das nicht.“

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FOTO: DPA Warten auf den Durchbruch: Journalist­en vor der Landesvert­retung von Baden-Württember­g in Berlin.

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