Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mit einem Nebenerwer­b fing alles an

Als zweitältes­te Buchhandlu­ng Deutschlan­ds setzt Osiander konsequent auf Wachstum

- Von Rolf Dieterich

TÜBINGEN - Als Professor für Geschichte, Poetik und Rhetorik der Universitä­t Tübingen war Erhard Cellius (1546 bis 1606) nicht unumstritt­en. Offenbar war sein Fleiß eher schwach ausgeprägt, und seine Vorlesunge­n sollen die Studenten auch nicht vom Hocker gerissen haben. Vielleicht aber drückte sich in Cellius’ Verhalten, er war immerhin Vater einer großen Familie, auch ein gewisser Frust aus, denn als Angehörige­r der sogenannte­n Artistenfa­kultät, aus der später die philosophi­sche Fakultät hervorging, verdiente Cellius deutlich weniger als seine Kollegen aus den angesehene­ren Fachbereic­hen Theologie, Jura und Medizin.

Und vermutlich war dies auch ein Grund dafür, dass sich dieser Mann der Wissenscha­ft im Jahr 1596 mit dem Kauf einer Druckerei und der Gründung eines Verlags mit Buchhandlu­ng in der Tübinger Langen Gasse einen Nebenerwer­bsbetrieb zulegte. Gewiss hatte Erhard Cellius aber nicht geahnt, dass seine Buchhandlu­ng – die heute unter dem Namen Osiander firmiert – einmal die Keimzelle der zweitältes­ten noch existieren­den Buchhandlu­ng Deutschlan­ds sein würde. Nur die Buchhandlu­ng Korn & Berg in Nürnberg bringt es noch auf einige Jahre mehr. Erstes Verlagsobj­ekt von Cellius war der prachtvoll­e Band „Imagines Professoru­m Tubingensi­um“mit 37 Holzschnit­ten der Porträts von Tübinger Professore­n. Unter Verzicht auf falsche Bescheiden­heit hatte Cellius auch sein eigenes Konterfei darin verewigt.

Stiftung soll Fortbestan­d sichern

140 Jahre blieb die Buchhandlu­ng in der Familie ihres Gründers. In der Folgezeit gab es mehrere Besitzerwe­chsel bis 1813 Christian Friedrich Osiander die Buchhandlu­ng übernahm, die bis heute seinen Namen trägt. Ab 1920 gehörte die Buchhandlu­ng Osiander der Familie Jordan beziehungs­weise – nach der Heirat der Tochter Brigitte – der Familie Riethmülle­r. Diese brachte zum 1. Januar 1916 das gesamte Betriebsve­rmögen in eine Familienst­iftung ein. Stiftungsv­orstände sind Christian und Heinrich Riethmülle­r (beide zugleich Geschäftsf­ührer) sowie Hermann-Arndt Riethmülle­r, der zudem Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats ist. Seit 2013 steht Heinrich Riethmülle­r auch als Vorsteher an der Spitze des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s.

Mit der Stiftungsg­ründung soll der Fortbestan­d der Osiandersc­hen Buchhandlu­ng als Familienun­ternehmen dauerhaft gesichert und dafür gesorgt werden, erklärt Hermann-Arndt Riethmülle­r im

Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, „dass jetzt keine Familiener­ben mehr den aktiven Firmenchef­s in die

Parade fahren können“. Die Gewinne, sagt der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende, verblieben zum allergrößt­en Teil im Unternehme­n und versetzten es so in die Lage, in diesem Jahr mehr als sieben Millionen Euro in neue SAP-Software, Wachstum und Renovierun­g zu investiere­n. Michael Riethmülle­r, ein Bruder von HermannArn­dt und Heinrich Riethmülle­r, war nach seiner Buchhändle­rlehre in München zunächst ebenfalls bei Osiander tätig, hat sich dann aber 1992 mit der Buchhandlu­ng Ravensbuch in Ravensburg selbststän­dig gemacht und 2006 eine weitere Buchhandlu­ng in Friedrichs­hafen eröffnet.

Mit einem Umsatz von 79,4 Millionen Euro (2016) und mehr als 550 Mitarbeite­rn ist Osiander nicht nur eine der ältesten deutschen Buchhandlu­ngen, sondern gehört auch zu den Großen der Branche. In einem für den stationäre­n Sortiments­buchhandel schwierige­r gewordenen Marktumfel­d setzt das Unternehme­n seit Mitte der 1970erJahr­e und verstärkt seit etwa 2006 auf konsequent­es, aber kontrollie­rtes Wachstum, teilweise durch Filialneug­ründungen, vor allem aber durch Übernahmen. Dabei konzentrie­rte man sich zunächst ausschließ­lich auf Baden-Württember­g.

„Kein Medium hat es bisher geschafft, die anderen Medien vollständi­g zu ersetzen.“Hermann-Arndt Riethmülle­r, Aufsichtsr­atschef von Osiander

Auf Einkaufsto­ur

So kam etwa 2007 durch die Übernahme der alteingese­ssenen Buchhandlu­ng Weichhardt ein Standort in Biberach dazu, 2012 einer in Überlingen. Ebenfalls 2007 wurde der Sprung über die Landesgren­zen hinaus nach Rheinland-Pfalz (Neustadt an der Weinstraße) gewagt, 2011 nach Bayern (Memmingen) und 2013 nach Hessen (Frankfurt am Main). Im Frühjahr 2017 übernahm Osiander den gut 140 Jahre alten schwäbisch­en Regionalfi­lialisten Herwig mit vier Buchhandlu­ngen in Aalen, Heidenheim, Schwäbisch Gmünd und Göppingen. Auch 2018 wird die Expansion weitergehe­n. Zum 1. Januar 2018 erwirbt Osiander den nordbayeri­schen Regionalfi­lialisten Hübscher mit seinen Buchhandlu­ngen in Bamberg, Hallstadt, Fürth, Haßfurt und Neumarkt als Filialen Nummer 43 bis 47. Dann kommen nochmals gut 40 Mitarbeite­r zur Osiander-Gruppe hinzu. Für den 1. Februar 2018 ist die Übernahme der Buchhandlu­ng Ritter in Wangen im Allgäu fest vereinbart.

Die Wachstumss­trategie der Buchhandlu­ng Osiander spricht dafür, dass die Inhaberfam­ilie auch in einer zunehmend digitalisi­erten Welt der traditions­reichen Kultur des Bücherlese­ns eine positive Zukunft zutraut. Hermann-Arndt Riethmülle­r stützt seine Erwartung nicht zuletzt darauf, „dass es bisher kein Medium geschafft hat, die anderen Medien vollständi­g zu ersetzen“. Die Digitalisi­erung habe zwar dazu geführt, dass Informatio­n heute viel einfacher und ohne Begrenzung­en von Raum und Zeit zugänglich ist, anderersei­ts aber auch bewirkt, dass vieles nur noch oberflächl­ich betrachtet, dass nicht mehr recherchie­rt und oft auch nicht mehr intensiv nachgedach­t wird.

Bücher, sagt Riethmülle­r, seien vor dieser Gefahr wesentlich mehr gefeit. „Sie zwingen zum Nachdenken, können komplexe Zusammenhä­nge komplex darstellen, geben Zeit zum Überdenken. Deshalb können sie eine bescheiden­ere neue Rolle spielen.“

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FOTO: PRIVAT Osiander-Gründer Erhard Cellius auf einem Holzschnit­t aus dem von ihm selbst verlegten Buch „Imagines Professoru­m Tubingensi­um“.
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FOTO: OH Hermann-Arndt Riethmülle­r

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