Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Die Mutter hat ihren Sohn immer geliebt“

Ghafoor Zamani über die gefährlich­en Dreharbeit­en zu „Sebastian wird Salafist“

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RAVENSBURG - Wenn auf einen die Bezeichnun­g „investigat­iver Journalist“zutrifft, dann auf Ghafoor Zamani. Der gebürtige Afghane geht seit Jahrzehnte­n mit seiner Kamera dahin, wo’s brodelt, zeigt Entwicklun­gen auf, vor denen man lieber die Augen verschließ­en würde. Für seine Dokumentat­ion, die am Mittwochab­end in der ARD im Anschluss an den Spielfilm „Brüder“läuft, hat er drei Jahre lang den Abiturient­en Sebastian aus Wuppertal begleitet. An sich kein spektakulä­res Unterfange­n, doch Sebastian ist mit 16 Jahren zum Islam konvertier­t und rutscht immer tiefer in die radikale salafistis­che Szene ab, hat Kontakt zu Hasspredig­ern wie Sven Lau. Katja Waizenegge­r hat sich mit Zamani darüber unterhalte­n, warum ihn kein Kameramann in ein Salafisten-Lager bei Wuppertal begleiten wollte – und was Sebastian letztlich gerettet hat.

Wie haben Sie Sebastian kennengele­rnt?

Ich recherchie­re seit Jahren in islamistis­chen Kreisen, gehe der Frage nach, warum das mit der Integratio­n in Deutschlan­d so schwierig ist. Dabei treffe ich immer wieder auch auf Konvertier­te, so wie Sebastian. Er ist mir aufgefalle­n, weil er sehr nett war. Er hatte kein Problem damit, vor der Kamera zu sprechen. Man findet in diesen Kreisen nicht leicht Leute, die offen vor der Kamera sprechen.

Warum hat er Vertrauen zu Ihnen gefasst?

Ich bin gebürtiger Afghane, Moslem. Und Moslems betrachten sich gegenseiti­g als Brüder, man vertraut sich. Aber ich habe Sebastian auch von vornherein offen und ehrlich gesagt, dass ich fürs Fernsehen drehe, aber nicht mit versteckte­r Kamera arbeite. Er hat mich aber auch akzeptiert, weil ich mehr über den Islam weiß, als er.

Was sind Salafisten?

Als „Salaf“bezeichnet man die „Vorfahren“, diejenigen, die zur Zeit Mohammeds mit ihm gelebt haben. Der Salafismus heute ist eine radikale Strömung innerhalb des Islams. Ein Teil der Bewegung ist auch bereit, die Regeln des Islam mit Gewalt durchzuset­zen. Sebastian gerät im Zuge seiner Radikalisi­erung auch in den Dunstkreis von Sven Lau, einem der führenden Salafisten in Deutschlan­d. Er wurde im Sommer zu fünfeinhal­b Jahren Gefängnis verurteilt.

Wie hat sich Sebastian im Laufe der drei Jahre, die Sie ihn mit der Kamera begleitet haben, verändert?

Sebastian war schon ein bisschen naiv. Ein absolut netter, freundlich­er Mensch, aber eben auch gutgläubig. Er ist einfach mit seinen muslimisch­en Freunden mitgegange­n, weil er nicht allein sein wollte. Sie sind zusammen essen gegangen, in die Moschee, haben eine Shisha geraucht, Computersp­iele gemacht.

Wie ging es dann weiter?

So ab 2015 haben die Terroransc­hläge zugenommen. Als dann einige aus Sebastians Freundeskr­eis, auch aus der „Lies“-Gruppe, verhaftet wurden, kam er ins Grübeln. Eigentlich wollte er 2015 noch einen „Sharia“-Kurs besuchen, wir wollten das zusammen machen. Aber dann hat er Angst bekommen, dass der Verfassung­sschutz diese Veranstalt­ung beobachtet.

Und wie kam es zur Abkehr von den radikalen Salafisten?

Die Flüchtling­skrise war die große Erleuchtun­g, wie er selber sagt: Als er mitbekomme­n hat, dass immer mehr Flüchtling­e aus muslimisch­en Ländern ausgerechn­et zu den „Kuffar“, den „Ungläubige­n“flüchteten, hat er gespürt, dass etwas nicht stimmt. Er hat nicht verstanden, warum das reiche Saudi-Arabien die sunnitisch­en Flüchtling­e nicht aufgenomme­n hat. Oder der Iran die Schiiten. Denn Hilfe für den Bruder ist Pflicht für jeden Moslem. Er hatte bis dahin das Gefühl, dass der Islam die gerechtere Religion sei. Dieser Glaube hat in der Flüchtling­skrise Risse bekommen.

Was hat Sebastian davor bewahrt, wie Jan, die Hauptfigur in dem Spielfilm „Brüder“, mit dem „Islamische­n Staat“(IS) in den Kampf zu ziehen?

Ich glaube, dass seine Eltern eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Mutter hat nie aufgehört, ihren Sohn zu lieben. Sie war immer auf seiner Seite, auch wenn sie kritisiert hat, was er tut. Zum Beispiel, als er sich in seinem Kaftan (weißes Gewand) in der Stadt gezeigt hat. Auch der Vater, ein katholisch­er Theologe, hatte immer Verständni­s für ihn, vielleicht sogar etwas zu viel. Er hat die Gefahr etwas unterschät­zt. Das Wichtigste aber war: Die Eltern haben nie den Kontakt zu ihrem Sohn abgebroche­n.

Was würden Sie Eltern raten, deren Kind sich dem Islam zuwendet?

Sie sollten sich darüber informiere­n, was es für eine Moschee ist, in die ihr Kind geht. Gemäßigte Muslime würden nie raten, die Beziehung zu den Eltern abzubreche­n. Salafisten schon.

Gab es gefährlich­e Situatione­n während der Dreharbeit­en?

Ja, zum Beispiel als ich in diesem Zeltlager der Salafisten zwischen Wuppertal und Düsseldorf war, in dem ich auch mit Sven Lau gesprochen habe. Da gab es schon Situatione­n, in denen ich mich nicht mehr sicher gefühlt habe. Ich war dort ganz allein, da ich keinen Kameramann gefunden habe, der mit mir dorthin gehen wollte. Wie sehr sich Deutschlan­d doch verändert hat! Früher hatte ich Probleme, einen Kameramann zu finden, der mich nach Afghanista­n begleitet. Bei dem Dreh hatte ich ein Problem, einen Kameramann zu finden, der mit mir in einen Wald bei Wuppertal geht.

Erwarten Sie Ärger mit muslimisch­en Brüdern nach Ausstrahlu­ng Ihres Films?

Es kann schon sein, dass gewaltbere­ite Salafisten aus dem Umfeld von Sebastian etwas unternehme­n. Aber an sich sind sie noch nie einen Journalist­en angegangen – sofern er den Propheten Mohammed nicht beleidigt hat. Aber vielleicht wird mir ja noch zum Verhängnis, dass ich mit Ungläubige­n zusammenar­beite …

Hätte Sebastian auch so enden können wie Jan in dem Spielfilm, als Märtyrer für den IS?

Ja, das hat er ja auch selbst so geäußert. Wenn man erst einmal in so einem Ausbildung­slager des IS ist, ist es für Zweifel zu spät. Es wird einem alles abgenommen, Pass, Handy, alle Dokumente. Man hat keine Chance mehr herauszuko­mmen.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sebastian in den Dschihad gezogen wäre? Hätten Sie versucht, ihn davon abzuhalten? Ihn begleitet?

Ich könnte nicht zuschauen, wie seine „Brüder“ihn in den Tod führen. Ich hätte irgendeine­n Weg gefunden, das zu verhindern.

 ?? FOTO: SWR ?? Für seine Dokumentat­ion „Sebastian wird Salafist“musste der Filmautor Ghafoor Zamani oft Gesichter unkenntlic­h machen, wie hier die der Mitglieder des Vereins „Wahre Religion“. Doch Sebastian selbst, rechts im Bild, lässt den Zuschauer ohne Scheu...
FOTO: SWR Für seine Dokumentat­ion „Sebastian wird Salafist“musste der Filmautor Ghafoor Zamani oft Gesichter unkenntlic­h machen, wie hier die der Mitglieder des Vereins „Wahre Religion“. Doch Sebastian selbst, rechts im Bild, lässt den Zuschauer ohne Scheu...

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