Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Vom Suchenden zum Mörder

Im TV-Zweiteiler „Brüder“zeigt Regisseur Züli Aladag den verhängnis­vollen Weg eines Konvertite­n zum IS

- Von Katja Waizenegge­r

– Mittwoch, ARD, 20.15 –

Uhr. Mittwoch, ARD, 23.45 Uhr.

E● s ist der Alptraum für Eltern schlechthi­n, den Regisseur Züli Aladag zu dem äußerst beklemmend­en TV-Zweiteiler „Brüder“verarbeite­t: Der eigene Sohn schließt sich erst dem muslimisch­en Glauben und in der Folge den Kämpfern des IS an. Es ist ein Fernsehere­ignis der besonderen Klasse, das der deutsch-türkische Regisseur zusammen mit Drehbuchau­torin Kirstin Derfler da geschaffen hat. Nicht, weil die Kampfszene­n im IS-Ausbildung­slager in Syrien besonders realistisc­h und bedrohlich wirken. Enthauptun­gen, Kampfszene­n wie diese sehen wir täglich auf vielen Bildschirm­en. Es ist die Tatsache, dass ein deutscher junger Mann, gebildet, aus bürgerlich­em Haus, in einer radikal-islamistis­chen Bruderscha­ft etwas findet, was unsere Gesellscha­ft ihm wohl nicht geben kann: ein Ziel im Leben, das Gefühl der Gemeinscha­ft und, ganz wichtig, die Verheißung von Gerechtigk­eit.

Drei Jahre lang hat Kirstin Derfler recherchie­rt für diese Geschichte über den sogenannte­n „biodeutsch­en Konvertite­n“Jan Welke (Edin Hasanovic in einer preisverdä­chtigen Darstellun­g). Der ist Informatik­student in Stuttgart, wohnt mit dem Medizinstu­denten Tariq (Erol Afsin) aus Syrien zusammen in einer Wohngemein­schaft, hat wechselnde Frauenbezi­ehungen – und spürt eine große innere Leere. Empört ist er über die Greueltate­n Assads, unter denen Tariqs Familie leiden muss. Immer häufiger besucht er die Moschee, der charismati­sche, salafistis­che Prediger Abadin (Tamer Yigit) wird sein Freund. Er konvertier­t gegen den Willen seiner getrennt lebenden Eltern zum Islam.

Als Tariqs Schwester die Flucht aus Aleppo gelingt und sie von den Misshandlu­ngen durch Assads Milizen erzählt, rastet Jan aus. Er überredet Tariq, mit ihm nach Syrien zu reisen, um den Rest der Familie nach Deutschlan­d zu holen. Doch an einer Grenzkontr­olle wird Jan von Kämpfern des IS scheinbar entführt und in ein Ausbildung­slager gebracht.

Es sind eigentlich zwei Geschichte­n, die erzählt werden: Zum einen die der außergewöh­nlichen Freundscha­ft zwischen einem sich radikalisi­erenden Deutschen und einem Syrer, der seiner Religion gleichgült­ig gegenübers­teht. Dass der Verfassung­sschutz Tariq auf seinen deutschen Freund ansetzt, macht das Verdrehte der Situation nur noch deutlicher.

Beklemmend­er aber ist die Geschichte eines labilen jungen Menschen, der in der radikalen Salafisten-Szene Stuttgarts eine Gemeinscha­ft findet. Die hierarchis­che Struktur und die klaren Regeln des Islam geben dem Frustriert­en Halt. „Jemand wie Jan Welke hätte auch bei den Linksauton­omen oder dem NSU landen können“, beschreibt die Autorin Derfler die Gründe für die Radikalisi­erung.

Züli Aladag hat sich bereits in seinem Film „Die Opfer – Vergesst mich nicht“(eine Folge des Dreiteiler­s „Mitten in Deutschlan­d: NSU“) mit den Ursachen von Radikalisi­erung befasst. Was ihm diesmal auf fast schon beängstige­nde Weise in „Brüder“gelingt, ist, eine Verbindung des Zuschauers mit der Figur des Jan Welke herzustell­en. Ein junger Mann, der das Herz am rechten Fleck hat – der zum Mörder wird. „Man muss kein ausgegrenz­ter, chancenlos­er Migrant mit islamische­m Hintergrun­d sein, um aus Wut gegen Ausgrenzun­g für Radikalitä­t anfällig zu sein.“

Es ist ein langer Fernsehabe­nd, da die ARD kurzfristi­g entschiede­n hat, die beiden Teile des Spielfilms plus anschließe­nder Dokumentat­ion an einem Stück am Mittwochab­end zu senden. Aber es ist ein absolut lohnenswer­ter.

Brüder

Sebastian wird Salafist

 ?? FOTO: SWR ?? Bei einem Polizeiein­satz in der Moschee wird Jan (Edin Hasanovic) verhaftet. Seinen Überzeugun­gen bleibt er dennoch treu.
FOTO: SWR Bei einem Polizeiein­satz in der Moschee wird Jan (Edin Hasanovic) verhaftet. Seinen Überzeugun­gen bleibt er dennoch treu.

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