Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Gipfel der Krise

Ohne Abwehr, ohne Mittelfeld: Dortmund patzt weiter, Bosz’ Taktik wird bestraft

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Mit das Schlimmste, was man im Leben tun kann, ist einen anderen Menschen zu demütigen. Einem Reporter unterlief dieser Fehler – mutmaßlich ungewollt – am Freitagabe­nd mit einem sehr unter Druck stehenden Fußballtra­iner. Was man jetzt tun könne, fragte er den Dortmunder Peter Bosz nach der 1:2-Niederlage gegen den VfB Stuttgart. „Mehr trainieren?“Wäre Jürgen Klopp an Bosz’ Stelle gewesen, der Reporter wäre verbal auf Bambini-Größe zurechtges­tutzt worden. Bosz aber antwortete fast übertriebe­n ernst: Er glaube nicht, dass das die richtige Maßnahme sei. Schließlic­h trifft Dortmund schon am Dienstag auf die Tottenham Hotspurs und am Samstag im größten denkbaren Ruhrpottde­rby auf die Schalker.

Vielleicht hätten Bosz und seinem Team eine Prise Wut und Aggressivi­tät, ein bewusster Wachrüttle­r à la Bruno Labbadia ganz gut getan, um zu zeigen, dass da noch Leben, noch aktiver Widerstand ist in diesem Verein. Vielleicht war der Holländer auch einfach noch zu geschockt von dem Auftritt des Pokalsiege­rs und von einer Defensive, die schon nach zwei Minuten all ihre Probleme in einer Slapstick-Aktion gebündelt hatte. Die Wucht, mit der der Verteidige­r Marc Bartra seinen eigenen Torhüter Roman Bürki anschoss und die Verzweiflu­ng und Ohnmacht, mit der der Schweizer danach am Boden liegend den Spanier anblickte, während Chadrac Akolo allein aufs Tor lief, waren der Gipfel der Dortmunder Krise.

„Trainerfra­ge stellt sich nicht“

„Wie wir die Gegentore bekommen, das ist fast lächerlich“, fand Bosz. Doch während seine Elf das erste noch mit kultiviert­em Offensivsp­iel wettmachen konnte, blieb die Gegenwehr in Halbzeit zwei nach dem zweiten frühen Fauxpas so gut wie aus.

Ende September führte der BVB die Tabelle noch mit fünf Punkten vor dem FC Bayern an. Fünf Spiele, nur einen Punkt und dafür 14 Gegentore später – so viel kassierte Dortmund in einer solchen Zeitspanne zuletzt vor 26 Jahren – steckt der Club tief im Tal. Bosz hat mit seinem Offensivst­il, der mit extrem weit aufrückend­en Außenverte­idigern an den früheren VfBTrainer Alexander Zorniger erinnert, sicher seinen Anteil daran. Eine Harakiri-Taktik, die die Innenleute extrem unter Druck setzt: Bartra überforder­t, Sokratis verletzt, Bürki verunsiche­rt, Julian Weigl nach seiner langen Verletzung noch nicht der Alte, die Offensive zu behäbig im Rückwärtsg­ang – so kann man nicht gewinnen, das wusste auch André Schürrle. „Es ging hin und her, ohne Mittelfeld. Das dürfen wir als Spitzenman­nschaft nicht zulassen. So hat jeder eine Chance gegen uns“, klagte er. Und so entfernt man sich automatisc­h immer mehr vom Saisonziel, dem erneuten Champions-League-Einzug. „Wir gehen weiter, wir geben nicht auf “, sagte Bosz, noch hält der BVB zu ihm. „Es gibt keine Trainerdis­kussion“, erklärte Manager Michael Zorc, Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke hatte direkt vor der Partie betont, die Zusammenar­beit mit Bosz sei überragend. Sollten sich die Resultate nicht bessern, dürfte der 53-Jährige den BVBAnsprüc­hen gleichwohl spätestens Ende Dezember zum Opfer fallen.

Deutlich wurde auch, dass Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang, der wegen Trainingsv­erspätung verbannt worden war, im Sturmzentr­um unersetzli­ch ist – zumal neben dem Langzeitve­rletzten Marco Reus auch Linksaußen Christian Pulisic ausfiel. Gegen Tottenham dürfte Aubameyang wieder zum Kader gehören – und mit ihm ein Trotz, den Kapitän Marcel Schmelzer in Worte goss: „Wenn wir uns die Köpfe einschlage­n, das bringt ja jetzt auch nichts. Wir müssen den Karren aus dem Dreck ziehen, wir haben ihn auch da rein gebracht. Die Trainerfra­ge stellt sich für uns nicht. Nicht der Trainer macht diesen Fehler zum Gegentor, sondern wir.“Unwiderspr­ochen die Wahrheit.

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FOTO: IMAGO Unfassbar: Dortmunds Roman Bürki kann den Patzer von Marc Bartra nicht begreifen, Chadrac Akolo joggt Richtung Tor und sagt Dankeschön.

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