Jamaika abgehakt
Grüne analysieren beim Parteitag Scheitern der Gespräche und stellen sich für Opposition auf
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BERLIN - Sie hat es vorher geahnt. Ska Keller, die grüne Europapolitikerin, hat schon vor den Sondierungen eine Flasche Whisky gewettet, dass es nicht zu Jamaika kommt. Und sie hat recht behalten. Keller scheint zufrieden. Viele andere beim GrünenParteitag in der Arena in Treptow bedauern dagegen, dass die Grünen nicht in einer Regierung dazu beitragen können, den Klimawandel zu stoppen. „Zukunft ist, was wir draus machen“steht weiß auf grünem Hintergrund.
„Wir haben uns gequält“, sagt Claudia Roth. Sie hat Kritik auf sich gezogen, weil sie bei den Flüchtlingen zu Kompromissen bereit war. Parteichef Cem Özdemir attestiert ihr, „hammermäßig verhandelt“zu haben.
Özdemir wird in Berlin gefeiert. Er erhält, was bei den Grünen nicht selbstverständlich ist, stehende Ovationen. Als die Sondierungen geplatzt sind, sei sein erster Gedanke gewesen, dass es gut sei, dass Frankreichs Präsident zurzeit Emmanuel Macron heiße. Weil die Europäische Union sonst komplett ohne europafreundliche Führung wäre. Über die Mitverhandler war Özdemir weniger froh. Mitunter hätte er „lieber eine Hanfpflanze als den einen oder anderen Sondierer“neben sich auf dem berühmtem Balkon vor dem Reichstagspalais gehabt, sagt Özdemir. Überhaupt, diese „Alphatierchen, die sagen, sie seien an stärkeren Frauen gescheitert“, schimpft Özdemir mit Blick auf FDP und CSU. Diese Alphatierchen sei er leid. Claudia Roth fordert den Parteitag auf: „Lasst uns ein Gegenpol sein zu den Ichlingen, die Macht und Partei den Interessen der Menschen voranstellen.“
Auch Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt geht scharf mit der FDP ins Gericht. „Während auf der Klimakonferenz in Bonn die Fidschis um ihr Überleben kämpfen, muss ich mich mit der FDP über den Sinn der Energiewende streiten.“Immerhin habe sie von der FDP ein neues Wort gelernt: Dunkelflaute. So nenne man die zwei Tage, an denen die FDP befürchte, dass es nicht genügend Elektrizität gibt, wenn man zu viel Braunkohle abbaue. Für GöringEckardt ist diese Befürchtung Unfug. Ihr Fazit: FDPChef Christian Lindner sei es nie um Politik für Arme gegangen – auch nicht um eine Politik für Kinder, Frauen und fürs Klima. Noch nicht einmal der Soli sei für den Parteivorsitzenden entscheidend gewesen: „Christian Lindner ging es um Christian Lindner“, sagt Göring-Eckardt.
Gruppenfoto mit den Verhandlern
Wie bei einer Oscar-Verleihung holt Katrin Göring-Eckardt die Verhandler auf die Bühne, von „hart verhandelnden jungen Frauen“wie Agnieszka Brugger bis zum grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, „der so viel Zeit mit den Grünen“verbracht habe wie lange nicht. „Die wilde 14“, alle Verhandler zusammen, stellen sich zum Gruppenfoto. Sie erhalten Geschenkkörbe mit Produkten von Goji-Beeren bis zum Detox-Pulver, das beim Entgiften helfen soll. Sie werden gefeiert, als ob die Sondierungen geklappt hätten. Baden-Württembergs grüner Sozialminister Manne Lucha kann das erklären. Die Partei habe sich ihrer selbst vergewissert und erlebe, dass sie inhaltlich gut arbeitet und geschlossen ist. „Wir sind so gut aufgestellt wie nie.“Kretschmann ist „immer noch bestürzt“, dass es vier Parteien in solch schwieriger Situation in Europa nicht gelungen ist, sich zusammenzuraufen. An CDU und Grünen habe es nicht gelegen, und die Grünen wären weiterhin bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Die Ergebnisse der Sondierungen werden von einer Mehrheit der Redner in Berlin akzeptiert. Sie habe zwar teilweise „Bauchgrimmen bis hin zur Kolik“gehabt, so Ingrid Nestle aus Kiel, aber was sei das gegen die Chance, den Klimawandel zu stoppen und Kinder vor dem Verhungern zu bewahren.
Die Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger meint, Jamaika sei nicht die grüne Paradiesinsel, jetzt könne ihre Partei „zurück zu grünen klaren Inhalten“. Sie freut sich über die neue Geschlossenheit, die das Team erreicht habe. „Noch zwei Wochen weiter und es hätte einen Stammtisch gegeben, zu dem Winfried (Kretschmann) und Jürgen (Trittin) gemeinsam eingeladen hätten.“
Trittin sagt, keiner habe sich diese Jamaika-Koalition ausgesucht. Aber gescheitert sei sie an der FDP. Und Robert Habeck, der grüne Umweltminister aus Kiel, zieht das Fazit: „Wenn man aufs Tierwohl schaut, hätte Jamaika eine echte Schweinekoalition werden können.“