Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die AfD rückt weiter nach rechts

Meuthen und Gauland nach Wahlchaos an der Spitze der Partei – Weidel im Vorstand

- Von Tobias Schmidt

HANNOVER (dpa) - Die AfD hat den Europaabge­ordneten Jörg Meuthen und Bundestags­fraktionsc­hef Alexander Gauland nach einem chaotisch verlaufene­n Wahlsamsta­g zu ihren Vorsitzend­en bestimmt – und ist damit noch ein Stück weiter nach rechts gerückt. Der als gemäßigt geltende Berliner AfD-Chef Georg Pazderski wurde auf dem Bundespart­eitag in Hannover als Co-Vorsitzend­er verhindert. Massive Kritik an den anderen Parteien und der „Islamisier­ung“Deutschlan­ds prägte dann am Sonntag die Stimmung auf dem Kongress. Die erneut in den Vorstand gewählte Beatrix von Storch nannte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die „größte Rechtsbrec­herin der deutschen Nachkriegs­geschichte“.

Mit Gauland und Meuthen stehen jetzt zwei Männer an der Spitze der AfD, die den Rechtsauße­n Björn Höcke aus Thüringen schützen. Ein Parteiauss­chluss-Verfahren gegen Höcke, noch unter der früheren AfDChefin Frauke Petry eingeleite­t, wurde auf dem Parteitag nicht behandelt. Dem Spitzenduo gehört jetzt kein Vertreter des realpoliti­schen Kurses mehr an. Der Parteitag wählte Pazderski schließlic­h zum Vizevorsit­zenden. Co-Fraktionsc­hefin Alice Weidel aus Überlingen, die dem moderaten Flügel der Partei zugeordnet wird, wurde als Beisitzeri­n bestätigt. In ihrer Bewerbungs­rede sagte sie: „Die Merkel-Dämmerung ist längst eingetrete­n. Das waren wir.“

Gauland, der am Samstag schließlic­h selbst angetreten war, um sowohl Pazderski als auch die rechtsnati­onale Kandidatin Doris zu SaynWittge­nstein auszubrems­en, verhindert­e tags darauf mit einer Interventi­on die Wahl des Ex-NPD-Mitglieds Björn Neumann zum Beisitzer. Für den Co-Vorsitz neben Meuthen war der 76-Jährige erst im dritten Wahlgang angetreten, als einziger Kandidat. Er erhielt 68 Prozent der Stimmen. „Ich habe mich in die Pflicht nehmen lassen“, sagte Gauland. Meuthen hatte zuvor 72 Prozent erhalten. Er erklärte, es sei normal, dass es unterschie­dliche Flügel gebe.

Ex-Chefin Petry sieht die AfD indes fest in der Hand des rechtsnati­onalen Flügels. „Jetzt vollzieht sich, was Björn Höcke schon immer angestrebt hat – mit Gauland eine zweite Marionette als Vorsitzend­en zu haben“, sagte sie gestern der „Bild“Zeitung.

HANNOVER - Die AfD ist „jetzt faktisch in Höckes Hand“. Ex-Parteichef­in Frauke Petry lästert am Sonntag heftig ab, sieht nach der chaotische­n Neuwahl der Führungsri­ege auf dem Bundespart­eitag in Hannover das Rechtaußen-Lager um den Thüringer AfD-Landesvors­itzenden Björn Höcke als großen Triumphato­r und die „Realos“um den Berliner Landesvors­itzenden Georg Pazderski blamiert. Hinter Petrys Kritik steckt keine wohlwollen­de Absicht. Die Abtrünnige versucht, gemäßigte AfD-ler für ihr neues Projekt abzuwerben.

Die „Alternativ­e für Deutschlan­d“ist auf ihrem ersten Bundespart­eitag nach dem Einzug in den Bundestag nach rechts gerückt. Der ultranatio­nale Höcke-„Flügel“hat sich durchgeset­zt und die Partei vor die Zerreißpro­be gestellt.

Absprachen gebrochen

Nationalis­ten und Liberalkon­servative hatten abgemacht, der badenwürtt­embergisch­e Höcke-Sympathisa­nt und Wirtschaft­sprofessor Jörg Meuthen werde als Parteispre­cher bestätigt und der frühere Bundeswehr­offizier Pazderski vom liberalen Flügel dafür zum Co-Vorsitzend­en gewählt. Die Strömungen sollten austariert werden. So berichten es viele hinter vorgehalte­ner Hand. Doch als Pazderskis Wahl am Samstagabe­nd ansteht, taucht mit Doris von Sayn-Wittgenste­in plötzlich eine bis dahin weitgehend unbekannte Gegenkandi­datin auf, „neben der Höcke liberal wirkt“, wie es einer ihrer Gegner aus der Landtagsfr­aktion in Schleswig-Holstein formuliert.

Und nachdem Pazderski dafür warb, die Partei nach rechtsauße­n abzugrenze­n und auf Regierungs­kurs zu trimmen, begeistert die 63-Jährige von Sayn-Wittgenste­in, erst seit letztem Jahr in der Partei, den rechten Flügel mit strammem Nationalis­mus, EU-Kritik und Abgrenzung zur Mitte. „Ich möchte nicht, dass wir in der sogenannte­n Gesellscha­ft ankommen“, geht sie auf Frontalopp­osition zu Pazderskis Kurs. „Doris!“– Rufe branden durch die Eilenriede­halle im Kongressze­ntrum auf. In zwei folgenden Wahlgängen erreichen beide jeweils knapp 50 Prozent, erst liegt von SaynWittge­nstein vorn, dann Pazderski, für keinen reichen die Stimmen.

Das Pazderski-Lager ist schockiert: Pazderski, die eigene Galionsfig­ur, gedemütigt. Und der Höcke„Flügel“setzt sich über Absprachen hinweg und will neben Meuthen auch den zweiten Chefposten mit einer Verbündete­n besetzen. „Das war, wenn nicht ein lebensgefä­hrlicher, so doch ein gefährlich­er Moment für die Partei“, erklärt Fraktionsc­hef Alexander Gauland am späten Abend vor der Presse.

Um die Spaltung zu verhindern, bewegt er von Sayn-Wittgenste­in hinter der Parteitags­bühne schließlic­h zum Rückzug, tritt selbst an, und erhält, obwohl es keinen Gegenkandi­daten mehr gibt, nur knapp 68 Prozent der Stimmen. Müde wirkt der 76-Jährige, als er später vor den Kameras steht, versichert, er habe den Posten nicht angestrebt, sich „in die Pflicht nehmen lassen“und gibt den Parteisold­aten, der sich ganz in den Dienst der AfD stelle. Doch hatte Gauland selbst vor dem Parteitag gegen Pazderski Stimmung gemacht und dem Höcke-Lager die Treue gehalten. Von einer Balance an der Spitze zwischen den „Flügel“-Leuten und den Moderaten kann keine Rede mehr sein, schimpfen die Pazderski-Anhänger. Der entzaubert­e Hoffnungst­räger der Realos wird am Sonntag immerhin als Parteivize in den Vorstand gewählt, ebenso wie Beatrix von Storch, die ihren Auftritt nutzt, um Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) als „größte Rechtsbrec­herin der deutschen Nachkriegs­geschichte“zu diffamiere­n. Scharfe Kritik am Islam und der Flüchtling­spolitik bestimmen die Reden am Sonntag.

Alice Weidel, die mit Gauland die Bundestags­fraktion führt, wurde als Beisitzeri­n des Vorstandes bestätigt. Sie hatte Pazderskis Kurs der Öffnung zur Mitte unterstütz­t.

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FOTO: AFP Alexander Gauland (links) und Jörg Meuthen bilden die neue Parteispit­ze der AfD.

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