Die vier verlängerten Arme des Doktors
Er zittert nie, er wird nie müde – das roboter-gestützte System Da Vinci kann helfen, ein besserer Chirurg zu sein
● FRIEDRICHSHAFEN - Fast wirkt die Szenerie weihnachtlich, nachdem eine der Schwestern das grelle Licht im Operationssaal des Klinikums Friedrichshafen gelöscht hat: In der dunkelgrünen Kluft wirken die Ärzte und Schwestern wie eine Gruppe von ungeschmückten, schattenhaften Tannenbäumen, die sich rings um die Hauptperson versammelt haben. Für das „Schlaf in himmlischer Ruh‘“der Patientin sorgt Dr. Martin Eble, der Anästhesist. In bunten Farben leuchten auf Monitoren fast schon besinnlich die wichtigen Informationen zu Herzschlag und Blutdruck in den stillen Raum hinein, in dem sich die gespannte Konzentration für einen kurzen Augenblick zu einer Gänsehaut steigert.
Die Luft indes hat überhaupt nichts Weihnachtliches: Die Menschen atmen den Geruch von Keimfreiheit. Ganz ähnlich jenem, der sich ausbreitet, wenn man im Auto die Scheibenwischanlage ein bisschen zu intensiv nutzt. Bis es im OP überhaupt so weit war, hat die siebenköpfige Mannschaft eine Reihe von Vorbereitungsarbeiten hinter sich gebracht. Angefangen beim Setzen verschiedener Schläuche durch den Mund, damit die Patientin gezielt beatmet werden kann. Außerdem hängen die Mediziner einen Lungenflügel der Frau – die starke Raucherin ist – ab, wie es unter Fachleuten heißt. „Das ist notwendig für die Operation“, flüstert Eble. Der betreffenden Lungenhälfte wird sozusagen die Luft abgelassen. Dabei fällt das Gewebe zusammen und der Chirurg hat bestmöglichen Zugang zur kritischen Stelle, von der die Ärzte zum Zeitpunkt des Eingriffs noch nicht wissen, was da genau ist. Diese weißliche Stelle, die auf dem beigen Untergrund des angegriffenen Lungengewebes geformt ist wie ein kleiner weißer Teddybär.
Es fließt kein Blut
Insgesamt fünf minimalinvasive Zugänge hat das Team in den Brustkorb der Frau gelegt. Die Bilder auf den Monitoren jagen einen stummen Schauder über den Rücken, wenn kaltes Metall sich seinen Weg durch warmes, menschliches Fleisch bahnt. Abgebrühte Mediziner spüren dabei schon lange nichts mehr. Bei dieser Prozedur fließt fast kein Blut. Eine Apparatur mit vier Armen rückt nun näher an den OP-Tisch. Das ist der „Da Vinci“, der Star im Raum, ein Operations-Roboter neuester Generation. Zwei Millionen Euro teuer, aber sein Geld wert, wie eine Reihe von Medizinern an diesem Tag noch versichern. Sein Instrumentarium wird nun an die Kanäle angeschlossen, die in den Brustkorb der Frau führen. Gleichmäßig signalisiert ein regelmäßiges „Piep, piep, piep ...“, dass die Patientin in einem stabilen Zustand ist.
Der eigentliche Operateur, Privatdozent Dr. Stefan Limmer, verlässt den OP-Tisch, obwohl die Operation noch gar nicht begonnen hat. Er setzt sich an ein Bedien-terminal, das in der Ecke des Saals steht, etwa vier Meter vom Patienten entfernt. Seine Hände gleiten in eine bewegliche Apparatur. Mit dieser hochtechnologischen und feinfühligen Einrichtung steuert er nun das Instrumentarium des Roboters im Brustkorb der Frau in Echtzeit. Sehen kann er das Innere seiner Patienten in bis zu zehnfacher Vergrößerung, hochauflösend und dreidimensional. Sogar Nervenbahnen kann er damit sehen. Als wäre der Chirurg selbst in diesem Brustkorb, der regelmäßig durch den rhythmischen Herzschlag in ein leichtes Beben versetzt wird. Der Operateur kann alle Abläufe in entspannter Sitzhaltung vornehmen – und daher länger und zugleich konzentrierter operieren.
Zangen arbeiten sich präzise an den Bereich des verdächtigen Gewebes heran. Sie wölben es nach außen, bis ein kleines Werkzeug – einem Glätteisen für Haare nicht unähnlich – die Geschwulst sauber vom Lungenflügel trennt und dabei in einem Arbeitsgang das verbliebene Gewebe wieder schließt. Auch hier: Kaum ein Blutstropfen fließt.
Limmer gibt noch einige Anweisungen, dann nimmt er den Kopf von der Optik des Terminals des Da Vinci, lässt die Hände aus der Steuerung gleiten und sieht zufrieden aus: „Alles wie geplant“, sagt der 52-jährige Spezialist für minimalinvasive Chirurgie. Draußen auf dem Flur vor den OP-Sälen steht der Chef des Zentrums, Professor Volker Wenzel und sagt, dass der Da Vinci bei etwa 200 Operationen pro Jahr zum Einsatz kommt. Winfried Dotterweich, der OP-Manager, nickt und teilt die Ansicht, dass der Da Vinci einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung der minimalinvasiven Chirurgie darstellt. Der Einsatz von teurer Apparatemedizin ist nicht selten Gegenstand von Kritik. Gegner solch kostspieliger Investitionen, die der Da-Vinci-Roboter zweifellos darstellt, argumentieren, dass der zusätzliche Nutzen in keiner vernünftigen Relation zu den Kosten steht. Wenn Stefan Limmer so etwas hört, zieht er in aller Ruhe sein Handy aus der Tasche und zeigt das Bild eines Mannes in mittleren Jahren: „Das ist ein Herr zwei Tage nach der teilweisen Entfernung eines Lungenflügels.“Der Mann auf dem Foto sitzt aufrecht im Bett und reckt einen Daumen in die Kamera. „Er hat die Klinik vier Tage nach der Operation verlassen.“
Die Präzision steigt
Genügt dafür nicht auch die klassische Schlüsselloch-Chirurgie, die auch Limmer in seiner Ausbildung erlernt und dann viele Jahre praktiziert hat und noch immer praktiziert? „Die Möglichkeiten des Da Vinci sind mit einem konventionellen System nicht zu vergleichen.“Neben der Tatsache, dass die Arme eines Roboters niemals ermüden, dass sie nicht zittern im Vergleich zum Operateur, kann sich die Hand eines Menschen auch nicht um 360 Grad drehen, so wie das Instrumentarium des Da Vinci es fertigbringt. In der Folge steige die Präzision, Fehler würden minimiert und Patienten erholten sich auch von schweren Operationen deutlich schneller, die Komplikationsrate sinke. „Die Kanäle haben den Durchmesser eines Kugelschreibers“, sagt Limmer. Damit sprechen auch kosmetische Aspekte für den Da Vinci, der entsprechend kleine Narben zurücklässt.
Vor den Zeiten der SchlüssellochChirurgie war es bei Lungenoperationen nötig, Rippen zu trennen, um überhaupt ans Operationsgebiet zu gelangen. „Das verursacht Schmerzen und beinhaltet das Risiko von Komplikationen“, erklärt Thoraxchirurg Limmer.
Doch der erstaunliche Apparat sei nicht gleichsam für jede Art der Operation geeignet, sagt er: „Ein guter Operateur entfernt einen Blinddarm in einer Viertelstunde.“Da dauere es bereits länger, den Da Vinci überhaupt einsatzbereit zu machen. Außerdem sei der Roboter bei allen offenen Operationen und bei der Knochen-Chirurgie wenig geeignet. „Überall dort, wo Sie keinen Platz haben, entfaltet er sein volles Potenzial“, sagt Limmer.
Im Klinikum Friedrichshafen, das mit dem Krankenhaus 14 Nothelfer in Weingarten den Medizin Campus Bodensee bildet, gehören ProstataOperationen und Eingriffe der Frauenheilkunde zum weiteren Spektrum des Roboters. Die aktuelle Version des Da Vinci hat seinen Vorgänger aus dem Jahr 2011 abgelöst.
Und was ist der nächste Schritt? Eine OP ganz ohne Menschen? Da schüttelt Limmer energisch den Kopf. Denn es ärgert ihn, wenn in der Öffentlichkeit das Bild entsteht, der Einsatz eines Roboters sei gleichbedeutend mit der Entmenschlichung der Medizin. „Es ist ein präzises Hilfsmittel“, sagt Limmer, der bei der heutigen Operation zeitweise mit sieben Fachkollegen im Saal stand. Denn bei aller Freude über den technischen Helfer: Sollte es zu Komplikationen kommen, braucht es noch immer einen erfahrenen Menschen, der im Notfall offen operiert.
Eine Vision im Rahmen der Telemedizin hält Limmer allerdings für realistisch: „Ich kann mir vorstellen, dass Sie irgendwann einmal ein Spezialist in Tokio operiert, während Sie Tausende Kilometer entfernt auf einem OP-Tisch liegen.“Das aber sei Zukunftsmusik, momentan hake es noch an den Datenleitungen, die den Anforderungen einer solchen FernOP noch nicht genügten.
Ob Stefan Limmer die konkrete Patientin noch einmal operieren wird, weiß er nicht. Die Untersuchung des entnommenen Gewebes wird zeigen, ob es Krebs ist und damit Teile des Lungenflügels entfernt werden müssen. „Man hat aber gut sehen können, dass die Frau jahrzehntelang starke Raucherin war“, sagt Limmer. Zu sehr darf die Menschen im Operationssaal das persönliche Schicksal eines Patienten aber nicht berühren. Ohne entsprechende Abgrenzung geht es nicht. Insbesondere die Patienten selbst profitieren von einem Team, das kühl und konzentriert vorgeht. „Der Da Vinci hilft dabei. Im Ausland ist diese Technik viel verbreiteter als bei uns“, sagt Limmer.
In Deutschland bezahlen die Krankenkassen keinen höheren Satz für Operationen mit dem teuren Roboter. Der Medizin Campus Bodensee verlangt dennoch keine Zuzahlung. Warum? „Wir sehen das als Dienst am Patienten. Und natürlich hat das auch etwas mit dem Image zu tun. Wir zeigen nach außen, dass wir innovativ sind“, erklärt Kliniksprecherin Susann Ganzert.
„Ich kann mir vorstellen, dass Sie irgendwann einmal ein Spezialist in Tokio operiert, während Sie Tausende Kilometer entfernt auf einem OP-Tisch liegen.“Stefan Limmer