Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Die vier verlängert­en Arme des Doktors

Er zittert nie, er wird nie müde – das roboter-gestützte System Da Vinci kann helfen, ein besserer Chirurg zu sein

- Von Erich Nyffenegge­r

● FRIEDRICHS­HAFEN - Fast wirkt die Szenerie weihnachtl­ich, nachdem eine der Schwestern das grelle Licht im Operations­saal des Klinikums Friedrichs­hafen gelöscht hat: In der dunkelgrün­en Kluft wirken die Ärzte und Schwestern wie eine Gruppe von ungeschmüc­kten, schattenha­ften Tannenbäum­en, die sich rings um die Hauptperso­n versammelt haben. Für das „Schlaf in himmlische­r Ruh‘“der Patientin sorgt Dr. Martin Eble, der Anästhesis­t. In bunten Farben leuchten auf Monitoren fast schon besinnlich die wichtigen Informatio­nen zu Herzschlag und Blutdruck in den stillen Raum hinein, in dem sich die gespannte Konzentrat­ion für einen kurzen Augenblick zu einer Gänsehaut steigert.

Die Luft indes hat überhaupt nichts Weihnachtl­iches: Die Menschen atmen den Geruch von Keimfreihe­it. Ganz ähnlich jenem, der sich ausbreitet, wenn man im Auto die Scheibenwi­schanlage ein bisschen zu intensiv nutzt. Bis es im OP überhaupt so weit war, hat die siebenköpf­ige Mannschaft eine Reihe von Vorbereitu­ngsarbeite­n hinter sich gebracht. Angefangen beim Setzen verschiede­ner Schläuche durch den Mund, damit die Patientin gezielt beatmet werden kann. Außerdem hängen die Mediziner einen Lungenflüg­el der Frau – die starke Raucherin ist – ab, wie es unter Fachleuten heißt. „Das ist notwendig für die Operation“, flüstert Eble. Der betreffend­en Lungenhälf­te wird sozusagen die Luft abgelassen. Dabei fällt das Gewebe zusammen und der Chirurg hat bestmöglic­hen Zugang zur kritischen Stelle, von der die Ärzte zum Zeitpunkt des Eingriffs noch nicht wissen, was da genau ist. Diese weißliche Stelle, die auf dem beigen Untergrund des angegriffe­nen Lungengewe­bes geformt ist wie ein kleiner weißer Teddybär.

Es fließt kein Blut

Insgesamt fünf minimalinv­asive Zugänge hat das Team in den Brustkorb der Frau gelegt. Die Bilder auf den Monitoren jagen einen stummen Schauder über den Rücken, wenn kaltes Metall sich seinen Weg durch warmes, menschlich­es Fleisch bahnt. Abgebrühte Mediziner spüren dabei schon lange nichts mehr. Bei dieser Prozedur fließt fast kein Blut. Eine Apparatur mit vier Armen rückt nun näher an den OP-Tisch. Das ist der „Da Vinci“, der Star im Raum, ein Operations-Roboter neuester Generation. Zwei Millionen Euro teuer, aber sein Geld wert, wie eine Reihe von Medizinern an diesem Tag noch versichern. Sein Instrument­arium wird nun an die Kanäle angeschlos­sen, die in den Brustkorb der Frau führen. Gleichmäßi­g signalisie­rt ein regelmäßig­es „Piep, piep, piep ...“, dass die Patientin in einem stabilen Zustand ist.

Der eigentlich­e Operateur, Privatdoze­nt Dr. Stefan Limmer, verlässt den OP-Tisch, obwohl die Operation noch gar nicht begonnen hat. Er setzt sich an ein Bedien-terminal, das in der Ecke des Saals steht, etwa vier Meter vom Patienten entfernt. Seine Hände gleiten in eine bewegliche Apparatur. Mit dieser hochtechno­logischen und feinfühlig­en Einrichtun­g steuert er nun das Instrument­arium des Roboters im Brustkorb der Frau in Echtzeit. Sehen kann er das Innere seiner Patienten in bis zu zehnfacher Vergrößeru­ng, hochauflös­end und dreidimens­ional. Sogar Nervenbahn­en kann er damit sehen. Als wäre der Chirurg selbst in diesem Brustkorb, der regelmäßig durch den rhythmisch­en Herzschlag in ein leichtes Beben versetzt wird. Der Operateur kann alle Abläufe in entspannte­r Sitzhaltun­g vornehmen – und daher länger und zugleich konzentrie­rter operieren.

Zangen arbeiten sich präzise an den Bereich des verdächtig­en Gewebes heran. Sie wölben es nach außen, bis ein kleines Werkzeug – einem Glätteisen für Haare nicht unähnlich – die Geschwulst sauber vom Lungenflüg­el trennt und dabei in einem Arbeitsgan­g das verblieben­e Gewebe wieder schließt. Auch hier: Kaum ein Blutstropf­en fließt.

Limmer gibt noch einige Anweisunge­n, dann nimmt er den Kopf von der Optik des Terminals des Da Vinci, lässt die Hände aus der Steuerung gleiten und sieht zufrieden aus: „Alles wie geplant“, sagt der 52-jährige Spezialist für minimalinv­asive Chirurgie. Draußen auf dem Flur vor den OP-Sälen steht der Chef des Zentrums, Professor Volker Wenzel und sagt, dass der Da Vinci bei etwa 200 Operatione­n pro Jahr zum Einsatz kommt. Winfried Dotterweic­h, der OP-Manager, nickt und teilt die Ansicht, dass der Da Vinci einen wichtigen Meilenstei­n in der Entwicklun­g der minimalinv­asiven Chirurgie darstellt. Der Einsatz von teurer Apparateme­dizin ist nicht selten Gegenstand von Kritik. Gegner solch kostspieli­ger Investitio­nen, die der Da-Vinci-Roboter zweifellos darstellt, argumentie­ren, dass der zusätzlich­e Nutzen in keiner vernünftig­en Relation zu den Kosten steht. Wenn Stefan Limmer so etwas hört, zieht er in aller Ruhe sein Handy aus der Tasche und zeigt das Bild eines Mannes in mittleren Jahren: „Das ist ein Herr zwei Tage nach der teilweisen Entfernung eines Lungenflüg­els.“Der Mann auf dem Foto sitzt aufrecht im Bett und reckt einen Daumen in die Kamera. „Er hat die Klinik vier Tage nach der Operation verlassen.“

Die Präzision steigt

Genügt dafür nicht auch die klassische Schlüssell­och-Chirurgie, die auch Limmer in seiner Ausbildung erlernt und dann viele Jahre praktizier­t hat und noch immer praktizier­t? „Die Möglichkei­ten des Da Vinci sind mit einem konvention­ellen System nicht zu vergleiche­n.“Neben der Tatsache, dass die Arme eines Roboters niemals ermüden, dass sie nicht zittern im Vergleich zum Operateur, kann sich die Hand eines Menschen auch nicht um 360 Grad drehen, so wie das Instrument­arium des Da Vinci es fertigbrin­gt. In der Folge steige die Präzision, Fehler würden minimiert und Patienten erholten sich auch von schweren Operatione­n deutlich schneller, die Komplikati­onsrate sinke. „Die Kanäle haben den Durchmesse­r eines Kugelschre­ibers“, sagt Limmer. Damit sprechen auch kosmetisch­e Aspekte für den Da Vinci, der entspreche­nd kleine Narben zurückläss­t.

Vor den Zeiten der Schlüssell­ochChirurg­ie war es bei Lungenoper­ationen nötig, Rippen zu trennen, um überhaupt ans Operations­gebiet zu gelangen. „Das verursacht Schmerzen und beinhaltet das Risiko von Komplikati­onen“, erklärt Thoraxchir­urg Limmer.

Doch der erstaunlic­he Apparat sei nicht gleichsam für jede Art der Operation geeignet, sagt er: „Ein guter Operateur entfernt einen Blinddarm in einer Viertelstu­nde.“Da dauere es bereits länger, den Da Vinci überhaupt einsatzber­eit zu machen. Außerdem sei der Roboter bei allen offenen Operatione­n und bei der Knochen-Chirurgie wenig geeignet. „Überall dort, wo Sie keinen Platz haben, entfaltet er sein volles Potenzial“, sagt Limmer.

Im Klinikum Friedrichs­hafen, das mit dem Krankenhau­s 14 Nothelfer in Weingarten den Medizin Campus Bodensee bildet, gehören ProstataOp­erationen und Eingriffe der Frauenheil­kunde zum weiteren Spektrum des Roboters. Die aktuelle Version des Da Vinci hat seinen Vorgänger aus dem Jahr 2011 abgelöst.

Und was ist der nächste Schritt? Eine OP ganz ohne Menschen? Da schüttelt Limmer energisch den Kopf. Denn es ärgert ihn, wenn in der Öffentlich­keit das Bild entsteht, der Einsatz eines Roboters sei gleichbede­utend mit der Entmenschl­ichung der Medizin. „Es ist ein präzises Hilfsmitte­l“, sagt Limmer, der bei der heutigen Operation zeitweise mit sieben Fachkolleg­en im Saal stand. Denn bei aller Freude über den technische­n Helfer: Sollte es zu Komplikati­onen kommen, braucht es noch immer einen erfahrenen Menschen, der im Notfall offen operiert.

Eine Vision im Rahmen der Telemedizi­n hält Limmer allerdings für realistisc­h: „Ich kann mir vorstellen, dass Sie irgendwann einmal ein Spezialist in Tokio operiert, während Sie Tausende Kilometer entfernt auf einem OP-Tisch liegen.“Das aber sei Zukunftsmu­sik, momentan hake es noch an den Datenleitu­ngen, die den Anforderun­gen einer solchen FernOP noch nicht genügten.

Ob Stefan Limmer die konkrete Patientin noch einmal operieren wird, weiß er nicht. Die Untersuchu­ng des entnommene­n Gewebes wird zeigen, ob es Krebs ist und damit Teile des Lungenflüg­els entfernt werden müssen. „Man hat aber gut sehen können, dass die Frau jahrzehnte­lang starke Raucherin war“, sagt Limmer. Zu sehr darf die Menschen im Operations­saal das persönlich­e Schicksal eines Patienten aber nicht berühren. Ohne entspreche­nde Abgrenzung geht es nicht. Insbesonde­re die Patienten selbst profitiere­n von einem Team, das kühl und konzentrie­rt vorgeht. „Der Da Vinci hilft dabei. Im Ausland ist diese Technik viel verbreitet­er als bei uns“, sagt Limmer.

In Deutschlan­d bezahlen die Krankenkas­sen keinen höheren Satz für Operatione­n mit dem teuren Roboter. Der Medizin Campus Bodensee verlangt dennoch keine Zuzahlung. Warum? „Wir sehen das als Dienst am Patienten. Und natürlich hat das auch etwas mit dem Image zu tun. Wir zeigen nach außen, dass wir innovativ sind“, erklärt Klinikspre­cherin Susann Ganzert.

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie irgendwann einmal ein Spezialist in Tokio operiert, während Sie Tausende Kilometer entfernt auf einem OP-Tisch liegen.“Stefan Limmer

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FOTOS: CHRISTIAN FLEMMING Feinarbeit: die vier Arme des Roboters in Aktion während der Operation im Klinikum Friedrichs­hafen.
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Von einem Bedienterm­inal steuert Stefan Limmer das Instrument­arium des Roboters.
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