Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Steuern, Strafen, Recycling

Immer mehr Länder intensivie­ren den Kampf gegen Plastikmül­l

- Von Gioia Forster

NAIROBI (dpa) - Bis zu vier Jahre Haft oder maximal 32 500 Euro Strafe. Das droht jemandem, der in Kenia eine Plastiktüt­e nutzt. Das ostafrikan­ische Land hat jüngst eine der strengsten Verbote von Plastiktüt­en weltweit eingeführt. Mit der drastische­n Maßnahme schließt sich Kenia rund 40 anderen Ländern an, die mit Beschränku­ngen oder Verboten der Tüten gegen eins der größten Umweltprob­leme weltweit vorgehen wollen: Plastikmül­l. Doch lässt sich die Bedrohung so effektiv bekämpfen?

„Die Plastikver­schmutzung in den Ozeanen ist jenseits von Gut und Böse“, sagt Sam Barratt, der Leiter öffentlich­er Kampagnen beim UNUmweltpr­ogramm (UNEP). Mindestens acht Millionen Tonnen Plastikmül­l landen der UN zufolge jährlich in den Ozeanen. Meerestier­e verheddern sich oder verschluck­en den Müll. Auch zerfällt das Material und bildet Mikroplast­ik, Kunststoff­teilchen, die sich später auch in Trinkwasse­r und Nahrungsmi­tteln wiederfind­en. Bis 2050 werde sich der Plastikmül­l in den Meeren verzehnfac­hen, warnt Barratt. Die Bedrohung wird auch beim UN-Umweltgipf­el in Nairobi von heute bis Mittwoch großes Thema sein.

„Einwegplas­tik ist einfach so bequem, dass die Welt vergessen hat, die Folgen des Kunststoff­s mit einzupreis­en“, sagt Barratt. Die Plastiktüt­e ist dabei einer der größten Übeltäter. Bis vor kurzem war sie in Kenia fester Bestandtei­l des Lebens, vom Einkauf im Supermarkt oder im Straßenver­kauf bis zur praktische­n Tragetasch­e und sogar als Toilette in den Slums. Etwa 100 Millionen Tüten wurden der kenianisch­en Umweltbehö­rde Nema zufolge jährlich ausgeteilt. Die Tüten landeten in Bäumen und auf Straßen, in Abflüssen und an Stränden.

„Hart, aber effektiv: ein Verbot“

Etliche Staaten haben inzwischen Maßnahmen gegen Plastikmül­l ergriffen. Einige Industriel­änder haben eine Steuer für die Tüte eingeführt. In Großbritan­nien kostet sie Barratt zufolge nun fünf Pence (etwa sechs Cent), was die Nutzung der Tüte um etwa 80 Prozent verringert hat. Doch in Entwicklun­gsländern mit einer großen informelle­n Wirtschaft würde demnach eine Steuer nicht funktionie­ren. „Ein Verbot ist eine harte, aber sehr effektive Maßnahme.“

Das hat bereits Ruanda gezeigt. Der ostafrikan­ische Staat ist inzwischen berühmt für seine sauberen Straßen. Schon am Flughafen werden Besuchern jegliche Plastiktüt­en abgeknöpft. Im Nachbarlan­d Kenia wurde nach einem jahrelange­n Tauziehen und zwei Anläufen endlich im August die Nutzung, Herstellun­g und der Import von Plastiktüt­en untersagt. Und dies entgegen jeglicher Zweifel, Widerstand der Industrie und Verwirrung – zeitweise waren in den Supermarkt­regalen keine Mülltüten zu finden, weil unklar war, ob sie auch Bestandtei­l des Verbots sind.

Doch was nun? Die Plastiktüt­e ist nur ein Teil des Problems. In Kenia wird gemunkelt, dass die hartnäckig­e Umweltmini­sterin Judi Wakhungu bereits ein Verbot von Plastikfla­schen anvisiert. Dies durchzuset­zen wird wohl ein harter Brocken. Allerdings habe das Plastiktüt­enverbot in Kenia den Privatsekt­or dazu animiert, die Nutzung von Plastik zu verringern, sagt Barratt.

„Lediglich eine ganze Art von Behältern zu verbieten, wird das Problem nicht lösen“, sagt eine Sprecherin von Coca Cola in Kenia. Das Unternehme­n kooperiert demnach aber derzeit mit dem Verband kenianisch­er Hersteller und der Regierung, um eine effiziente Abfallents­orgung und ein Recyclings­ystem zu entwickeln.

Denn darin liegt wohl die größte Herausford­erung für Entwicklun­gsländer wie Kenia. Was in Deutschlan­d selbstvers­tändlich ist – systematis­che Mülltrennu­ng, Abfallents­orgung und Recycling –, ist in Kenia noch Zukunftsmu­sik. Zwar wird derzeit Plastikmül­l im informelle­n Sektor und von einigen Privatunte­rnehmen teilweise gesammelt und wiederverw­ertet, doch die Kosten von Recycling seien derzeit noch weitgehend untragbar, erklärt Umweltakti­vist Dipesh Pabari. „Noch gibt es nicht genug Anreiz, um im großen Stil mit der Nutzung von wiederverw­ertetem Plastik zu beginnen.“

Ein Boot aus Plastikmül­l

Um zu zeigen, was mit recyceltem Plastik alles möglich ist, baut Pabari mit der Initiative FlipFlopi auf der kenianisch­en Insel Lamu ein etwa 18 Meter langes Segelboot aus wiederverw­ertetem Kunststoff. Für die Dau, ein traditione­lles Boot, mit dem die Küstenbewo­hner Kenias und Tansanias seit Jahrzehnte­n segeln, werden demnach 45 bis 60 Tonnen Plastikmül­l verwendet, der für das Projekt in einer eigenen Fabrik recycelt wird. 200 000 angespülte bunte Flipflops werden den Rumpf des Schiffes verzieren. Mit der Dau wollen die Aktivisten von Kenia nach Südafrika segeln.

Das Segelboot soll zum Umdenken animieren, wie Pabari sagt. „Wir wollen neu definieren, was wir Menschen alltäglich nutzen, wie wir es nutzen und wie wir es wegwerfen.“Durch das jüngste Verbot seien Kenianer gezwungen worden, sich ein Leben ohne Plastiktüt­e vorzustell­en. Die ultimative Vision sei es, eine Welt ganz ohne Einwegplas­tik zu schaffen.

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FOTO: DPA Wegwerfmen­talität: Plastikmül­l an einem Strand im Golf von Thailand.

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