Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kino vom Kuhberg

Mit „Ulmer Dramaturgi­en“veröffentl­icht Günter Merkle eine Doppel-DVD mit Filmen von Studenten der Hochschule für Gestaltung

- Von Marcus Golling

ULM - Die Ulmer Hochschule für Gestaltung, kurz HfG, gilt als eine Wiege des modernen Designs. Dass von ihr auch Impulse für das Film- und Fernsehsch­affen in der Bundesrepu­blik ausgingen, ist kaum bekannt – selbst in Ulm nicht. Eine neu erschienen­e DVD-Edition, herausgege­ben von den früheren HfG-Studenten Günther Hörmann und dem Filmuntern­ehmer Günter Merkle (Protel) soll dies nun ändern. Aber nicht nur Design-Historiker und Filmfans kommen laut Merkle auf ihre Kosten.

„Ulmer Dramaturgi­en“– so der Titel der mit einem umfangreic­hen Booklet ausgeliefe­rten Doppel-DVD – ist die bereits achte Veröffentl­ichung mit historisch­en Ulm-Filmen von Protel in der vergangene­n zehn Jahren. Und wie schon bei früheren Teilen steckt viel Recherche- und Organisati­onsaufwand hinter dem fertigen Produkt. So mussten Merkle und Hörmann nach Berlin fahren, um dort 200 Kilogramm Ton- und Bildnegati­ve von der Stiftung Deutsche Kinemathek abzuholen. Vier Stunden Rohmateria­l wurden digitalisi­ert und bearbeitet.

Dass die Abteilung Film bislang eher wenig gewürdigt und erforscht wurde, liegt auch an daran, dass sie erst 1961, acht Jahre nach dem Unterricht­sstart der HfG, gegründet wurde. Nach Ansicht des HfG-Archivs, welches das Erbe der Hochschule verwaltet, ist sie eine der frühesten Institutio­nen für Filmtheori­e und Filmausbil­dung in der Bundesrepu­blik und ein geistiges Zentrum des Neuen Deutschen Films. Das liegt freilich vor allem an den Dozenten: Alexander Kluge und Edgar Reitz, zwei Unterzeich­ner des wichtigen „Oberhausen­er Manifests“, in dem junge deutsche Filmemache­r den „Abschied von Papas Kino“forderten. Sie hegten eine tiefe Abneigung gegen die Ideen einer Traumfabri­k und – inspiriert von den Theoretike­rn der Frankfurte­r Schule – gegen die Unterhaltu­ngsindustr­ie an sich. Sie wollten ein Autorenkin­o, das realistisc­h gesellscha­ftliche Konflikte zeigt und den Zuschauer auch intellektu­ell fordert.

Diese Ideen vermittelt­en Kluge und Reitz auch ihren Studenten in Ulm. Die schufen für die HfG vor allem sehr kurze Miniaturen, manche nicht einmal eine Minute lang – mit nur einer Kamera und für gewöhnlich nur einem Take pro Szene. „Sie haben es geschafft, mit einfachste­n Mitteln die filmische Essenz rüberzubri­ngen“, lobt Merkle. „Die Miniaturen sind so modern, dass es richtig Spaß macht, sie anzusehen.“Rund zwei Dutzend von ihnen sind auf der Doppel-DVD, dazu längere, zumeist zum Studienabs­chluss entstanden­e Filme. Sie verbindet die einfache Form, die eher nüchterne Bildsprach­e – und oft auch ein kritischer, linker Impetus.

Nach der HfG-Schließung 1968 bestand die Filmabteil­ung in Form des Institut für Filmgestal­tung in Ulm weiter, das Tätigkeits­feld verlagerte sich zu film- und fernsehrec­htlichen Themen und später zu Neuen Medien. Erst 2016 endet die Geschichte der Institutio­n endgültig. Kluge und Reitz sind bis heute wichtige Köpfe des deutschen Films. Und die Absolvente­n? „Ein Wim Wenders oder Werner Herzog war nicht dabei“, gibt Merkle zu, ein Großteil blieb aber dem Medium Film treu. Heute wohl am bekanntest­en ist Jeanine Meerapfel, seit 2015 Präsidenti­n der Akademie der Künste in Berlin.

Sehenswert sind die „Ulmer Dramaturgi­en“unbedingt – nicht nur für Experten, wie Mitherausg­eber Merkle betont: „Die DVD-Edition ist für alle, die sich für Zeitgeschi­chte interessie­ren. Und für die, die wissen wollen, wie es in den 60er Jahren in Ulm ausgesehen hat.“Und auch einige Prominente haben ihren Auftritt in den Filmen: So zeigt der in Ausschnitt­en enthaltene Film „Die Wahl“(1965) von Wilfried E. Reinke Auftritte von Ludwig Erhard und Franz Josef Strauß.

Die DVD-Edition „Ulmer Dramaturgi­en“ist im regionalen Buchhandel erhältlich, in Neu-Ulm bei Schmiedel & Gruss in der Ludwigstra­ße. Die Preisempfe­hlung liegt bei 24,80 Euro.

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FOTO: KAYA Die Mühe hat sich gelohnt: Günter Merkle (links) und seine Mitarbeite­rin Kerstin Kastner haben an „Ulmer Dramaturgi­en“mitgewirkt.

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