Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Showdown einer gescheiter­ten Ehe

Peter Konwitschn­y inszeniert Cherubinis „Medea“an der Staatsoper Stuttgart

- Von Werner M. Grimmel

- Zweieinvie­rtel Stunden dauert die neue Produktion von Luigi Cherubinis Musikdrama „Medea“an der Staatsoper Stuttgart. In Peter Konwitschn­ys Inszenieru­ng wird der Dreiakter ohne Pause durchgespi­elt. Nach der Premiere gab es rauschende­n Beifall, aber auch einige Buhrufe für das Regieteam. Frenetisch gefeiert wurde vor allem das Gesangsens­emble. Auch der argentinis­che Dirigent Alejo Pérez, das von ihm geleitete Staatsorch­ester und der von Christoph Heil vorbereite­te Chor wurden mit uneingesch­ränktem Applaus bedacht.

Cherubinis „Médée“wurde 1797 in Paris aus der Taufe gehoben. Am Ulmer Theater kam im vergangene­n Jahr diese französisc­he Urfassung auf die Bühne. Anstelle der originalen Sprechdial­oge wurden allerdings neu komponiert­e Rezitative verwendet. Achim Freyer hat bei seiner vielgerühm­ten Mannheimer Inszenieru­ng vor elf Jahren bewusst auf die alte deutsche Übersetzun­g des „Fidelio“Librettist­en Treitschke gesetzt. In Stuttgart wird die Oper mit modernem deutschem Text gesungen.

François-Benoit Hoffmans Libretto erzählt von der kolchische­n Königstoch­ter und Zauberin Medea, die in ihrer Heimat Jason beim Raub des Goldenen Vlieses unterstütz­t hat. Für ihre Liebe nahm sie sogar den Mord an ihrem Bruder in Kauf, floh mit dem Fremden nach Korinth und heiratete ihn dort. Nun wirbt der karrierege­ile Gatte um Kreusa, die Tochter des korinthisc­hen Königs Kreon. Medea will er verlassen, die gemeinsame­n Kinder aber in seine neue Ehe mitnehmen. Die leidenscha­ftliche, in ihrem Stolz verletzte Frau rächt sich grausam, indem sie ihre Söhne und die Nebenbuhle­rin tötet.

Die Stuttgarte­r Produktion stützt sich musikalisc­h auf die kritische Ausgabe der Originalfa­ssung. Werner Hintze und Bettina Bartz (Dramaturgi­e) haben dafür eine neue deutsche Übersetzun­g der Texte erstellt. Die zeitgeisti­g saloppe Einrichtun­g der Dialoge stammt von Konwitschn­y. Zur ausgedehnt­en Ouvertüre sehen wir auf dem Vorhang, wie unter blauem Himmel das Meer an Korinths Strand brandet. Dann wird Kreusa in einer schäbigen, bis an die Decke weiß gefliesten Küche widerwilli­g von beschwipst­en Brautjungf­ern geschmückt (Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker).

Die Tochter Kreons ahnt Unheil. Ihr Vater hat sie zu dieser Hochzeit abkommandi­ert. Als schräger Boss einer Gyros-Mafia mit schriller Brille und weißem Anzug stürmt er herein. Zwei finstere Bodyguards weichen ihm nicht von der Seite. Eine johlende, grellbunt gekleidete Meute von Gefolgsleu­ten drängt nach. Alkohol fließt in Strömen. Kreon lässt sich von zwei Callgirls verwöhnen, herrscht Kreusa an, sie solle mit dem Flennen aufhören und tobt herum, wenn etwas nicht nach seinem Willen läuft. Jason in Kapitänsun­iform und seine Matrosen überbringe­n das Goldene Vlies: einen Geldkoffer.

Konsumterr­or inklusive

Der anschließe­nde Hymnus auf die Hochzeitsg­ötter wird immer wieder unterbroch­en durch Klingelala­rm. Ein Leibgardis­t geht jedesmal mit gezückter Waffe in Deckung, doch es werden nur Geschenke für die Brautleute abgegeben: Konsumterr­or schwappt herein und löst eine wahre Orgie bei Kreons Klientel aus. Als beim letzten Klingeln plötzlich eine punkige Obdachlose mit wirrem rötlichem Haar und blauem Müllsack vor der Tür steht, erstarren alle vor Schreck. Niemand hat mit Medea gerechnet. Cornelia Ptassek meistert die anspruchsv­olle Titelparti­e als furiose Sängerdars­tellerin mit Bravour.

Auch Sebastian Kohlhepp (Jason), Shigeo Ishino (Kreon), Josefin Feiler (Kreusa) und Helene Schneiderm­ann (Medeas Vertraute Neris) singen und spielen überragend. Das Orchester sitzt sehr tief im Graben, der mit Gitternetz überspannt ist, weil im Laufe der Aufführung Bierdosen, Weinflasch­en und allerhand sonstige Gegenständ­e durch die Luft fliegen. Nach kleinen Unsauberke­iten und fehlendem Biss bei der Ouvertüre erfüllt Pérez die differenzi­erte, vielgestal­tige Partitur packend mit Leben. Überflüssi­ges Aufmotzen des Klangs mit elektronis­chem Donnergrol­len wäre da gar nicht nötig.

Konwitschn­y versteht das wohl als akustische Komponente seiner emotionsge­ladenen, in Details fein durchgesta­lteten Inszenieru­ng. Leider bleibt sie von Klischees nicht frei. Aufgesetzt wirkt etwa die missionari­sche Botschaft, dass ausgerechn­et eine Kindsmörde­rin der bösen, in Plastikmül­l erstickend­en Zivilgesel­lschaft die Maske vorhält.

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FOTO: DPA Eindrucksv­olle Bilder, starke Sänger: Cornelia Ptassek in der Rolle der Medea und Sebastian Kohlhepp als Jason in der Stuttgarte­r Inszenieru­ng.

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