ICE lässt 50 Pendler in der Kälte stehen
Macht der Gewohnheit? Lokführer rauscht morgens durch den Neu-Ulmer Bahnhof
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NEU-ULM - Den Bahnhof in Wolfsburg lässt der ICE regelmäßig links liegen. In Coburg warteten am Montag Samba-Tänzerinnen und ein frustrierter Oberbürgermeister vergeblich auf den Schnellzug, der neuerdings in der oberfränkischen Stadt Halt machen sollte. Das scheiterte an einem technischen Defekt. Am Tag darauf erwischte es Neu-Ulm: Etwa 50 Fahrgäste schauten verdutzt einem ICE hinterher, der durch den Bahntrog Richtung München rauschte, statt anzuhalten.
Klaus Meyer aus Neu-Ulm war einer der Pendler, die der Schnellzug morgens um 6.14 Uhr in der Kälte stehen ließ. „Der Zug kam relativ pünktlich, hielt aber nicht an, sondern fuhr durch“, schilderte er gegenüber unserer Zeitung. Die Leute hätten dem ICE 1739 auf der Fahrt von Stuttgart nach München frierend und staunend hinterhergeschaut. Eine Durchsage habe es nicht gegeben. „Letztlich sind dann so gut wie alle Fahrgäste in den Fugger-Express eingestiegen, der danach kam.“
Der Regionalzug fährt zwar nur zehn Minuten später ab als der Intercity-Express, braucht aber 50 Minuten länger bis München. Denn er hält nicht nur in Günzburg, Augsburg und Pasing, sondern auch in Nersingen, Leipheim, Gessertshausen, an der Haunstetter Straße in Augsburg und in Mering St. Afra. Die Reisenden waren wegen der verlorenen Stunde „nicht gerade erfreut“, drückt es Meyer vorsichtig aus.
Dabei ist Neu-Ulm mit dem neuen Fahrplan endlich zum ICE-Bahnhof geworden. Jahrelang hatte es regelmäßig nur geheißen: „Vorsicht an Gleis 2, ein Zug fährt durch!“Seit 2007 rauschten sämtliche Schnellzüge ohne Stopp durch den Bahntrog – der nächste ICE-Halt in Ulm ist einfach zu nah, als dass es sich für die Deutsche Bahn gelohnt hätte, mit dem Intercity-Express auch im schicken neuen Neu-Ulmer Bahnhof zu halten.
Kulanz für die Pendler
Am Montag hielt dann zum ersten Mal ein Intercity-Express nach regulärem Fahrplan in der Donaustadt. Der Schnellzug ersetzt einen bisherigen Pendler-Intercity über Günzburg und Augsburg nach München. Das hängt mit der neuen Schnellstrecke von München nach Berlin zusammen. Dadurch sind jetzt deutlich mehr Züge in Richtung Hauptstadt unterwegs. Auch der Morgenzug aus Stuttgart muss nach dem Halt in München gleich weiter nach Berlin – und auf dieser Strecke werden nur ICE eingesetzt, keine Intercity-Züge.
Das Bordpersonal lässt kulanzhalber die alten Intercity-Monatskarten noch gelten. Das wird auch künftig so sein. „Die Neu-Ulmer Pendler können weiter mit ihrer IC-Monatskarte fahren“, bestätigte ein Sprecher der Bahn. Weil es sich nur um eine Fahrt pro Tag handelt, macht die Bahn eine Ausnahme. Das bringt für die Pendler zwar keine große Zeitersparnis – der Intercity-Express ist nur drei Minuten schneller in München – schont aber den Geldbeutel. Denn eine ICE-Monatskarte kostet 49 Euro mehr als das IC-Ticket. Abends zurück geht es wie bisher mit dem Eurocity oder einem Regionalzug.
Doch schon an Tag zwei der neuen Ära schauten die Pendler in die Röhre.
„Der Lokführer hat den Halt übersehen“, sagte eine Bahnsprecherin auf Anfrage zu der Panne. „Er hat nicht daran gedacht, dass er neuerdings mit dem ICE in Neu-Ulm halten muss. Ich denke, das war die Macht der Gewohnheit.“Dies sei natürlich bedauerlich für die Fahrgäste. „Da können wir uns nur entschuldigen“, so die Sprecherin.
Die Lokführer seien gestern noch mal nachdrücklich darauf hingewiesen worden, dass es jetzt einen ICEHalt in Neu-Ulm gibt. „Dann sollte es morgen klappen.“Bahnkunde Klaus Meyer ist jedenfalls zuversichtlich: „Das passiert dem Lokführer kein zweites Mal.“
Auch in anderen Städten sind Züge der Bahn schon mal vorbeigerauscht. Vor allem das niedersächsische Wolfsburg trifft es immer wieder: Gleich fünfmal innerhalb der vergangenen Jahre hielten Züge nicht in dem Bahnhof – einmal hatte der Lokführer den Halt übersehen, beim zweiten und dritten Mal handelte es sich nach damaligen Angaben der Bahn um Fahrplanfehler. Der VfL Wolfsburg hatte daraufhin bei den Lokführern mit Freikarten für ein Bundesliga-Heimspiel für einen Stopp in der Stadt geworben.
Erst im September hatte ein ICE den Bahnhof aufgrund eines technischen Defekts verpasst. Der Zug kam hinter dem Bahnsteig zum Halten und konnte zurücksetzen.
Züge bremsen nicht automatisch
Der Fahrplan für die Lokführer werde auf einem Monitor angezeigt, sagte der Bahnsprecher. Er enthalte Informationen zur Strecke, beispielsweise zu Geschwindigkeitsbegrenzungen oder darüber, wo Signale stünden und welche Haltestellen angefahren werden müssten. „Das ist aber nur ein Informationssystem, das steuert nicht den Zug“, sagte der Sprecher. Auch ein akustisches Warnsignal gebe es vor einem Bahnhofshalt nicht.