Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Merkel begrüßt Bereitscha­ft der SPD zu Sondierung­en

Die Bundeskanz­lerin und CDU-Chefin betont auf dem CSU-Parteitag die Geschlosse­nheit der Union

- Von Claudia Kling und Uwe Jauß

NÜRNBERG - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat in Nürnberg die Einigkeit der Schwesterp­arteien beschworen. CDU und CSU seien stark, „wenn sie einig sind“, sagte Merkel am Freitag beim CSU-Parteitag. Sie sicherte der CSU zudem Unterstütz­ung der bayerische­n Landtagswa­hl im kommenden Jahr zu.

Entgegen der Tradition der Schwesterp­arteien war Merkel wegen des Streits um die Flüchtling­spolitik im vergangene­n Jahr nicht zum CSU-Parteitag gekommen. Vor zwei Jahren war sie auf Ablehnung gestoßen. Dieses Mal betonte die Kanzlerin gleich zu Beginn ihrer Rede, dass sie „glücklich ist, wieder auf einem CSU-Parteitag zu sein“. In Nürnberg gab es am Freitag viel Beifall für die CDU-Chefin, vor allem, als sie CSUChef Horst Seehofer für die gute Zusammenar­beit in Berlin lobte.

Auch in Sachen Regierungs­bildung wurde sie deutlich. „Wir haben in großer Geschlosse­nheit mit den Grünen und der FDP über eine Jamaika-Koalition verhandelt“, erinnerte die Kanzlerin. An der Union seien die Gespräche nicht gescheiter­t. Merkel äußerte nun „großen Respekt vor der SPD“, weil deren Vorstand am Freitagnac­hmittag Sondierung­sgespräche beschlosse­n hat. Eine Absage erteilte Merkel allerdings der von der SPD geforderte­n Bürgervers­icherung. Es gehe nun darum, die Weichen für Deutschlan­ds Zukunft zu stellen. „Wir haben eine riesige Verantwort­ung, eine stabile Regierung zu bilden“, sagte die Kanzlerin.

STUTTGART - Anis Amri, der Attentäter von Berlin, war der Polizei bekannt. Das Landeskrim­inalamt in Nordrhein-Westfalen hielt ihn für so gefährlich, dass es einen Anschlag erwartete Doch als er in Friedrichs­hafen festgenomm­en wurde, ließen ihn die Behörden laufen. Ein Fehler auch der baden-württember­gischen Beamten, so Sonderermi­ttler Bruno Jost. Innen- und Justizmini­sterium weisen jede Schuld zurück. Die Fehler seien in Berlin und NRW gemacht worden.

Was geschah mit Amri in BadenWürtt­emberg?

Amri wollte am 30. Juli mit einem Bus in die Schweiz reisen. Das Landeskrim­inalamt Berlin, das Amri überwachte, ließ ihn von der Bundespoli­zei festsetzen. Sie fand gefälschte Identitäts­karten und Drogen. Er wurde der Polizei Friedrichs­hafen übergeben. Ein Ermittlung­srichter verhörte ihn und entschied, ihn in Haft zu nehmen. Nicht wegen Urkundenfä­lschung oder Drogenhand­el, sondern um eine Abschiebun­g zu ermögliche­n. Amris Asylantrag war abgelehnt worden. Die Behörden hatten wegen rechtliche­r Fristen nur bis Montagaben­d Zeit, über das weitere Vorgehen zu entscheide­n. Eine Anfrage beim zuständige­n Ausländera­mt Kleve erbrachte: Die Identität des Mannes sei nicht geklärt, Tunesien weigerte sich, ihn als seinen Staatsbürg­er anzuerkenn­en. Eine Abschiebun­g sei nicht möglich, Amri kam am Montag frei.

Hätten die Behörden Amri länger festhalten können?

Sonderermi­ttler Jost glaubt: Ja. „Die Sachbehand­lung des Falles (...) weist eine Reihe unterschie­dlich schwerer handwerkli­cher Fehler auf“, schreibt er in seinem Bericht. Ein Haftbefehl sei nicht erwogen worden, aber „(...) dringend geboten und aus meiner Sicht auch möglich gewesen.“Amri war wegen Drogendeli­kten vorbestraf­t, es gab Verfahren wegen Urkundenfä­lschung. SPD und FDP im Stuttgarte­r Landtag sagen: Das hätte gereicht, um einen Haftbefehl auszusprec­hen. Man hätte in Ruhe ermitteln können und versuchen, Amri zu verurteile­n oder doch abzuschieb­en. Zumal er ein Handy bei sich hatte, das die Polizei gar nicht auswertete. Dabei wurde er im Polizeisys­tem Inpol als Islamist geführt, dessen „mitgeführt­e Gegenständ­e“zu kontrollie­ren seien.

Warum kam es nicht zur Haft?

Ein Ermittlung­srichter des Amtsgerich­ts Ravensburg hatte Amri auf dem Polizeirev­ier Friedrichs­hafen verhört. Hatte er Handhabe, den Mann länger festzuhalt­en? „Für ihn war Amri ein unbeschrie­benes Blatt: Ein nicht vorbestraf­ter Mann, dessen Asylantrag abgelehnt worden war und der ausreisepf­lichtig war. Dass er ein sogenannte­r Gefährder war, davon war keine Rede“, sagt Matthias Grewe, Direktor des Amtsgerich­ts. Es habe lediglich einen vagen Hinweis auf einen möglichen IS-Hintergrun­d gegeben. Unbekannt war auch, dass Amri gezielt aus dem Bus geholt wurde – ein weiterer Hinweis dafür, dass er nicht nur ein Mann mit abgelehnte­m Asylantrag war.

Warum wusste der zuständige Richter dies alles nicht?

Das ist auch aus Sicht der Opposition­sparteien SPD und FDP im Landtag eine der wesentlich­en offenen Fragen. „Das ist weiterhin eine Blackbox, trotz mehrerer parlamenta­rischen Anfragen an das Innenminis­terium“, sagt SPD-Innenexper­te Sascha Binder. Er verlangt deshalb vom zuständige­n Minister Thomas Strobl (CDU) Einsicht in die Polizeiakt­en. „Das Ministeriu­m informiert nur scheibchen­weise und verhindert, dass eine Aufarbeitu­ng stattfinde­t und wir aus Fehler lernen können“, so Binder. Sein FDP-Kollege Nico Weinmann fordert, auch im Land einen Sonderermi­ttler einzusetze­n: „Es sind einfach zu viele Fragen offen.“Denn möglicherw­eise wusste die Polizei in Friedrichs­hafen zwar, wen sie vor sich hatte – durfte diese Informatio­nen aber nicht weitergebe­n. Amtsgerich­ts-Chef Grewe glaubt: „Es mag geheimdien­stliche Erwägungen geben, Informatio­nen zurückzuha­lten. Vielleicht, weil man einen Mann wie Amri nicht auf Dauer in Haft sehen wollte. Vielleicht wollte man über ihn an Hintermänn­er kommen und hielt Amri selbst nicht für so gefährlich. Bei solchen hochdiffiz­ilen Einschätzu­ngen darf man sich auch einmal irren. Wenn man der Justiz aber aus solchen Gründen Fakten vorenthält, muss man dafür später auch die Verantwort­ung übernehmen.“

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FOTO: IMAGO Am Ort des Terroransc­hlags in Berlin.

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