Merkel begrüßt Bereitschaft der SPD zu Sondierungen
Die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin betont auf dem CSU-Parteitag die Geschlossenheit der Union
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NÜRNBERG - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in Nürnberg die Einigkeit der Schwesterparteien beschworen. CDU und CSU seien stark, „wenn sie einig sind“, sagte Merkel am Freitag beim CSU-Parteitag. Sie sicherte der CSU zudem Unterstützung der bayerischen Landtagswahl im kommenden Jahr zu.
Entgegen der Tradition der Schwesterparteien war Merkel wegen des Streits um die Flüchtlingspolitik im vergangenen Jahr nicht zum CSU-Parteitag gekommen. Vor zwei Jahren war sie auf Ablehnung gestoßen. Dieses Mal betonte die Kanzlerin gleich zu Beginn ihrer Rede, dass sie „glücklich ist, wieder auf einem CSU-Parteitag zu sein“. In Nürnberg gab es am Freitag viel Beifall für die CDU-Chefin, vor allem, als sie CSUChef Horst Seehofer für die gute Zusammenarbeit in Berlin lobte.
Auch in Sachen Regierungsbildung wurde sie deutlich. „Wir haben in großer Geschlossenheit mit den Grünen und der FDP über eine Jamaika-Koalition verhandelt“, erinnerte die Kanzlerin. An der Union seien die Gespräche nicht gescheitert. Merkel äußerte nun „großen Respekt vor der SPD“, weil deren Vorstand am Freitagnachmittag Sondierungsgespräche beschlossen hat. Eine Absage erteilte Merkel allerdings der von der SPD geforderten Bürgerversicherung. Es gehe nun darum, die Weichen für Deutschlands Zukunft zu stellen. „Wir haben eine riesige Verantwortung, eine stabile Regierung zu bilden“, sagte die Kanzlerin.
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STUTTGART - Anis Amri, der Attentäter von Berlin, war der Polizei bekannt. Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen hielt ihn für so gefährlich, dass es einen Anschlag erwartete Doch als er in Friedrichshafen festgenommen wurde, ließen ihn die Behörden laufen. Ein Fehler auch der baden-württembergischen Beamten, so Sonderermittler Bruno Jost. Innen- und Justizministerium weisen jede Schuld zurück. Die Fehler seien in Berlin und NRW gemacht worden.
Was geschah mit Amri in BadenWürttemberg?
Amri wollte am 30. Juli mit einem Bus in die Schweiz reisen. Das Landeskriminalamt Berlin, das Amri überwachte, ließ ihn von der Bundespolizei festsetzen. Sie fand gefälschte Identitätskarten und Drogen. Er wurde der Polizei Friedrichshafen übergeben. Ein Ermittlungsrichter verhörte ihn und entschied, ihn in Haft zu nehmen. Nicht wegen Urkundenfälschung oder Drogenhandel, sondern um eine Abschiebung zu ermöglichen. Amris Asylantrag war abgelehnt worden. Die Behörden hatten wegen rechtlicher Fristen nur bis Montagabend Zeit, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Eine Anfrage beim zuständigen Ausländeramt Kleve erbrachte: Die Identität des Mannes sei nicht geklärt, Tunesien weigerte sich, ihn als seinen Staatsbürger anzuerkennen. Eine Abschiebung sei nicht möglich, Amri kam am Montag frei.
Hätten die Behörden Amri länger festhalten können?
Sonderermittler Jost glaubt: Ja. „Die Sachbehandlung des Falles (...) weist eine Reihe unterschiedlich schwerer handwerklicher Fehler auf“, schreibt er in seinem Bericht. Ein Haftbefehl sei nicht erwogen worden, aber „(...) dringend geboten und aus meiner Sicht auch möglich gewesen.“Amri war wegen Drogendelikten vorbestraft, es gab Verfahren wegen Urkundenfälschung. SPD und FDP im Stuttgarter Landtag sagen: Das hätte gereicht, um einen Haftbefehl auszusprechen. Man hätte in Ruhe ermitteln können und versuchen, Amri zu verurteilen oder doch abzuschieben. Zumal er ein Handy bei sich hatte, das die Polizei gar nicht auswertete. Dabei wurde er im Polizeisystem Inpol als Islamist geführt, dessen „mitgeführte Gegenstände“zu kontrollieren seien.
Warum kam es nicht zur Haft?
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Ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Ravensburg hatte Amri auf dem Polizeirevier Friedrichshafen verhört. Hatte er Handhabe, den Mann länger festzuhalten? „Für ihn war Amri ein unbeschriebenes Blatt: Ein nicht vorbestrafter Mann, dessen Asylantrag abgelehnt worden war und der ausreisepflichtig war. Dass er ein sogenannter Gefährder war, davon war keine Rede“, sagt Matthias Grewe, Direktor des Amtsgerichts. Es habe lediglich einen vagen Hinweis auf einen möglichen IS-Hintergrund gegeben. Unbekannt war auch, dass Amri gezielt aus dem Bus geholt wurde – ein weiterer Hinweis dafür, dass er nicht nur ein Mann mit abgelehntem Asylantrag war.
Warum wusste der zuständige Richter dies alles nicht?
Das ist auch aus Sicht der Oppositionsparteien SPD und FDP im Landtag eine der wesentlichen offenen Fragen. „Das ist weiterhin eine Blackbox, trotz mehrerer parlamentarischen Anfragen an das Innenministerium“, sagt SPD-Innenexperte Sascha Binder. Er verlangt deshalb vom zuständigen Minister Thomas Strobl (CDU) Einsicht in die Polizeiakten. „Das Ministerium informiert nur scheibchenweise und verhindert, dass eine Aufarbeitung stattfindet und wir aus Fehler lernen können“, so Binder. Sein FDP-Kollege Nico Weinmann fordert, auch im Land einen Sonderermittler einzusetzen: „Es sind einfach zu viele Fragen offen.“Denn möglicherweise wusste die Polizei in Friedrichshafen zwar, wen sie vor sich hatte – durfte diese Informationen aber nicht weitergeben. Amtsgerichts-Chef Grewe glaubt: „Es mag geheimdienstliche Erwägungen geben, Informationen zurückzuhalten. Vielleicht, weil man einen Mann wie Amri nicht auf Dauer in Haft sehen wollte. Vielleicht wollte man über ihn an Hintermänner kommen und hielt Amri selbst nicht für so gefährlich. Bei solchen hochdiffizilen Einschätzungen darf man sich auch einmal irren. Wenn man der Justiz aber aus solchen Gründen Fakten vorenthält, muss man dafür später auch die Verantwortung übernehmen.“