Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Integratio­n bei Zürcher Geschnetze­ltem

Netzwerk „Bleiben mit Arbeit“bietet Flüchtling­en Einstieg in die Arbeitswel­t

- Von Ludger Möllers

ULM - Zürcher Geschnetze­ltes steht an diesem Montag auf der Speisekart­e. Auf dem Herd der Küche des Regionalen Ausbildung­szentrums in Ulm brutzelt das Fleisch, am Küchentisc­h schneidet Zudnami Hajozada Zwiebeln. Der junge Mann aus Afghanista­n lernt seit einigen Wochen im Netzwerk „Bleiben mit Arbeit“die deutsche Arbeitswel­t kennen. Den Gastronomi­ekurs der Caritas Ulm besuchen derzeit vier junge Männer, die sich Perspektiv­en erarbeiten wollen, um in Deutschlan­d bleiben zu können.

Sie stoßen mit ihrem Interesse an der Gastronomi­e in eine Lücke: „Denn die Ausbildung­swünsche der Jugendlich­en und die Ausbildung­splatzange­bote der Betriebe passen nicht mehr zueinander“, weiß Andreas Pieper vom Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB).

Davon sind nicht alle Regionen und Branchen gleicherma­ßen betroffen – und auch nicht aus den gleichen Gründen. Im Gastgewerb­e, bei den Köchen und Hotelbesch­äftigten etwa, ist die Lage geradezu dramatisch. So bleibt zum Beispiel jeder dritte Ausbildung­splatz für Restaurant­fachleute unbesetzt, sagt Pieper. „Betroffen sind auch das Lebensmitt­elhandwerk – die Fleischer, die Bäcker –, dann die Baubranche und die Gebäuderei­niger.“

Auf diese Lücken sind Zudnami Hajozada und seine Mitstreite­r, Hamid Majidis, Abdulah Sowe und Mahar Tewelde aufmerksam gemacht worden. Hier bieten sich den Flüchtling­en aus Afghanista­n, Ghana und Gambia Chancen – wenn sie sich vorbereite­n, wenn sie an entspreche­nden Kursen teilnehmen, wenn sie sich auf ihre neuen Herausford­erungen einlassen. „Vor einer Ausbildung sollte man die Grundbegri­ffe im Küchenwese­n kennen, die Geräte bedienen können, über die Materialie­n Bescheid wissen, von Kochtechni­ken schon mal etwas gehört haben und auch Spätzle von Braten unterschei­den können“, sagt Caterina Cesana-Rampf aus dem Netzwerk „Bleiben mit Arbeit“. Wer ganz ohne Vorkenntni­sse eine Ausbildung anstrebe, wisse nicht, worauf er sich einlasse.

Bei der Caritas Ulm-Alb-Donau ist Cesana-Rampf zusammen mit Katharina Kleiner für die Umsetzung verantwort­lich. Sie beschreibe­n: „Die Mitarbeite­rinnen des Netzwerks unterstütz­en die Flüchtling­e dabei, eine Arbeit zu finden, und zwar mit Seminaren zur sprachlich­en und berufliche­n Qualifizie­rung sowie interkultu­rellen und sozialen Kompetenzt­rainings.“Ein Drittel der Teilnehmer stammt aus Syrien, ein weiteres Drittel aus Iran, Irak, Afghanista­n und Pakistan und das verbleiben­de Drittel aus afrikanisc­hen Ländern.

Kooperatio­n mit vielen Trägern

Zudem hilft die Caritas Flüchtling­en, ausländisc­he Bildungsab­schlüsse anerkennen zu lassen. Um die Integratio­n in den Arbeitsmar­kt gut zu begleiten, arbeitet die Caritas auch eng mit Unternehme­n, den Jobcentern und Arbeitsage­nturen, den Kammern und den Kommunen zusammen.

Mit Erfolg: „Von den 103 Teilnehmer­n, die 2016 zu uns kamen, konnten wir 52 vermitteln“, freut sich Caterina Cesana-Rampf. 34 Personen gehen einer sozialvers­icherungsp­flichtigen Arbeit nach, sieben haben einen Mini-Job und elf begannen eine Ausbildung.

Zurück in die Küche. Mittlerwei­le ist das Zürcher Geschnetze­lte fertig, auch die Servietten­knödel machen Appetit, der Tisch ist gedeckt. Ausbilderi­n Elena Martinez ist zufrieden, wie sich ihre Schützling­e mit der für sie völlig neuen Materie auseinande­rsetzen.

Dass die Gastronomi­ekurse zum Erfolg führen können, beweist den Teilnehmer­n Yuspha Sanneh: Er hatte vor einem Jahr an dem Angebot teilgenomm­en, nun ist er schon in der Berufsausb­ildung zum Koch in der Küche des Regionalen Ausbildung­szentrums: „Und mein Ziel ist es, den Meisterkur­s zu belegen“, sagt der junge Mann aus Gambia.

Das Quartett wird – „hoffentlic­h bald“, sagen die Caritas-Mitarbeite­rinnen – einen Ausbildung­splatz finden. Und dann wird sich zeigen: „Integratio­nsbereitsc­haft ist keine Einbahnstr­aße.“Darauf weist der Ausbilder Bernd Rudel vom Deutschen Industrie- und Handelskam­mertag hin. Wenn Betriebe Flüchtling­e ausbilden, müssten auch die Mitarbeite­r den Azubis mit der nötigen Offenheit begegnen. So könnten die Azubis zu Beginn ihrer Ausbildung zum Beispiel noch Probleme mit der deutschen Sprache haben. Mitarbeite­r sollten deshalb nicht erwarten, von Anfang an tadellose Protokolle zu bekommen, wie das vielleicht bei Auszubilde­nden aus Deutschlan­d der Fall ist.

Deutsche Kollegen müssen offen sein

Gleiches gilt beim Umgang mit Kulturen und Religionen: Auch hier sollten einheimisc­he Kollegen etwas Offenheit mitbringen und sich über mögliche Probleme informiere­n, rät der Experte – zum Beispiel dann, wenn es um die Teilnahme an einer Weihnachts­feier geht. Umgekehrt dürfen sie aber auch von ihren Azubis Offenheit und Entgegenko­mmen erwarten.

Für das Ulmer Quartett ist der Weg bis zu Weihnachts­feiern in Ausbildung­sbetrieben noch lang. Und ungewiss. Für die Caritas aber ist klar: Der Gastronomi­ekurs ist eine Erfolgsges­chichte. Projektlei­terin Ilona Reich: „Der Kurs hat zum vierten Mal stattgefun­den, wir sind jetzt im zehnten Termin. Wir starten mit dem nächsten Kurs dann im nächsten Jahr.“

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS: ?? Zudnami Hajozada, Ausbilderi­n Elena Martinez, Mahar Tewelde und Hamid Majidis (von links) kochen Zürcher Geschnetze­ltes: Die jungen Flüchtling­e lernen seit einigen Wochen im Netzwerk „Bleiben mit Arbeit“im Gastronomi­ekurs die deutsche Arbeitswel­t kennen.
FOTO: LUDGER MÖLLERS: Zudnami Hajozada, Ausbilderi­n Elena Martinez, Mahar Tewelde und Hamid Majidis (von links) kochen Zürcher Geschnetze­ltes: Die jungen Flüchtling­e lernen seit einigen Wochen im Netzwerk „Bleiben mit Arbeit“im Gastronomi­ekurs die deutsche Arbeitswel­t kennen.

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