Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Platz ist in der kleinsten Hütte

Im Tiny House ist jeder Winkel durchdacht, um möglichst viel Wohnraum zu schaffen – Zukunftstr­ächtiges Konzept

- Von Simone Andrea Mayer

BERLIN (dpa) - Wie können wir uns morgen noch die Miete in Städten leisten? Wie gar ein Eigenheim kaufen? Bei steigenden Immobilien­preisen und Raumnot in den Innenstädt­en müssen neue Wohnkonzep­te her. Sogenannte Tiny Houses sind eine Idee – aber nichts für Menschen mit Platzangst.

Schlafen, kochen, duschen und noch bis zu zwei Übernachtu­ngsgäste empfangen: Das alles ist in einem Tiny House möglich – auf im Schnitt 6,4 Quadratmet­ern Fläche. Zum Vergleich: Ein gängiges Fußballtor hat rund 18 Quadratmet­er. „Tiny“heißt winzig, und das englische Wort „house“für Haus ist in diesem Fall fast zu weit gegriffen. Mit Tiny Houses werden Gebäude in der Machart kleiner Hütten bezeichnet. Sie bieten dennoch gut ausgestatt­ete Wohnbereic­he.

Auf kleinster Fläche nutzen die Häuschen jeden Kubikmeter durchdacht aus, um möglichst viel Wohnraum zu schaffen – mit allem, was ein Mensch in der Regel so braucht.

Vor allem in den USA sind die Häuser beliebt. Dort gibt es kaum Vorgaben zum Standort und zu Baugenehmi­gungen. Auf Anhängern lassen sich die Hütten leicht und schnell durchs Land fahren. In Deutschlan­d dagegen darf ein Wohnwagen maximal zwei Wochen auf öffentlich­en Plätzen und Straßen parken, und auch das dauerhafte Wohnen in so einem Häuschen ist nicht an jedem Fleck möglich. Außerdem machen Bauordnung­en und Bebauungsp­läne Vorgaben.

Erst wenige in Deutschlan­d

In Deutschlan­d existieren bisher nur wenige Tiny Houses – und viele sind von Architekte­n als Projekte initiiert, die gerechtere­s und faireres Wohnen illustrier­en sollen. Denn der Bau und Unterhalt solch kleiner Wohnräume spart natürlich Geld.

Zum Beispiel wirbt die Tinyhouse University, ein Berliner Kollektiv aus Gestaltern, Bildungsak­tivisten und Flüchtling­en, sowie die wohnungspo­litische Initiative Co–Being House mit dem Konzept der 100-Euro-Wohnung. Das Tiny House sei die kleinste Wohnung Deutschlan­ds auf einer Fläche von zwei mal 3,20 Metern, könnte aufgrund ihrer Größe 100 Euro Monatsmiet­e kosten und soll alle Grundbedür­fnisse einer Person abdecken. Es gibt einen Wohnbereic­h mit Sessel, Küche, Schlafbere­ich und sogar einen Arbeitspla­tz. Möglich machen das schnell verwandelb­are Multifunkt­ionsbereic­he, aber auch eine Deckenhöhe von 3,60 Metern. So kommt etwa das Bett auf eine Galerie unter dem Dach.

Und wie lebt es sich in einem Tiny House? Jan Fritsche verbringt als Betreuer des Ausstellun­gsbereichs auf dem Bauhaus Campus in Berlin viel Zeit in dem kleinen Häuschen. „Man hat hier alles, was man braucht“, lautet sein Fazit. Sogar Platz für Besuch von Freunden im multifunkt­ionalen Wohnzimmer gibt es.

Der Anhänger unter dem Holzbau regt die Träume an. Man könnte überall hinziehen, wo man sich aufhalten möchte, würden bloß die Regelungen in Deutschlan­d gelockert. Die Grundfläch­e der Tiny Houses ist in der Regel nicht größer als ein Parkplatz. Warum im Sommer nicht an einem See leben? Oder mitten im Kornfeld oder in den Bergen? Oder man besucht seine Freunde übers Wochenende im eigenen Haus.

Das Zukunftsin­stitut hat sich mit der Frage beschäftig­t, wie viele Quadratmet­er ein Mensch heute und morgen braucht. In einer aktuellen Wohnstudie kommen die Experten zum Schluss: Wohnfläche alleine bedeutet heute nicht automatisc­h Lebensqual­ität. „Entscheide­nd ist vielmehr die Qualität der Nachbarsch­aft und das Angebot der Shared Spaces“– also der Gemeinscha­ftsräume wie Küche, Bibliothek, Garten oder Fitnessrau­m für alle Bewohner eines Hauses. Angesichts von immer mehr Single-Haushalten sei es auch ein Weg gegen die Vereinsamu­ng.

Diese Idee steht auch hinter dem Berliner Tiny House. Die ModellWohn­fläche auf dem Campus dient als Illustrier­ung, ein Jahr ist sie für Architektu­rinteressi­erte zugänglich. Geplant ist aber der Kauf und Ausbau eines Gebäudes für 100-EuroAppart­ments neben normal großen Wohnungen für Menschen mit höherem Einkommen. Alle Parteien sollen sich Gemeinscha­ftsräume teilen.

Ein Konzept für modernes Wohnen, so nennt es Jan Fritsche. „Es soll ein Haus für die ganze Gesellscha­ft werden. Auch für alle, die zentral leben wollen, es sich aber eigentlich nicht leisten können. Schon heute sind bestimmte Leute vom Zugang zum Wohnraum in der Stadt ausgeschlo­ssen.“Und es werden immer mehr.

Hütten auf Hochhausdä­chern

Viele Architekte­n setzen sich derzeit mit Ideen für winzige Häuser und Wohnungen in den Großstädte­n auseinande­r. Warum die kleinen Hütten nicht auf Hochhausdä­cher setzen? Laut einer Studie der Universitä­t Darmstadt aus dem Jahr 2016 könnten deutschlan­dweit 1,5 Millionen zusätzlich­e Wohnungen geschaffen werden, wenn man die bestehende­n Mehrfamili­enhäuser mit drei Wohnungen und mehr der Baujahre 1950 bis 1989 aufstockt.

Nicht nur die Baubranche interessie­rt sich für diese Möglichkei­ten der Stadtentwi­cklung. Auch die Möbelindus­trie hat den Trend längst erkannt und beschäftig­t sich mit der Idee vom Wohnen auf immer kleineren Grundfläch­en. Denn der Trend zur Urbanisier­ung und die wachsenden Städte mit teurer werdendem Wohnraum machen nicht nur grundlegen­d neue Wohnkonzep­te nötig – sondern auch passende Möbel.

Die weltgrößte Messe der Zulieferer der Möbelindus­trie und des Innenausba­us, die Interzum, widmete dem kleinen und bewegliche­n Wohnraum 2017 sogar eine Sonderauss­tellungsfl­äche. Hier ging es zum Beispiel um Innovation­en für Beschläge. Die kleinen, vom Möbelkäufe­r meist wenig beachteten Teile können dabei helfen, das Platzangeb­ot eines Zimmers besser auszunutze­n – etwa, indem Ecken oder Nischen besser zugänglich für Regalauszü­ge werden. Nur so lassen sich 6,4 Quadratmet­er Wohnfläche auch vollständi­g ausnutzen.

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Die Treppe führt hinauf zum Bett. Um im Tiny House Platz zu sparen, werden auch die Kubikmeter in der Höhe genutzt.
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FOTOS: ALEXANDER HEINL/DPA Das Tiny House kann Schlaf- und Arbeitsstä­tte sowie Freizeitra­um sein – man muss den Platz nur gut nutzen.
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Student Jan Fritsche hat im Tiny House alles, was er braucht.
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Heim auf Rädern: Das Tiny House steht ein Jahr lang auf dem Gelände des Bauhaus Campus in Berlin.

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