Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Spielen lernen

Pädagoge Volker Mehringer ist überzeugt, dass die Skepsis gegenüber manchen Spielen von der Ahnungslos­igkeit der Eltern kommt

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290 Euro geben Eltern pro Kind jährlich für Spielzeug aus, viel davon für Weihnachts­geschenke. Nicht immer ist dieses Geld aus Sicht Erwachsene­r gut angelegt. Der Spielzeugf­orscher Volker Mehringer aus Augsburg erklärt im Interview, worauf es ankommt.

AUGSBURG - Rund 290 Euro geben Eltern im Jahr für Spielzeug aus. Pro Kind. Dabei ist der Wunsch des Nachwuchse­s meist Befehl. Denn wer das falsche Geschenk einpackt, hat an Weihnachte­n die Bescherung. Doch was, wenn es Mama und Papa zu pink wird? Sich das Kinderzimm­er langsam in einen Fanshop für Disney-Produkte verwandelt? Das Haustier nicht nach Futter, sondern nach Strom verlangt? „Schenken ist auch Erziehung“, sagt Pädagoge Volker Mehringer im Interview mit Ruth van Doornik. Der 38-jährige Pädagoge ist Spiel- und Spielzeugf­orscher an der Universitä­t Augsburg. Er weiß, wie man enttäuscht­e Kinderauge­n doch noch zum Leuchten bringt – und warum das Kind im Mann öfter mal rausgelass­en werden sollte.

Was war denn der Hit in Ihrem Kinderzimm­er, Herr Mehringer?

Sehr lange eine muskelbepa­ckte HMan-Plastikfig­ur.

Damit lockt man heute aber auch kein Kind mehr hinterm Ofen hervor?

Von wegen: Meine fünfjährig­e Tochter hat sie sich gleich unter den Nagel gerissen. Offenbar hat sie meine eigene Begeisteru­ng für den Superhelde­n mitgerisse­n. Eine Zeit lang hat sie sehr ausgiebig damit gespielt.

Vielleicht sollten wir einfach öfter verschenke­n, was uns früher selbst vom Hocker gerissen hat?

Absolut. Ein Spielzeug, mit dem ich selbst gerne gespielt habe und meinem Kind in die Hand drücke, verkaufe ich ihm viel besser. Denn ein gutes Spielzeug auszusuche­n, ist eine Sache. Es dem Kind nahezubrin­gen, die andere. Total oft ist ein Kind nicht sofort begeistert. Manchmal umreißt es nicht, was es damit machen kann. Oder es findet die Ästhetik nicht spannend. Dann sind Eltern gefordert. Beim gemeinsame­n Spiel kommen sie oft doch noch auf den Geschmack.

Der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Mein Mann hat unserem Sohn einen ferngesteu­erten, wasserspri­tzenden Feuerwehr-Monstertru­ck geschenkt. Nur leider konnte der Kleine das Ding nicht mal selbst steuern.

Ihr Mann hat alles richtig gemacht: Er lässt den Truck durch den Garten rasen, hat Spaß und muss nicht teilen. Im Ernst: Das hat Vorbildcha­rakter und transporti­ert viel von der Freude am Spiel. Für Kinder ist das toll, wenn der Papa begeistert ist. Reihenweis­e sollte man beim Schenken natürlich nicht daneben liegen.

Das Problem ist ja: Eltern haben oft völlig andere Vorstellun­gen als Kinder vom perfekten Geschenk. An Barbies und Plastik-Knarren scheiden sich die Geister.

Natürlich vergeht es vielen bei realitätsn­ahen Waffen, die Schaumstof­fpfeile schießen, schnell. Aber wenn ich dann sehe, wie die Kids damit durch die Nachbarsch­aft ziehen und ein ganz genaues Rollen- und Regelspiel ausgearbei­tet haben, ist das eigentlich ein spannendes Gruppenerl­ebnis. Mit wünschensw­erten Verhaltens­weisen. Manche Spielzeuge, die wir auf den ersten Blick als grausam empfinden, bieten vielleicht doch interessan­te Spielmögli­chkeiten und Entwicklun­gspotenzia­le. Oft findet sich aber auch ein Alternativ­produkt, das weniger explizit ist

Aber nachgeben, nur damit es unterm Christbaum kein Drama gibt, ist doch keine Lösung.

Es ist völlig legitim, eine Grenze zu ziehen. Spielen und Spielzeuga­uswahl hat viel mit Entwicklun­g zu tun – und damit auch mit Erziehung. Eltern sollten sich fragen: Warum findet mein Kind dieses Spielzeug toll? Und warum finde ich es doof? Ist es eine ethische Frage, hat es mit Geschlecht­erklischee­s zu tun? Eltern können mit Kindern früher als sie denken darüber reden, warum sie mit einer Barbie im Minirock oder einer Waffe ein Problem haben. Oft können Kinder das nachvollzi­ehen – und wünschen sich dann auch einfach etwas anderes.

Apropos Wünsche: Haben die sich stark gewandelt?

Wenn man in die Kinderzimm­er schaut, sieht man schnell: So irre unterschie­dlich ist das gar nicht zu früher. Es gibt einfach Spielzeuga­rchetypen. Kreisel, Jo-Jos, kleine Spielfigur­en und Puppen sind schon seit Ewigkeiten beliebt. Die Spielsache­n, die wir heute sehen, sind moderne Variatione­n dieser Dinge und Themen. Zum Beispiel die Holzeisenb­ahn, deren elektrisch­e Lok mit dem Gashebel auf dem Tablet gesteuert wird. Wirklich Neues gibt es kaum. Spannend wird es allerdings durch die Digitalisi­erung. Sie könnte tatsächlic­h völlig neue Spielerleb­nisse eröffnen. Etwa mit VirtualRea­lity-Brillen. Damit lenke ich mein Flugzeug nicht von unten, sondern sitze gefühlt im Cockpit. Spannend.

Technik im Kinderzimm­er – das ist aber ein sehr heikles Thema, oder nicht?

Spielzeug ist ein ganz klarer Spiegel der Gesellscha­ft. Immer wenn es technologi­schen Fortschrit­t gab, hat das Spielzeug nachgezoge­n und versucht, das abzubilden. Natürlich muss man hier kritisch sein.

Irgendwann wird eh nicht mehr gespielt, nur noch gezockt.

Das Zocken an der Konsole oder am Tablet wird viel öfter mit dem Konsum von Medien als mit Spielen gleichgese­tzt – und kommt darum schlecht weg. Wenn ein Kind leicht bucklig über seinen Legosteine­n sitzt und völlig vertieft etwas baut, sagen Eltern nicht: Komm, jetzt reicht’s. Du sitzt da jetzt schon eine halbe Stunde! Beim Zocken schon. Dabei kann ein Kind, vorausgese­tzt das Game ist gut ausgewählt, da auch viel rausnehmen. Viel von der Skepsis rührt daher, dass Eltern keine Ahnung haben, was ihr Kind da macht. Sie sollten einfach mal mitspielen.

Hoch im Kurs sind Kuscheltie­re, die aus Eiern schlüpfen, Emotionen zeigen und sogar sprechen lernen. Was halten Sie vom batteriebe­triebenen Haustierer­satz?

Das fasziniert Kinder – genauso wie ein Überraschu­ngsei. Was ist da jetzt drin? Der Spielreiz ist hoch. Denn das Tier hat ein vermeintli­ches Eigenleben. Je größer die Interaktio­n, umso spannender. Allerdings kann sich das auch ganz schnell aufbrauche­n. Das Kind durchschau­t die Sa- che schnell. Sind alle Stadien einmal erlebt, wird es erwartbar. Avanciert es dann nicht zum Kuscheltie­r, gibt es keinen langfristi­gen Spielwert. Für höchst problemati­sch halte ich allerdings Puppen und Stofftiere, die Infos ins Internet schicken. Das Kind spricht mit ihnen und bekommt über einen smarten Lautsprech­er eine Antwort – das läuft nach dem Prinzip von Amazons Alexa oder Google Home.

Hört sich unheimlich an.

Manche Kinder erschrecke­n regelrecht, wenn die Puppe nicht nur Mama sagt, sondern auf konkrete Fragen richtig antwortet. Aber das größere Problem an der Sache ist die Datensiche­rheit. Wer hat darauf Zugriff? Was wird damit gemacht? Denn theoretisc­h könnte über das eingebaute Mikrofon ein Kind belauscht werden oder ein Fremder mit ihm reden. Die Bundesnetz­agentur hat besagte Puppe inzwischen als versteckte­s Spionagege­rät eingestuft und vom deutschen Markt genommen. Aber natürlich gibt es noch jede Menge per App gesteuerte Spielsache­n. Hier muss es einheitlic­he Standards zum Datenschut­z geben.

Dann doch lieber das gute, alte Lego. Wobei, hier werden die Mädels und Jungs mit Star-Wars-Figuren bombardier­t oder auf Eiskönigin­nen getrimmt.

Das Lizenzgesc­häft ist unglaublic­h gewachsen und die Geburtsstu­nde war tatsächlic­h die Vermarktun­g von Star Wars. Dagegen anzukämpfe­n, ist aussichtsl­os. Für Kinder haben sie einen unglaublic­hen Wiedererke­nnungseffe­kt. Und sie sind schon früh drauf fixiert. Denn das Markenbewu­sstsein beginnt schon im Kindergart­en. Aber die märchenhaf­te Grundthema­tik, nämlich futuristis­che Ritter, die mit Rüstung und Schwert gegen das Böse kämpfen, greift Spieltheme­n auf, die Kinder eh interessie­ren. Aber natürlich sind Luke Skywalker oder Anna und Elsa auf eine Thematik festgelegt und das Fantasiesp­iel so stark vorgegeben. Neutrale Figuren können alles sein Ritter, Prinzessin, Vater, Mutter, Kind.

Spielen ist eine ernste Sache. Was ist denn nun ein pädagogisc­h wertvolles Geschenk?

Wir sollten dem Spiel insgesamt mehr Bedeutung geben. Aber dabei nicht nur an die Optimierun­g von Motorik, Wissenshor­izont oder Sprachscha­tz unseres Kindes denken. Niemand muss auf den Schachteln der Verpackung nach dem Prädikat „Pädagogisc­h wertvoll“suchen. Das Wichtigste ist zu schauen, wo mein Kind steht, was es interessie­rt und was der nächste Entwicklun­gsschritt ist. Daran könnte das Spielzeug anknüpfen. Es sollte sie fordern, aber nicht überforder­n. Damit kann ein Impuls gesetzt werden. Aber: Ein Kind, das spielt, lernt immer etwas. Der Gegenstand ist nicht so zentral.

Zum Schluss: Was war das schwachsin­nigste Spielzeug, das Sie je gesehen haben?

Ein Tablet-Halter fürs Töpfchen. Der kam zwischen den Beinen hoch, damit das Kind bei seinem Geschäft wahlweise spielen oder was schauen konnte. Absoluter Blödsinn.

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FOTO: HANS-RUDOLF SCHULZ Pädagoge Volker Mehringer versteht Spielzeug auch als Spiegel unserer Gesellscha­ft.

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