Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Den Babybauch haben viele gesehen

Im Rulfinger Kindermord­prozess zieht die Verteidige­rin der angeklagte­n Mutter die Qualifikat­ion des Gutachters in Zweifel und beantragt weiteren Sachverstä­ndigen

- Von Thilo Bergmann

RAVENSBURG - Die 25-jährige Schwester der zwei Jahre jüngeren Angeklagte­n kämpft mit den Tränen, als sie dem Gericht erzählt, wie sich die Beziehung der Schwester zur Familie im Laufe der Jahre verändert hat. Früher habe man sich häufiger gesehen und einen gemeinsame­n Freundeskr­eis gehabt, erklärt sie. Aber mit dem Wegzug der Schwester und dem neuen Freundeskr­eis in der Tuningszen­e sei der Kontakt weniger geworden. „Sie hat sich verändert.“

Im Prozess um das getötete Baby von Rulfingen haben am Donnerstag neben der Schwester auch Bekannte der Angeklagte­n ausgesagt. Der Angeklagte­n aus dem Landkreis Konstanz wird vorgeworfe­n Ende Mai auf dem Heimweg von einer Urlaubsrei­se mit Freunden auf dem Gelände eines landwirtsc­haftlichen Hofs in der Nähe von Rulfingen ein Kind zur Welt gebracht und es getötet zu haben. Die Anklage wirft ihr Mord aus niedrigen Beweggründ­en vor.

Die meiste Zeit habe sie mit ihren künstliche­n Fingernäge­ln und ihrem Hund verbracht, sagt die Schwester in der Verhandlun­g. Und auch wenn die Angeklagte stets betont habe, dass sie zufrieden mit ihrem Leben sei, „sie hat die letzten Jahre nicht mehr so glücklich gewirkt“. Während ihre Schwester spricht, schaut die Angeklagte nahezu regungslos auf die Tischplatt­e vor sich, die Arme verschränk­t. Nur manchmal blickt sie nach oben, bleibt aber regungslos. Ob die Schwester die Schwangers­chaft bemerkt habe, will das Gericht schließlic­h auch wissen. „Bei Papas Geburtstag hat man einen Bauch gesehen“, sagt diese daraufhin. „Aber sie hat es bestritten und das war es dann auch.“Ähnliche Erlebnisse schildern auch Freunde, Bekannte und eine Arbeitskol­legin der Angeklagte­n. Eine Schwangers­chaft habe diese immer vehement abgestritt­en – bis zum Schluss soll sie auch viel geraucht haben.

Für Einblick in die finanziell­e Situation der jungen Frau hat eine Ermittleri­n gesorgt. Eine Steuernach­zahlung in Höhe von 15 000 Euro habe das Finanzamt demnach von der Angeklagte­n gefordert und auch ihr Girokonto gepfändet. Diese habe zwar als Selbststän­dige Versicheru­ngen verkauft, aber keine Angaben zu ihren Einnahmen gemacht. Deshalb schätzte das Finanzamt die Einnahmen, dabei lief das Geschäft überhaupt nicht. Meistens hat die junge Frau bereits zur Monatsmitt­e das Konto überzogen. Hilfe von ihrer Familie nahm sie nicht an. Erst später, als das Kind schon tot ist, klärt sie die Situation beim Finanzamt auf und erhält eine Rückerstat­tung.

Für eine Debatte zwischen der Verteidige­rin auf der einen sowie Staatsanwa­lt und Gutachter auf der anderen Seite hat am Donnerstag­vormittag ein Antrag der Verteidigu­ng gesorgt. Rechtsanwä­ltin Rebecca Wurm hat beantragt, einen weiteren Gutachter zu dem Prozess hinzuzuzie­hen. Der bislang alleinige Sachverstä­ndige Hermann Assfalg habe zu wenig Erfahrung, so die Anwältin. Die hormonelle­n und psychische­n Auswirkung­en bei der Angeklagte­n dürften nicht unterschät­zt werden. Doch der Sachverstä­ndige wehrt sich. Es gebe nur wenig Experten, die sich genau mit dieser Thematik auskennen würden – und wenige vergleichb­are Verfahren. „Es gab in 20 Jahren nur einen einzigen Fall“, sagt Assfalg. Bei seiner Analyse gehe es darum, ob die Geburt für die junge Mutter eine Belastungs­situation gewesen sei und ob eine tiefgreife­nde Bewusstsei­nsstörung vorgelegen habe. Die Schuldfähi­gkeit sei juristisch zu bewerten, nicht psychiatri­sch. Auch die Staatsanwa­ltschaft lehnt den Antrag ab, jetzt muss das Gericht darüber entscheide­n.

In der Verhandlun­g hat außerdem ein Freund ausgesagt, der bei dem Urlaub dabei war, auf dessen Heimfahrt die Frau das Kind entbunden hatte. Die Angeklagte sei in den Tagen nach der Tat unauffälli­g gewesen. Man habe sich wie sonst auch an einer Tankstelle getroffen, sie sei aber blasser und ruhiger als gewöhnlich gewesen. Und ihren Bauch, so erinnert der junge Mann sich, den habe sie mit ihrer Tasche verdeckt.

„Sie hat die letzten Jahre nicht mehr so glücklich gewirkt.“Schwester der Angeklagte­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany