Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Warten aufs Christkind

Touristen müssen vor allem im Geburtsort Bethlehem vor den heiligen Stätten Schlange stehen

- Von Jasmin Bühler

S● iehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben.“(Lk 1, 31). Maria aus Nazareth dürfte ganz schön verblüfft gewesen sein, als ihr der Engel Gabriel vor über 2017 Jahren in einer Höhle erschien und erklärte, dass sie ein Kind erwartet. Nicht irgendein Kind. Ein besonderes Kind. Ein Kind Gottes. Eines, weswegen Millionen von Gläubigen heute jedes Jahr nach Israel pilgern. Hauptsächl­ich zu den heiligen Stätten in Nazareth, Bethlehem und Jerusalem.

In einer Höhle in Nazareth im Norden Israels hat der biblischen Überliefer­ung nach alles begonnen. Mittlerwei­le steht an dieser Stelle die Verkündigu­ngsbasilik­a – ein imposantes Gebäude zum Andenken an die Botschaft der Empfängnis. Das Bauwerk stammt aus dem Jahr 1969. Es ist bereits die fünfte Kirche an diesem Platz, frühere wurden immer wieder zerstört. Die Basilika hat zwei Stockwerke: Im Untergesch­oss liegt die Verkündigu­ngsgrotte, im Obergescho­ss finden die Messen statt. Sowohl unten als auch oben tummeln sich Touristeng­ruppen. Nur wenige Meter entfernt liegt die 1914 erbaute Josefskirc­he, wo Josef, Marias Mann, einst seine Tischlerwe­rkstatt betrieben haben soll.

Als Mutter Gottes wird Maria im Christentu­m besonders verehrt, von den Katholiken mehr als von den Protestant­en. Von dieser Verehrung zeugen auch die vielen Mosaike vor der Verkündigu­ngsbasilik­a, die aus unterschie­dlichen Ländern stammen. Sie alle zeigen die Jungfrau: mal mit italienisc­her Grazie, mal mit chinesisch anmutenden Augen, mal mit koreanisch­em Haarknoten, mal mit deutscher Ernsthafti­gkeit. Die Stadt Nazareth selbst liefert einen interessan­ten Kulturverg­leich: Mit 60 Prozent Muslimen und über einem Drittel arabischer Christen gilt Nazareth als die arabische Hauptstadt Israels. 75 700 Menschen leben hier.

Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“(Lk 2,7) Die Geburt Jesu in einem Stall in Bethlehem verlief wenig pompös, blieb weitestgeh­end unbeachtet und außer Josef und Maria war kein Mensch zugegen. Das änderte sich zwei Jahrtausen­de später grundlegen­d. Heute ist Bethlehem ein Touristenm­agnet.

An einen Stall erinnert die Geburtsstä­tte Jesu ganz bestimmt nicht mehr. Dort, wo die unwirtlich­e Notunterku­nft gestanden haben soll, ragt jetzt eine stattliche Kirche aus dem 6. Jahrhunder­t in die Höhe. Sie ist nicht nur die wichtigste Kirche des Christentu­ms, sondern auch die älteste in Israel. 2012 wurde das Bauwerk zum Weltkultur­erbe der Unesco ernannt. Derzeit wird es aufwendig restaurier­t. Besucher müssen sich an die Öffnungsze­iten halten: im Sommer von 6.30 bis 19.30 Uhr, im Winter von 5.30 bis 17 Uhr.

„Und die Hirten sprachen untereinan­der: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.“(Lk 2,15-16) Aus der Krippe ist eine Grotte geworden. Sie liegt im Keller der Kirche. Die Geburtsste­lle ist mit einem silbernen, vierzehnza­ckigen Stern markiert. Darüber ist ein Altar mit prächtigen Goldorname­nten errichtet. Alles glitzert und blinkt. Mehr als drei Stunden stehen die Gläubigen an, um die Stelle von Nahem zu sehen, sie zu berühren, sie zu küssen.

In der Höhle riecht es muffig. Die Luft ist verbraucht. Auf der schmalen Treppe, die in die Grotte hinabführt, stehen die Wartenden dichtgedrä­ngt. Es gibt nur einen Ein- und einen Ausgang. Vor dem Stern ist das Gedränge groß. Es wird geschubst und gepöbelt. Jeder möchte ein Selfie mit sich und der Geburtsstä­tte haben. Ein Spanier fotografie­rt jedes Mitglied seiner zehnköpfig­en Familie einzeln vor dem Stern. Das sorgt für Unmut. Ein Wachtmeist­er kommt und mahnt zur Eile. Schließlic­h macht die Grotte bald zu.

„Und siehe, den Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.“(Mt 2,9) War es damals der Stern von Bethlehem, der den drei Weisen aus dem Morgenland den Weg zeigte, so ist es heute die kitschige Weihnachts­beleuchtun­g. Den Reisenden leuchtet sie schon von Weitem entgegen. Bereits ab Oktober sind die Straßen Bethlehems mit Engeln und Sternen geschmückt. Je näher Weihnachte­n rückt, desto greller und voller wird es. 100 000 Touristen kommen dann in die Kleinstadt, die gerade einmal 30 000 Einwohner zählt. Die Souvenirlä­den machen Rekordumsä­tze. Eine Krippenfig­ur, ein Kreuz oder eine Kette aus dem Geburtsort Jesu – das alles und noch viel mehr ist im Angebot.

Drei Millionen Touristen zählte das israelisch­e Tourismusm­inisterium im vergangene­n Jahr. So viele wie schon lange nicht mehr. Mehr als drei Viertel davon reisten aus religiösen Gründen ins „gelobte Land“. Nun platzen die veränderte US-Außenpolit­ik, die Anerkennun­g Jerusalems als Israels Hauptstadt durch Präsident Trump sowie die darauffolg­ende Drohung einer Dritten Intifada mitten in den Boom. Das Auswärtige Amt (AA) weist auf die Gefahr von Ausschreit­ungen in Jerusalem, dem Westjordan­land und dem Gazastreif­en hin, spricht allerdings keine allgemeine Reisewarnu­ng für Israel aus. Auch die unterschie­dlichen Reiseveran­stalter zeigen sich gelassen. „Wer eine Reise nach Israel bucht, weiß, dass das Land immer mal wieder im Fokus politische­r Konflikte steht“, sagt zum Beispiel TUI-Sprecherin Anja Braun.

„Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander. Ihr sollt einander so lieben, wie ich euch geliebt habe.“(Joh 13,34) Bethlehem liegt in der Westbank, einem Teil des palästinen­sischen Autonomieg­ebietes. In Bethlehem haben die Palästinen­ser das Sagen. Neben der Geburtskir­che hängt ein Plakat mit der Aufschrift: „Pray for Palestine“(„Bete für Palästina“). Für Israelis ist es gesetzlich verboten, Bethlehem zu betreten. Die Grenze zum nahen Jerusalem ist hermetisch abgeriegel­t: mit einer bis zu acht Meter hohen Mauer, Wachtürmen und Grenzposte­n. Wer nahezu problemlos zwischen Bethlehem und Jerusalem hin und her pendeln kann, sind die Touristenb­usse. Die meisten Besucher kommen allerdings nur für einen Tag oder ein paar Stunden.

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FOTOS: DEBBIE HILL/EPD/IMAGO Zum Besuch der Geburtskir­che gehört es, den Stern mit der Inschrift „Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est“(„Hier wurde Jesus Christus von der Jungfrau Maria geboren“) zu berühren.
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Selfie mit Weihnachts­baum: Zwei junge Palästinen­serinnen vor der – zurzeit wegen Renovierun­g eingerüste­ten – Geburtskir­che in Bethlehem.

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