Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Flüchtling­e sollen Speditione­n helfen

-

ULM (anbr) - Über mangelnde Aufträge kann sich Elke Renz von der Spedition Noerpel nicht beschweren: „Die Geschäfte nehmen seit Jahren zu, die Zahl der Mitarbeite­r jedoch gleichzeit­ig ab“, sagt die Personalch­efin. Mit diesem Problem ist das Ulmer Familienun­ternehmen nicht allein. Von den rund 1,5 Millionen Berufskraf­tfahrern in Deutschlan­d seien rund eine Million 40 Jahre und älter. Rund 50 000 Brummi-Fahrer gingen jedes Jahr in den Ruhestand, erklärt Renz weiter. „In manchen Speditione­n müssen die Lastwagen auf dem Hof stehen bleiben, weil nicht genug Fahrer zur Verfügung stehen.“

Mit einem neuen Projekt will die Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Ulm in Kooperatio­n mit den Jobcentern Ulm und Biberach sowie Unternehme­n aus der Region Fahrernach­wuchs auf den Arbeitsmar­kt bringen. Geringqual­ifizierte und Flüchtling­e, die in ihrer Heimat bereits Lastwagen gefahren sind, sollen innerhalb von sechs Monaten zu Berufskraf­tfahrern ausgebilde­t werden. 15 Männer aus Deutschlan­d, Indien, Irak, Kosovo, Syrien und der Türkei zwischen 28 und 54 Jahren nehmen derzeit an der Maßnahme teil. Einer von ihnen ist Ghassan Baniwaisi, der vor zwei Jahren aus dem Irak nach Deutschlan­d geflohen ist. Am Fahrsimula­tor übt er das Rangieren an einer Laderampe oder steuert ein animiertes Gespann sicher rückwärts zwischen zwei Anhängern. Seit 17 Jahren sitzt Baniwaisi schon hinter dem Lenkrad. „Das ist mein Leben“, sagt er. Gut seien die strengen Vorschrift­en und Verkehrsre­geln, die schließlic­h auch schlimme Unfälle vermeiden könnten.

Mit dem irakischen Führersche­in hätte Baniwaisi in Deutschlan­d keinen Lastwagen steuern dürfen, erklärt Bernd Berkau, der als Dozent für die Ausbildung der Flüchtling­e zuständig ist. „Oft sind es nur einfache Dinge, wie der Schulterbl­ick beim Anfahren, die korrekte Ladungssic­herung oder die Einhaltung der Lenkzeiten, die wir noch einmal durcharbei­ten müssen.“

Noerpel-Personalch­efin Renz hat den Iraker zusammen mit einem weiteren Kursteilne­hmer verpflicht­et, wie sie sagt. Im kommenden Frühjahr soll Arbeitsbeg­inn für die beiden sein. Schon vor dem Kurs hätten sie sich kennengele­rnt und von Anfang an ein gutes Gefühl gehabt.

Doch gibt sich Elke Renz keinen Illusionen hin, dass mit der Teilqualif­ikation ein perfekter Lastwagenf­ahrer hinter dem Lenkrad sitzen werde. Denn nach der Theorie am Fahrsimula­tor und der Schulbank komme noch die Praxiserfa­hrung im alltäglich­en Stadtverke­hr auf die neuen Kollegen zu: „Wir müssen noch für die Sensibilit­ät im Umgang mit Terminware­n, Zuverlässi­gkeit und die Verantwort­ung für die Fracht sorgen“, sagt die Personalch­efin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany