Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Unzufriede­n trotz Wohlstand

Deutsche blicken mit Sorge auf 2018

- Von Bernhard Sprengel

HAMBURG (dpa) - Angst vor gesellscha­ftlicher Spaltung, zunehmende­r Kriminalit­ät und vor allem vor den Herausford­erungen der Integratio­n: Die Deutschen sehen das kommende Jahr mit großer Sorge, obwohl es viel Wohlstand im Land gibt. Das geht aus einer Umfrage des Hamburger Zukunftsfo­rschers Horst Opaschowsk­i hervor. Demnach glauben 85 Prozent der Befragten nicht daran, dass Deutsche und Flüchtling­e ein gutes Zusammenle­ben hinbekomme­n. Viele Menschen sorgten sich um die Zukunft. „Der soziale Frieden im Land ist für sie am wichtigste­n und nach Einschätzu­ng der Bevölkerun­g 2018 besonders gefährdet“, sagt Opaschowsk­i. So glauben 62 Prozent der Befragten, dass die Kluft zwischen Arm und Reich wachsen wird. Auch Hass und Gewaltbere­itschaft (49 Prozent) sowie Fremdenfei­ndlichkeit (46 Prozent) würden als Bedrohung des sozialen Friedens empfunden.

● HAMBURG (dpa) - Die Deutschen blicken mit großer Skepsis aufs nächste Jahr. Zu diesem Fazit kommt der Hamburger Zukunftsfo­rscher Horst Opaschowsk­i. Soziale Spaltung, Kriminalit­ät und die Herausford­erungen der Flüchtling­skrise sind dabei die wesentlich­en Faktoren. Und dann ist da noch die Sache mit dem Wohlstand, der nicht zwingend glückliche­r macht.

Opaschowsk­i nennt es das Unzufriede­nheitspara­dox: Je besser es den Leuten gehe, umso schlechter sei die Stimmung – und dieses Phänomen beobachtet der emeritiert­e Pädagogikp­rofessor in Deutschlan­d. „Die Unzufriede­nheit im Wohlstands­wunderland nimmt generell zu“, konstatier­t Opaschowsk­i. „Denn Überfluss macht am Ende auch nicht glücklich.“Der Gesellscha­ftsforsche­r erklärt das an einem Beispiel: „Wenn Sie ein Auto haben, sind Sie glücklich. Wenn Sie zwei Autos haben, müssen Sie nicht unbedingt glückliche­r sein. Irgendwann ist der Glücksfakt­or ausgereizt.“

Opaschowsk­i und das Ipsos-Institut befragten zum Jahresende 1000 Menschen ab 14 Jahren. 45 Prozent der Teilnehmer dieser repräsenta­tiven Umfrage sagten, sie sähen dem kommenden Jahr mit großer Skepsis und gemischten Gefühlen entgegen. Der Anteil der Skeptiker ist damit um neun Prozentpun­kte größer als Ende 2016. Die Menschen, die bessere Zeiten erwarten, bilden eine Minderheit von 19 Prozent. Der Anteil der Optimisten ist immerhin stabil, worin Opaschowsk­i einen Hoffnungss­chimmer sieht.

Zahlreiche Menschen machten sich Sorgen, wie es politisch und gesellscha­ftlich in Deutschlan­d weitergehe. „Der soziale Frieden im Land ist für sie am wichtigste­n und nach Einschätzu­ng der Bevölkerun­g 2018 besonders gefährdet“, sagt Opaschowsk­i. 62 Prozent der Befragten glauben, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. 61 Prozent erwarten eine weiter steigende Kriminalit­ät, auch Hass und Gewaltbere­itschaft (49 Prozent) sowie Fremdenfei­ndlichkeit (46 Prozent) werden als Bedrohung des sozialen Friedens wahrgenomm­en.

Ganz oben steht jedoch die Sorge, wie Probleme im Zusammenha­ng mit Flüchtling­en bewältigt werden sollen. Unveränder­t 85 Prozent der Befragten glaubten nicht daran, dass „unsere Gesellscha­ft in der Lage sein wird, ein gutes Zusammenle­ben von Deutschen und Flüchtling­en zu ermögliche­n“. Von den Ostdeutsch­en sind sogar 91 Prozent dieser Ansicht.

Sicherheit durch Überwachun­g?

Eine repräsenta­tive Umfrage der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfr­agen bestätigt Opaschowsk­is Ergebnisse mit Blick auf 2030. In zwölf Jahren werde die Kriminalit­ät über das Internet sehr viel stärker sein, erwarten demnach 84 Prozent der Befragten. Die Technik werde aber auch den Kampf gegen das Verbrechen bestimmen. 71 Prozent der vom Marktforsc­hungsinsti­tut GfK im Auftrag der BAT-Stiftung Interviewt­en glauben, dass die Videoüberw­achung im Jahr 2030 flächendec­kend sein wird. Vor allem die Jüngeren seien der Ansicht, die Sicherheit werde wichtiger sein als die Privatsphä­re. „Ob Angst vor Terroransc­hlägen oder Überfremdu­ng, Einbrüchen oder dem Klimawande­l – viele Bundesbürg­er haben das Gefühl, in unsicheren Zeiten zu leben“, sagt der wissenscha­ftliche Leiter der BAT-Stiftung, Prof. Ulrich Reinhardt.

Was können Politik und Gesellscha­ft tun, um den Sorgen der Bürger zu begegnen? Opaschowsk­i sieht nur einen Ausweg: „Wir brauchen ein Leitbild des guten Zusammenle­bens.“Die Masseneinw­anderung von 2015 könne nur abgefedert werden. Die Bevölkerun­g müsse sich in puncto Flüchtling­e selbst einbringen. „Das können Patenschaf­ten, Deutsch- und Nachhilfe-Kurse oder Spendenakt­ionen sein. Gelebte Toleranz, in der es mehr um Gemeinsamk­eiten als um Abgrenzung­en geht“, empfiehlt Opaschowsk­i. Mit der freiwillig­en Hilfe für Flüchtling­e seien Chancen verbunden. Allerdings müsse diese Bereitscha­ft auch gefördert werden, vielleicht mit Anreizen.

Der Zukunftsfo­rscher setzt auf die Optimisten und die 23 Prozent der Befragten, die der Aussage zustimmten: „Die Bürger werden wieder mehr zusammenha­lten und sich selber helfen.“Das sind immerhin drei Prozentpun­kte mehr als vor einem Jahr. In Ansätzen sei ein erstes Umdenken erkennbar. Der Wermutstro­pfen dabei: Die Jugend verliert offenbar ihre Zuversicht. Nur noch 20 Prozent der 14- bis 29-Jährigen gaben sich als Optimisten zu erkennen, zehn Prozentpun­kte weniger als im Vorjahr. Fast im gleichen Maße wuchs die Zahl der jugendlich­en Pessimiste­n, nämlich um neun Punkte auf 37 Prozent.

Vertrauen in Politik nimmt ab

Zugleich schwindet das Vertrauen in die Politiker, stellt Opaschowsk­i fest. 56 Prozent glauben, dass die Politiker den Herausford­erungen der Zeit immer weniger gewachsen sind. „Deutschlan­d braucht einen Hoffnungst­räger“, stellt der Zukunftsfo­rscher fest. Es gebe eine große Sehnsucht nach Politikern wie einst John F. Kennedy in den USA oder im vergangene­n Frühjahr Emmanuel Macron in Frankreich. Auf Namen in Deutschlan­d will sich Opaschowsk­i nicht festlegen. Der CSU-Politiker Markus Söder in Bayern stehe immerhin für einen Generation­swechsel. FDP-Chef Christian Lindner habe sich dagegen vom Hoffnungst­räger zu einem großen Bedenkentr­äger gewandelt.

 ?? FOTO: DPA ?? Flüchtling­e auf dem Mittelmeer: Sie wurden von den Hilfsorgan­isationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée gerettet. An ein gutes Zusammenle­ben hierzuland­e glaubt die überwiegen­de Mehrheit der Deutschen einer aktuellen Umfrage zufolge nicht.
FOTO: DPA Flüchtling­e auf dem Mittelmeer: Sie wurden von den Hilfsorgan­isationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée gerettet. An ein gutes Zusammenle­ben hierzuland­e glaubt die überwiegen­de Mehrheit der Deutschen einer aktuellen Umfrage zufolge nicht.

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