Bonvivant und Bücherwurm
Hanns-Josef Ortheil war 14, als er zum ersten Mal nach Paris kam. Während der Vater mit der Metro die Stadt erkundete, saß er auf der Terrasse des Cafés Contrescape und verlor sich in Ernest Hemingways „Paris – Ein Fest fürs Leben“. Gewissenhaft notierte er sich die Straßen und Orte, die in den Erzählungen eine Rolle spielen, und suchte sie auf. Er steckte die Nase ins Café-Restaurant „Closerie des Lilas“und ins „Le Dôme“. Da er kein Geld hatte, drehte er in jedem nur eine Runde, ohne etwas zu bestellen.
Fünfzig Jahre später kehrt er nun zurück in die Stadt, in der er ab 1973 auch studierte. „Was war und was ist? – Das ist die doppelte Frage meiner Wege“, schreibt er in „Paris, links der Seine“, einer Liebeserklärung an die Stadt der Liebenden und der Dichter. Kein nostalgischer Spaziergang eines Flaneurs sollte es werden, sondern er wollte sich, wie der Dichter Louis Aragon einmal schrieb, als „Spielball seiner Sinne und des Zufalls“durch die Straßen des Quartiers Saint-Germain-des-Prés und des Quartiers Latin treiben lassen, wo die Linien der Moderne zusammenlaufen.
So besucht er die Ateliers von Delacroix, Picasso und Man Ray oder mit dem „Le Proscope“eines der ältesten Kaffeehäuser, in dem schon Diderot, Voltaire und Rousseau debattierten. Keine Frage: Hanns-Josef Ortheil ist ein Paris-Kenner. Ein passionierter Bonvivant und Bücherwurm, dem zu jeder Adresse ein Name einfällt. Auch vom legendären „Hôtel La Louisiane“in der Rue de Seine erzählt er, über das die Sängerin Juliette Gréco schrieb, dass jeder in diesem Hotel „Pläne, Schlafstörungen, manchmal auch Genie, doch niemals Geld“habe. Weswegen der alte Besitzer, Monsieur Alazé, seine Gäste durch ein Guckloch im Treppenhaus überwachte, da es allzu oft passiert sei, dass einer die Zeche prellte.
Die Gründlichkeit, mit der Ortheil eine Straße nach der anderen „abarbeitet“, hat fast etwas Autistisches. Immer noch dient ihm das Beschreiben dazu, sich der Welt zu vergewissern.